Habe ich
erwähnt, dass ich gerne Erziehungsbücher lese? Zur Zeit lese ich
„The idle parent“ von Tom Hodgkinson. „idle“ heißt
„entspannt“. Dieses Buch musste ich haben. Es gibt es auch auf
Deutsch, aber die englische Ausgabe ist so hübsch, dass ich mich
dafür entschieden habe.
Ich bin erst im
zweiten Kapitel und habe bisher Tipps wie diesen mitgenommen: Bleiben
Sie einfach bis mittags im Bett liegen, dann machen die Kinder ganz
von selbst Frühstück. Sie sind ausgeruht und die Kinder glücklich,
weil sie sich als fähiges Mitglied der Familiengemeinschaft erlebt
haben.
Solche
Ratschläge finde ich klasse, so lässig. Nur ist es mir eine Qual,
länger als bis 8 Uhr morgens im Bett zu bleiben. Und die
Ausschlaflänge unseres Sohnes zu toppen, ist auch meinem Mann nicht
möglich. Ist wohl eher ein Tipp für Familien mit Kindern unter 10.
Hodgkinson
beschreibt das Phänomen der „overprotecting mummy“ (nein, guckt
mich nicht so an, mich meint er nicht) und dass – wenn wir so
weitermachen und unsere Kinder bis zu Erschöpfung bespaßen, wir
eine Gesellschaft bekommen, die aus Riesenbabys besteht. Und alle
brauchen Hartz IV, weil sie es nicht schaffen, selbst etwas auf die
Beine zu stellen. Boom, der saß.
Dieses Buch
rüttelt mich wach. Ich werden jetzt andere Saiten aufziehen. Als die
Kinder mittags aus der Schule kamen, eröffnete ich ihnen über der
Möhrensuppe, ich würde ein einjähriges Experiment beginnen und
darüber im Internet berichten. Und zwar: („Ist da Ingwer drin?“
- „Ja, lasst mich ausreden, das wird unser Leben verändern!“)
Ich werde Euch völlig frei lassen. Ich frage nie wieder, ob die
Hausaufgaben gemacht sind, ob ihr schon gelernt habt, für die
Mathearbeit morgen und ob Prinzessin die Deutschmappe fertig gestellt
hat. Ich helfe dem Kronprinzen nicht mehr bei der Lateinübersetzung
und behandle die Schule wie einen Ort, der mit mir absolut nichts zu
tun hat. Bei diesem kraftvollen Statement überschlagen sich die
Glücksbotenstoffe in meinem Gehirn. Die Möhreningwersuppen sind
kalt, die Kinder still.
Guckt mal, das zweite Buch von oben |
Dann der
Proteststurm. Das könne ich nicht machen. Selbständigkeit fände er
gut, sagt der Kronprinz, aber das könnten wir in anderen
Lebensbereichen ausprobieren. Welchen denn? Ja, das wüsste er jetzt
auch nicht. Prinzessin fällt eine Fernsehsendung ein, in der eine
Mutter ihr sechsjähriges Kind allein durch die Großstadt über
sechsspurige Straßen zur Schule geschickt hat und ob ich das gut
fände. Ihr Zeigefinger bohrt sich in meine Brust.
Unsere Debatte
hat nicht wirklich zu einem Ergebnis geführt, aber der Nachmittag
nahm eine überraschende Wendung. Mein Sohn meinte, er bräuchte
endlich das versprochene Präsentationsprogramm für unseren
Computer, damit er sein Geografie-Referat gut vortragen könne. Erst
weigerte ich mich, sagte, ich müsse in den Getränkemarkt und der
Computershop liege genau in der anderen Richtung. Schließlich hörte
ich mich sagen: „Meinetwegen, wir fahren zum Shop, aber erst, wenn
du Mathe fertig hast!“
Wollte ich mich
nicht völlig aus allem Schulischen heraushalten? Dann habe ich mich
auch noch mehrerer schwerer Erziehungssünden schuldig gemacht:
Erpressung, Förderung unselbständigen Arbeitens, materielle
Verwöhnung … puh!
Was soll ich
sagen, es hat funktioniert: Es ist gefühlt Jahre her, dass er vor
Einbruch der Dunkelheit mit den Hausaufgaben fertig war. Wir gingen
das Programm kaufen und noch ein bisschen Bummeln und er war für den
Rest des Tages so beschwingt, dass wir eine wunderbare Zeit hatten.
Lieber Tom
Hodgkinson, I was definitely unidle this
afternoon, but I had a wonderful
time with my son.
Education is a complicated
task, isn't it?
Yours sincerely
Uta