Dienstag, 31. Juli 2012

Top Five

In der Verwandtschaft kam die Frage auf, was denn meine meistgelesenen Posts sind. Deshalb zeige ich euch heute meine Top Five.

  1. Ungerechte Eltern
  2. Fette Fusselratten
  3. Die Gähn-Attacke
  4. Jungs verstehen
  5. Haustiere

Außerdem sitze ich hier ungeduscht und mit halbverhungerten Kindern, weil ich endlich ein Inhaltsverzeichnis angelegt habe. Guckt mal die "Labels" in der Spalte rechts.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Sonntag, 29. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 66: Eine Herde Fohlen


Wusstet ihr, ...

  • dass die Kinder in den Jahren vor der Pubertät nur wenig wachsen, aber dass es dann einen Wachstumsspurt von bis zu zwölf Zentimetern pro Jahr gibt
  • dass besonders die Extremitäten schnell wachsen: Jungs kriegen plötzlich so große Füße und watscheln wie Enten, bei Mädchen wachsen die Beine besonders. Nie wieder sind ihre Beine im Verhältnis zum Rumpf so lang wie in dieser Zeit. Guckt euch mal Mädchen einer sechsten oder siebten Klasse an: eine ganze Herde Fohlen.
  • dass bei mehr als 50 Prozent der Mädchen das Erscheinen der Schamhaare das erste Zeichen für den Beginn der Pubertät ist (auch die Brust entwickelt sich meist in der Startphase)
  • dass bei den Mädels nie Achselhaare und Regelblutung als Erstes auftreten
  • dass die Pubertät bei den Jungs diskreter beginnt und sie die ersten Anzeichen meist selber nicht bemerken
  • dass die Jungs eher an Körpergröße und Muskelmasse zunehmen, bevor sich die Geschlechtsorgane ausbilden
  • dass sich bei den Mädchen das Wachstum nach der ersten Regelblutung deutlich verlangsamt und sie im Durchschnitt zwei Jahre danach ausgewachsen sein werden
  • dass sie nach der Menarche im Mittel noch 7,8 Zentimeter wachsen


Kronprinz (14) mit Kaugummi-Zigarette


Das alles habe ich in dem Buch Jugendjahre von Remo Largo und Monika Czernin gelernt. Ich bin noch am Anfang und werde euch auf dem Laufenden halten, wenn mich wieder etwas anspringt. Das Buch ist im vergangenen Herbst erschienen und es gibt es bisher nur gebunden und teuer. Ich finde aber, dass es sich jetzt schon gelohnt hat.

Viele Eltern, so Largo/Czernin auf Seite 25, "nehmen die körperlichen Veränderungen, die in der Pubertät auftreten, als Bruch in der Beziehung wahr". Plötzlich wird das Badezimmer abgeschlossen, man darf beim Shoppen nicht mehr mit in die Umkleide und selbst der trockenste kleine Kuss von Mama oder Papa wird weggewischt (Prinzessin ist kurz davor, die Stelle großräumig zu desinfizieren, nur die Katzen, die werden von ihr geküsst, egal ob sie gerade in den Wechseljahren sind oder nicht).

Ein wichtiges Merkmal der Pubertät, schreiben die Autoren, sei "die zunehmende körperliche Distanz zu den Eltern. "Die Eltern sollten diesen Wandel ... aber nicht als Ablehnung und Kränkung empfinden, sondern als Aufforderung verstehen, die Beziehung zu ihrem Kind neu zu gestalten."

Prinzessin (11) hat am Wochenende von ihrer Tante ein Buch geschenkt bekommen. "Hör mal, was da vorne drin steht", rief sie und las mir die Widmung der Autorin vor: "Für meine Mutter, die auch meine beste Freundin ist."        Stille         "Jetzt sei nicht traurig oder so. Aber mal ehrlich. Ich mag dich schon, aber meine beste Freundin bist du wirklich nicht."

Ich glaube, das ist eine gesunde Entwicklung, und werde ...

immer schön fröhlich bleiben

Uta

Freitag, 27. Juli 2012

Glückliches Familienleben Nr. 65: High-Speed-Aufräumen


Als Kronprinz drei Jahre alt war, kaufte ich einen Plastik-Lastwagen etwas größer als ein Bobbycar. Das Monstrum fuhr blinkend in die Großbaustelle im Kinderzimmer. "Guck mal, welch einen Spaß aufräumen macht", rief ich und pfefferte die ersten Bausteine auf die XXL-Ladefläche.

Ich finde die Grenzziehung zwischen Arbeit und Vergnügen problematisch. Es gibt so Sprüche wie "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen".
Warum sollte denn nicht Arbeit selbst ein Vergnügen sein?

Wie schön ist es, ohne Zeitdruck eine Arbeit tun zu dürfen, die man mag. Da kann selbst "am-Strand-liegen" nicht mithalten. Der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi nennt das "im Flow sein". (Wenn man sich mit diesem Monstrum von Namen mit seiner Theorie durchgesetzt hat, muss da was dran sein.)

Gestern war ich bei einer Augenärztin. Die Frau war in ihrer Art so patent, dass es ansteckend war. Kaum war ich wieder zu Hause, habe ich den Waschkeller ausgeräumt und mit dem Autostaubsauger alle Wollmäuse und Spinnweben weggesaugt, die Kiste mit den Draußen-Spielen ausgemistet und Waschmaschine und Trockner abgewischt. Was soll ich sagen? Es war das reinste Vergnügen.
Das wäre doch mal ein Angebot für die Ferienspiele: "Wollmausjagd im Keller. Anmeldung nicht erforderlich. Nur Ferienpass und alte Kleider mitbringen".

Als die Kinder klein waren, fand ich die perforierten Nächte oder die nassen Windeln oder das Matschen beim Essen gar nicht schlimm. Schlimm war für mich, kaum mal eine Arbeit in Ruhe zu Ende tun zu dürfen. Und wenn mein Mann sagte: "Ich gehe mit den Kindern raus, dann kannst du dich ein bisschen hinlegen", habe ich fast gebrüllt: "Ich will mich nicht hinlegen, ich will eine ganze Wand lila streichen, ohne dass mich jemand unterbricht, ich will im Garten eine Natursteinmauer bauen, ohne dass ich alle drei Sekunden den Spachtel weglegen muss, ich will orgiastisch bügeln, Fenster putzen, den Vorratskeller umräumen. Bitte", fast hätte ich auf den Knien gelegen, "mach die große Spielplatzrunde, damit ich etwas tun kann, bei dem ich ein Ergebnis sehe."

Arbeitnehmer verbringen inzwischen deutlich mehr Tage im Krankenhaus wegen Depression oder Burn-out als wegen Herzkreislauferkrankungen. Dazu gab es gestern eine Statistik der Krankenkassen in der Zeitung.

Als ich vor elf Jahren den Schwerlasttransporter für das Kinderzimmer anschaffte, sah ich diese Entwicklung kommen. Und habe es mir deshalb zur Lebensaufgabe gemacht, nach Ideen zu suchen, die Freude auch in die unangenehmsten Aufgaben bringen.
Der Plastik-LKW hat sich leider nicht bewährt. Wenn man die Ladefläche kippte, um die Bauklötze in die Kiste zu schütten, machte das Teil einen solchen Höllenlärm, dass es nicht auszuhalten war. Und Kronprinz geriet so richtig in "Flow". Er war gar nicht mehr zu bremsen, seine Fracht knarzend und piepend in die entlegensten Ecken der Wohnung zu liefern.
Wir haben den Laster dann entsorgt.


Kronprinz beim Abspülen vor elf Jahren, entschuldigt die Unschärfe,  der  Terror-Truck, die Nerven ... 



Über das Thema Aufräumen habe ich hier schon einmal geschrieben. Heute möchte ich euch das "High-Speed-Aufräumen" vorstellen. Es war nötig geworden, weil Kronprinz Zimmer so aussah, dass ich nur noch ein RTL-Team auf Messi-Recherche die Treppe hätte hoch schicken können.

Regeln für das "High-Speed-Aufräumen"
  1. auf einer Eieruhr oder einem Wecker 45 Minuten einstellen (bei kleineren Kindern weniger Zeit)
  2. durch das Zimmer gedanklich eine Diagonale ziehen
  3. vereinbaren, dass heute nur eine Zimmerhälfte aufgeräumt wird
  4. wenn die Zeit abgelaufen oder die Aufgabe erfüllt ist, aufhören
  5. vereinbaren, dass ich helfe, wenn es zu den vereinbarten Regeln abläuft
  6. Kartons oder Kisten zum Ausmisten im Flur bereit stellen
Kronprinz (14) und ich haben es am Mittwochabend so gemacht. Es hat super geklappt. Wir rannten mit Kisten durchs Haus. Zwischendurch riefen wir dem, der gerade im Zimmer tätig war, zu: "Wie viel Minuten haben wir noch?" Danach sah die eine Zimmerhälfte aus als würde sie gar nicht zu dem Raum gehören. Morgen kommt die andere Hälfte dran. Aber nicht mehr als 45 Minuten!

Ich glaube, durch die Stoppuhr kommt so eine Wettbewerbsfreude in die Arbeit, die besonders Jungs in Schwung bringt.

Immer schön fröhlich eine Arbeit tun

Uta 

Dienstag, 24. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 64: Lückenlose Aufklärung


Ich habe mich vergangene Woche über einen Schub neuer Follower gefreut. Kronprinz (14) hat die Entwicklung in einem Diagramm festgehalten. Die Grafik hängt in der Küche. Und er legt Wert darauf, dass nur er den Zuwachs eintragen darf.









Den steilen Anstieg verdanke ich meiner Leserin "Papagena". Sie hat in ihrem Blog "Die Kunst den Alltag zu feiern" auf meine Episoden rund um das Katzenklo hingewiesen. Vielen Dank! 

Bei "Papagena" traf ich auf diese Geschichte. Sie handelt von ihrer Tochter, die einen Brief ihrer Grundschullehrerin mit nach Hause brachte. Darin weist die Lehrerin die Eltern darauf hin, dass Töchterchen in letzter Zeit ein Problem mit Gewalt habe. Um es vorweg zu nehmen: die Rede ist von "an der Kapuze ziehen und daraus resultierendes Würgen am Hals durch den Reißverschluss". (Wir sind an dieser Stelle froh, dass Schulen heute kein Kellerverlies mehr haben. Sonst wäre die kleine Papagena wohlmöglich in Untersuchungshaft genommen worden.)

Liebe MamaPapagena,
auch wir hatten schon so eine Nachricht aus der Grundschule. Prinzessin, damals 9, soll einen Mitschüler getreten haben. "Ja, ja, das stimmt", sagte Prinzessin, als ich sie zur Rede stellte, "J. hatte mich ins Gesicht geschlagen. Aber ich renne ja nicht gleich wegen jeder Kleinigkeit zu Frau M. Ich wehre mich halt." 
Ein anderes Mal soll sie und mehrere Komplizen aus der Klasse bei einem Gerangel die Ranzenschnalle eines Mitschülers kaputt gemacht haben. Frau M. mühte sich um Aufklärung. An mehreren Tagen hintereinander durften die fünf Tatverdächtigen nicht in die Pause, sondern sollten sich im Verhör mit der Lehrerin zu den Anschuldigungen äußern. Nachdem mehrere solcher Gespräche stattgefunden hatten, kam Prinzessin mittags weinend nach Hause. Sie hatte bisher nichts davon erzählt, aber jetzt war sie mit den Nerven fertig. 

Ich weiß Frau M.'s Bemühungen um lückenlose Aufklärung zu schätzen. Wohlmöglich hatte sie im Dienst der Gerechtigkeit auf ihren Pausenkaffee verzichtet. Sie wollte - wohl auf Druck der Mutter des"Opfers"- unbedingt den oder die Schuldige finden. Dabei hatten wir anderen Eltern längst angeboten, gemeinsam die Kosten für die Ranzen-Reparatur zu übernehmen. Das Verfahren wurde endlich eingestellt. Und ich war froh, dass nicht noch Fingerabdrücke oder Speichelproben genommen wurden. 

Meine Freundin Irmgard hat - bevor sie als Lehrerin in Pension ging - an ihrer Schule Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet. Eines der Prinzipien ist, dass die Streithähne sich in Ruhe zusammensetzen und jede Konfliktpartei die Möglichkeit bekommt, ihren Standpunkt vorzutragen.

Regeln einer Schlichtung:
  • wir lassen den anderen ausreden
  • es redet immer nur einer
  • wir werden nicht handgreiflich
  • wir sagen keine Schimpfwörter
  • Persönliches wird vertraulich behandelt
  • wir hören dem anderen zu
  • wir finden eine gemeinsame Lösung
  • wir sind ehrlich miteinander
Es ist ganz schlicht. Schon nach dem ersten Punkt sind die meisten Streitigkeiten beendet. Mehr braucht es häufig nicht. Wichtig ist, dass sich Lehrer oder andere Erwachsene nicht als Richter einmischen. Sie sind höchstens als Moderatoren gefragt. 

Ich wundere mich, dass sich nicht alle Lehrer auskennen mit "Streitschlichtung". Das ist doch keine Raketenwissenschaft.

Und wenn ich die Wahl hätte, ob alle Kinder und Lehrer in der Schule Streitschlichtung lernen oder ob sie lernen, was ein Indefinitpronomen ist, müsste ich nicht lange überlegen. 

Mit meiner Freundin Irmgard, der ehemaligen Lehrerin, sprach ich ausführlich über das Thema Streit*. Ich habe noch erfahren, 
  • dass Mobbing definiert wird als Drangsalieren des immer gleichen Opfers über längere Zeit. Von Mobbing spreche man auch erst, wenn das Opfer selber das Verhalten anderer als unerträglich empfinde
  • dass es Mobbing schon immer gegeben habe, heute ist durch das Internet nur eine neue Variante, das anonyme Mobbing, dazu gekommen
  • dass auch Lehrer mobben, wenn sie zum Beispiel Schüler "vorführen".

Ich möchte noch etwas zum Thema Gewalt schreiben:

Als Kronprinz in der fünften Klasse war, gab es einen Mitschüler, der ihn immer wieder an den Haaren zog. Obwohl unser Sohn ihm mehrfach sagte, er möchte damit aufhören, ging das Haareziehen tagelang weiter. Schließlich scheuerte Kronprinz dem Jungen eine. Der Klassenlehrer bekam das mit, hörte sich beide Positionen an, ließ die Jungs sich gegenseitig entschuldigen und das Thema war für alle Zeit beendet. Heute verabreden sich die beiden gelegentlich. 

Als ich bei einem Frauenfrühstück sagte, dass ich es völlig in Ordnung fände, dass mein Sohn dem anderen eine gescheuert hat, rückten die anderen Damen von mir ab. Gewalt ist ein Tabu. 

Frauen haben eine andere Art zu kommunizieren als Männer. Sie sprechen, um Geselligkeit zu erreichen (gemeinsam um die Feuerstelle sitzen). Männer kommunizieren eher, um ein Ergebnis zu erzielen. Das Ziel zu erreichen, ist ihnen wichtiger als Einvernehmen. 

Besonders in Grundschulen und Kindergärten herrschen weibliche Kommunikationsprinzipien vor, weil dort bis heute mehrheitlich Frauen arbeiten. Weibliche Kommunikation ist nicht besser als die männliche Art. (Wehe denen, die nicht mit an die Feuerstelle dürfen!) Und vor allen den Jungs täte es gut, wenn sie mehr raufen dürften.**

Als Irmgard vorschlug, an ihrer Schule eine Raufecke einzurichten, in der sich die Schüler - unter Einhaltung vorher festgelegter Regeln - beherzt austauschen dürfen, kam sie mit ihrem Vorschlag nicht durch.

Trotzdem immer schön fröhlich bleiben

Uta

*Meinen Post zum Thema Geschwisterstreit findet ihr hier.
** Diese Erkenntnisse gründen sich auf mein Training hier.

Freitag, 20. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 63: Die kleine Meckerziege


Ich stand bei H&M in der Kinderabteilung in der Schlange an der Kasse. Vor mir eine Mutter mit einem Mädchen, das vielleicht knapp ein Jahr alt war. Es konnte gerade laufen, wankte von dem Bein der Mutter einen halben Meter zum Buggy und wieder zurück. Vier- oder fünfmal. Dann wurde die Kleine müde und fing an zu weinen. "Du alte Meckerziege", sagte die Mutter und nahm sie unsanft an die Hand.
"Du alte Meckerziege?" Hatte ich richtig gehört? Meinte sie diesen kleinen Menschen mit den blauen Smarties-Augen und den Nacken voller Locken. Alte Meckerziege?

Okay, mein Mann nennt Kronprinz (14) auch gerne "Spacken". Kronprinz hat zwar auch Smarties-Augen, ist nicht mehr so erschöpft vom Laufen und kann seit mindestens sechs Jahren Ironie verstehen.

Aber dieses kleine Mädchen? Vor wenigen Tagen hatte es sich das erste Mal aufgerichtet, hatte die ersten Schritte gemacht. In dem Alter ist das die Kategorie "Mondlandung".
Man richtet sich auf, sackt wieder hin, rappelt sich wieder auf, hat diesen völlig neuen Ausblick. Und dann plumpst sie wieder weg die neue Welt.
Alles beginnt von vorn. Das ist aufregend und anstrengend. Da wird man doch mal müde sein dürfen.

Das Mädchen hörte nicht auf, vor sich hin zu meckern. Es war kein Schreien, kein Weinen. Eher so ein beleidigtes Blubbern wie von unserem Wasserkocher. Die Mutter schob den Buggy mit dem Stapel Kleider ein paar Zentimeter weiter. Die Kleine verlor das Gleichgewicht, der Körper umkreiselte Mutters Bein und landete auf dem Po. Mutter zog sie am Ärmchen wieder hoch. "Du alte Meckerziege!"

Ich wollte schon anbieten, das ich mal an dem anderen Ärmchen zerren könnte. Nur so zum Ausgleich.

Da nahm Mutter die Kleider vom Buggy und stopfte das Kind unter den Bügel des Buggys. Jetzt weinte es richtig. Die Schlange kam auch nicht richtig voran. Also Schnuller in den Mund gestopft. Die Kleine spuckte den Schnuller aus, drückte sich mit durchgebogenem Rücken aus dem Sitz. "Setzt du dich wohl hin, du alte Meckerziege." Mutter stopfte sie zurück, stopfte den Schnuller wieder rein, hielt diesmal die Hand davor, damit er nicht gleich wieder rausflog.

Es wurde gestopft, gedrückt, geschoben, gar nicht richtig hingeguckt, die Kleider auf den Arm genommen statt das Kind. Kein Gefühl für das Mädchen, das eine Dosis Nähe brauchte nach all den Aufregungen in dieser glitzernden Kaufhauswelt, nach all dem Ausbalancieren auf den Marshmellow-Beinen.

Ich hätte die Frau am liebsten mit einer Leggins an den Kleiderständer gefesselt und die "kleine Meckerziege" gekidnappt.

Ich weiß, das ist unfair. Ich habe Kinder, die so groß sind, dass ich sie allein zu Hause lassen kann. Ich kann in Ruhe shoppen gehen und die Szenerie beobachten und mich bei einer Tasse Earl Grey in meinem Blog über eine Frau erheben, die vielleicht seit Tagen kaum geschlafen hat, weil die Kleine zahnt, Durchfall hat, Papa nicht hört, wenn sie nachts weint, Schwiegermutter findet, dass sie sowieso alles falsch macht ...
Vielleicht regt es mich auch auf, weil ich allzu oft genauso reagiert habe, als die Kinder klein waren, weil ich überfordert war und auch noch nicht wusste, was in solch einer Situation hilft.

Was hilft, ist:
  • genau hinschauen, sich in das Kind hineinversetzen
  • es beim Namen nennen (vielleicht gibt es noch Alternativen zu "alte Meckerziege")
  • das Kind auf den Arm nehmen, Körperkontakt
  • vielleicht so Dinge sagen wie: "Ich sehe, du bist müde von der ganzen Lauferei, oder?"

Der im vergangenen Jahr verstorbene Pädagoge Wolfgang Bergmann beschreibt in seinem Hörbuch "Wie Kinder Gefühle lernen" eine ähnliche Situation und formuliert, wie ein noch sehr auf Mutter oder Vater bezogenes Kleinkind sich fühlt in so einer Kaufhaussituation.
"Ich bin ganz allein, Mama schaut mich nicht an, ich weiß nicht mehr, wer ich bin, ich erfasse die Welt nicht mehr." 
Und Jesper Juul schreibt in seinem Klassiker "Dein kompetentes Kind" (S. 158/159), dass von Kindern häufig verlangt würde, die Realität der Eltern ernst zu nehmen, ohne dass ihre eigene Realität ernst genommen wird.

Immer schön junge Eltern unterstützen und ihnen Mut machen, dass sie genug Muße haben, mal genau hinzuschauen.

Und hier könnte man sich was zusammenstellen, wenn einem kein Kosename einfällt:





Diese schönen Magnetkärtchen habe ich mal von meiner Schwester Nummer 2 geschenkt bekommen. Man scheint sie nur noch hier gebraucht und recht teuer zu bekommen.

Prinzessin (11) braucht keine Kärtchen. Sie hat sich für ihren Bruder im Urlaub folgenden Kosenamen ausgedacht:

mein kleines bautziges Bububärli-Baby

Bis man den Namen drauf hat, muss man an keiner Kasse mehr warten.

Immer schön fröhlich bleiben, Ihr bautzigen bubo-kuscheligen Zimtbärli ...

Uta

Dienstag, 17. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 62: Jetlag einer Verkniffenen


Kronprinz (14) war gerade das erste Mal nach unserer Rückkehr aus L.A. wieder im Supermarkt. "Hier gibt es ja nichts zu essen", hatte er mit Blick in unsere Küchenschränke gesagt und sich mit Rucksack und Fahrrad auf den Weg gemacht. Mit "nichts" meinte er keine Chips und keinen Eistee, seine aktuellen Grundnahrungsmittel.

In solchen Situationen pflegt mein Mann zu sagen: "Was ist da schief gelaufen?"

Und ich pflege zu antworten: "Nichts!"

Man muss wissen, dass mein Mann leidenschaftlich gern kocht und großen Wert auf gesunde und frische Zutaten legt.

Prinzessin (11) sieht lieber eine schlechte Fernsehsendung als dass sie ein gutes Buch liest. Und sie liebt Langstreckenflüge. Da kann sie sich in die Polyesterdecke kuscheln, Cola bestellen und dreimal den gleichen Actionfilm gucken.

In Situationen wie der im Flieger pflege ich zu meinem Mann zu sagen: "Was ist da schief gelaufen?"

Und er pflegt zu antworten: "Nichts!"

Man muss wissen, dass ich so gut wie nie fernsehe und als Studentin davon überzeugt war, dass bewegte Bilder im Kinderzimmer die Kindheit zerstören. Außerdem habe ich aus Protest gegen die Digitalisierung unserer Welt meine Diplomarbeit statt auf dem Computer auf einer Schreibmaschine getippt, mehrere hundert Seiten, Tag und Nacht. Nur damit ihr wisst, aus welcher ideologischen Ecke ich komme.




In der vergangenen Nacht lag ich wegen des Jetlags stundenlang wach und überlegte mir ein Regelwerk für den Rest der Ferien. Unsere Nachbarn hatten in ihrem Frankreich-Urlaub keinen Internet-Anschluss, was ihre Kinder in kürzester Zeit in Bücherwürmer verwandelte. Und als ich meine Schwester Nummer Drei in ihrem kleinen Wohnwagen auf der dänischen Insel Rømø erreichte, rief mein Neffe aus dem Hintergrund: "Ich schaffe hier jeden Tag 80 Seiten."

So konnte das mit unseren Kindern nicht weitergehen, beschloss ich, als ich schlaflos an die Zimmerdecke starrte. Als ich eine Weile auf der linken Seite lag, entwickelte ich ein strenges Leseförderprogramm für die nächsten Tage, auf der rechten Seite liegend überlegte ich mir Sanktionen gegen den Chipskonsum und machte einen ballaststoffreichen Speiseplan für die ganze Woche, auf dem Bauch liegend formulierte ich Listen für fällige Gemeinschaftsarbeiten in Haus und Garten.

Jetzt musste ich nur noch einschlafen können, damit Super-Mama am nächsten Morgen das ehrgeizige Programm starten konnte. Je länger ich da lag, je mehr Listen in meinem Kopf entstanden, desto weniger konnte ich schlafen. Verkniffene Mütter sind fette Beute für den Jetlag. Noch um 3 Uhr früh war ich so fit, dass ich im Mondlicht den ganzen Garten hätte umgraben können.

Schließlich stand ich auf und las in dem Buch "Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht" von Jesper Juul. Wie wohl mir das tat. Neulich schrieb mir meine Leserin Saskia in einem Kommentar "Eine höhere Dosis 'Jesper Juul' täglich führt unweigerlich zum Glücklichsein aller Familienmitglieder." Wie recht sie hat.

Ich fand Stellen wieder wie diese:
Es ist für Jugendliche sehr wichtig zu wissen: Was denkt mein Vater? Was denkt meine Mutter? 99 Prozent der Jugendlichen nehmen die Meinung ihrer Eltern sehr ernst, wenn sich die Eltern die ersten Jahre in der Familie auch nur ein bisschen qualifiziert haben. Jedoch gibt es kaum Jugendliche, die ihren Eltern gegenüber offen zugeben, was sie denken. Wenn also der Vater sagt: "Mit dem, was du da tun willst, bin ich absolut nicht einverstanden. Das will ich auf keinen Fall!", dann wird der Jugendliche nicht dastehen und sagen: "Hm, wenn ich so darüber nachdenke, hast du eigentlich Recht, Papa, danke." Sie müssen ihr Gesicht wahren. Das heißt jedoch nicht, dass die Worte der Eltern keinen Einfluss haben.  aus: Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht, München 2010, S. 19/20

Weiter schreibt Juul, dass es weniger darauf ankommt, was wir unseren Kindern vermitteln, sondern vielmehr wie wir miteinander sind.

Das, worauf es ankommt, geschieht häufig ... zwischen den Zeilen. Es ist die Stimmung, wie wir als Eltern miteinander umgehen, wir wir mit anderen Menschen in unserer Umgebung umgehen, der Prozess, wir wir als Familie miteinander sind: All das erzieht.                                                                                            Jesper Juul, ebenda, S. 22

Kronprinz weiß natürlich, wie wir zu Chips stehen. Wir müssen nicht jeden Tag dozieren über deren Fettgehalt und die Wirkungen von Glutamat. Und Prinzessin weiß, was wir von stundenlangem  Fernsehen halten. Neulich stand sie am Küchenfenster und sah, dass die Kinder von gegenüber einen Zeichentrickfilm sahen. "Ich würde meine Kinder ja nicht so viel fernsehen lassen", sagte sie und guckte ganz verkniffen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Donnerstag, 12. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 61: auf dem Zahnfleisch


Hier kommen meine "Schöne-Momente-Souvenirs". Sie reisen im Kopf mit nach Hause.

Es tut wohl, sie aufzuschreiben, denn die glückliche Familie geht gerade auf dem Zahnfleisch. Wir sind die Batterie-Haltung nun leid. Nie gibt es in Hotelbadezimmern genügend Haken oder Stangen, um Handtücher aufzuhängen. Immer sind alle Handtücher weiß und ich bin mir nie sicher, wer meines gerade wofür auch immer benutzt hat. (Okay, das ist ein Luxusproblem, weiter ...)

Meine "Number one und only" zerbricht sich den Kopf, weil wir mit unserem Mietauto beim Ausparken mit Tempo 2 km/h das Mietauto eines Polen angedetscht haben. Wir haben keinen Schaden, weil wir einen Van fahren, und der hat eine sehr robuste Stoßstange. Nur telefoniert jetzt eine Frau von der Autovermietung des Polen (der und seine Freundin waren so nett, dass sie in die "Schöne-Momente-Souvenirs" kommen) meinem Mann hinterher und der findet diese Momente nicht so schön. Die Frau will unbedingt eine Schadensnummer von uns, obwohl wir gar keinen Schaden haben. "It was more a contact than an accident", hat mein Mann ihr in seinem schönsten Englisch erklärt. Aber statt sich an seinem schönen Englisch zu freuen, hat sie weiter genervt. Jetzt wissen wir, wer hier wirklich einen Schaden hat.

Wir werden unsere Stoßstange mit der Body-Lotion aus dem Hotelbadezimmer einreiben (oder soll ich lieber den Conditioner nehmen?). Dann wird auch dem letzten Mitarbeiter von der Autovermietung am Flughafen klar, dass es nur ein "lovely contact" war, wenn wir alle im Glanz unserer Stoßstange beisammen stehen und darauf trinken, dass wir ein so nettes Polen-Pärchen kennen gelernt haben.

Ja, ich komme bald zu den schönen Momenten, muss aber noch Prinzessin (11) erwähnen, die ein Thunfisch-Sandwich nicht vertragen hat und vergangene Nacht unschöne Momente auf und über der Badezimmertoilette hatte. Es geht ihr jetzt (14:45 Uhr Ortszeit) besser. Sie schläft und hat die Salzcracker bisher im Magen behalten, die ihr der Bruder bei cvs-pharmacy (toller Laden, da kann er "Pringels" kaufen und sie mit Kleingeld an einem Automaten bezahlen) besorgt hat.
Sie hat jetzt auch wieder Farbe im Gesicht und wir mussten schon sehr darüber lachen, dass sie auf lange Zeit die einzige im gesamten Familien- und Bekanntenkreis sein wird, die sich in Los Angeles in einem Fahrstuhl übergeben hat.

Aber jetzt kommen in Text und Bild unsere schönsten Momente:

  • Auf dem spektakulären Highway No 1 von San Francisco nach Santa Barbara haben wir an einer Ausbuchtung angehalten, um die Aussicht über die Klippen zu genießen. In dem Moment kam ein Jogger den Berg hoch gelaufen. Es war der 4. Juli, der amerikanische Unabhängigkeitstag, und der Mann lief mit einer Stars-and-Stripes-Fahne in der linken Hand. "Could you take a photo?" fragte er keuchend meinen Mann und hielt ihm sein Smartphone hin. Schließlich übernahm unser Sohn und Fotograf den Job. Der Mann lief wieder ein Stück zurück, sprang auf die Klippenmauer und rannte darauf an Kronprinz vorbei. Das Foto war super: voller Dramatik und Patriotismus. "Your son is a genius!" rief er begeistert und joggte weiter den Berg hoch. Leider habe ich davon kein Foto. Es ging alles so schnell und ich war wie paralysiert von der überschäumenden Begeisterung, mit der dieser Mann die Anstrengung genoss.

  • An einem Abend in Santa Barbara haben wir auf der Straße eine tolle Percussion-Gruppe erlebt. Es waren neun oder zehn junge und ein älterer Mann, die einer kleinen Traube von Passanten großen Spaß bereitet haben. Sie trommelten auf Eimern und Blechbüchsen und führten nebenher mit ihren Schlagstöcken ein Tänzchen auf. So eine gute Stimmung! Nachher erfuhren wir, dass es ein Percussion-Lehrer und seine ehemaligen Schüler waren. 



Faszination Schieflage in San Francisco,



Faszination Natur im Yosemite-Nationalpark



Faszination Wasser und Geschwindigkeit                                                                                                 Foto: Kronprinz



Faszination Urlaubsbart





Faszination Gleitflug (brauner California-Pelikan)




Immer schön fröhlich bleiben


Uta

Freitag, 6. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 60: Batterie-Haltung


Zur Zeit sind wir eine Familie in Batterie-Haltung. Die Batterie ist immer ein Hotelzimmer mit zwei Doppelbetten, wobei die Betten höchstens eineinhalb als doppelt sind. Die wirklich geringe Freilauffläche wird noch reduziert durch unsere aufgeklappten Koffer. Bei Hühnern, die so gehalten werden, würden Tierschützer aufschreien. Dabei übernachten wir überwiegend in Batterien mit dem einen oder anderen Stern.

Gestern Abend waren wir im Hafen von Monterey (südlich von San Francisco) essen und haben danach auf einem der Möchtegern-Doppelbetten in unserem Zimmer das Kartenspiel "Phase 10" gespielt. Als Prinzessin (11) eine Karte zum Auslegen fehlte, haute sie vor Wut auf die Bettdecke und fiel rücklings vom Bett. Plumps, Koffer zu, weg war sie. Dabei geht "Phase 10" ohne Ausscheiden.

In einem anderen Hotel machte sie einen Vorwärtssalto über beide Betten und donnerte gegen einen Spiegel, was bei meinem Mann einen Wutanfall auslöste, was wiederum bei Prinzessin einen Heimwehanfall auslöste.
In so einer Batterie ist der einzige Rückzugsort die Toilette. Dort hockte sie heulend. "Mit Papa", schluchzte sie, "das war .... (schnief) nicht so schlimm, aber .... (schnief, schnief) mir fehlt Gulliver so sehr."
Unser Küken vermisst seinen Kater.

Mein Mann vermisst seine Ruhe, Kronprinz (14) vermisst ein Klo zum Abschließen, ich vermisse Ordnung und eine Bettdecke für mich allein.

Trotzdem möchte ich keinen Tag dieser Reise missen.

Wir zeigen unseren Kindern Amerika, zumindest einen Teil davon. Wir reisen von Hotel zu Hotel. Wir müssen fast täglich Koffer packen. Wir nerven uns an und haben Spaß. Wir könnten uns manchmal die Augen aushacken und manchmal vor Freude ein Ei legen.

Ist eine solche Reise zu empfehlen?

Die Antwort lautet "ja". Und der Grund dafür, findet sich in einem Buch, das viele Tausend Kilometer von hier entfernt in meinem Regal steht. Es ist das Buch "Schülerjahre" von Remo Largo. Darin ist eine Grafik abgebildet, die zeigt, wie stark sich Kinder in den ersten Jahren auf ihre Eltern beziehen und wie abrupt das aufhört, wenn sie ungefähr zwölf Jahre alt sind. Die Junghühner wollen dann mit den anderen Junghühnern auf der Stange sitzen und nicht mit ihren Eltern.

"Ich kann mich doch heute verabreden", ruft Prinzessin zu Hause, kaum habe ich nach der Schule einen Zipfel meiner Tochter auf dem Fahrrad erspäht. Und Kronprinz (14) hat angefangen, sich auch abends mit seinen Freunden zu treffen. "Peergroup" nennen Pädagogen die Gruppe Menschen, auf die sich Teenager immer stärker beziehen je älter sie werden.

Deshalb finde ich es schön, dass wir in dieser Phase einen Urlaub machen, in dem wir für 19 Tage unter uns sind. Vier Leute, die Familie sind, einmal ganz auf sich zurückgeworfen.
Wir haben auch schon Ferienhausurlaube gemacht und die Kinder durften jeder einen Freund oder Freundin mitnehmen. Das ist auch schön, aber anders.

Ganz abgesehen von dem, was man auf so einer Rundreise erlebt und entdeckt, ist es anders. Es kommen nicht die Gespräche auf, die wir hier führen. Gespräche über Lebensziele und Träume. Gespräche über Sehnsüchte und Berufswünsche.

Prinzessin möchte mal eine Nebenrolle in einem Film haben, als Sängerin im Duett mit Papa eine CD herausbringen und die beiden Keller des Doppelhauses, das wir uns mit unseren Nachbarn teilen, miteinander verbinden und dort ein großes Schwimmbad einbauen.

Kronprinz möchte nach der Schule ein Jahr in Filmstudios im neuseeländischen Wellington jobben und danach Independent-Filme drehen. Berühmtheit ist ihm nicht wichtig, aber eine Arbeit, die ihm Spaß macht und die gut Geld bringt.

Sie haben auch gefragt, ob wir Eltern unsere Ziele erreicht haben. Ich gebe zu, das ist nicht immer angenehm, weil sie das formulieren, als würden wir morgen ins Grab kippen. Und Prinzessin trieb auch noch eine andere Sache um: "Papa, welche Haarfarbe hattest du früher eigentlich mal?" Da wäre mein lieber Hahn in seinem verletzten Stolz auch fast in den Koffer gekippt.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Montag, 2. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 59: Alles richtig in San Francisco


Auf dem Buchrücken von einem unserer Reiseführer steht der Satz "Einmal im Leben alles richtig machen". Er soll dafür werben, diesen Reiseführer zu kaufen, einen Flug zu buchen und ein "perfektes Wochenende" in einer Großstadt seiner Wahl zu verbringen.

"Einmal alles richtig machen" - als würde man sonst alles falsch machen. Das ist die Einstellung für garantiertes Unzufriedensein.

Gerade beim Reisen überfällt mich diese kleine gemeine Einstellung manchmal hinterrücks. Gucken wir das Richtige an? Zeigen wir den Kindern genug? Sollten wir ihnen mehr Hintergrund vermitteln? Warum lesen sie nicht selber im Reiseführer?

Es gibt Eltern, die ihre Kinder dazu anhalten, kleine Referate über den Reichstag, das Empire State Building oder den Eiffelturm auszuarbeiten. Wir gehören nicht dazu. Aber, hey, als wir jetzt in San Francisco waren (wir sind schnell rübergeflogen, als ihr noch geschlafen habt), kannte Kronprinz (14) die wichtigsten Verkehrsadern von San Francisco, weil er auf der Playstation schon so viele Straßenrennen hier gefahren ist. Zählt das auch?

Ich will nicht "alles richtig machen", ich will keine Top-Ten-Listen oder Haltestellen von Stadtrundfahrten abarbeiten. Ich will mir nicht das Gefühl einimpfen lassen, wir könnten irgendetwas verpassen.

Im Flieger nach San Francisco habe ich mir überlegt, was ich selber möchte, ohne dass irgendein Reiseführer uns ein Programm überstülpt. Als ich die kleine Liste meinem Mann im Flieger über den Gang reichte, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen.
  1. mit dem Fahrrad über die Golden-Gate-Bridge fahren
  2. frühstücken im Cafè "Mama`s"
  3. mit Inlinern den Golden-Gate-Park erkunden
  4. an der Bay-Küste joggen
  5. in der "Tartine Bakery" einen Bread-Pudding mit Früchten essen
Das Entsetzen meines Mannes bezog sich vor allem auf das Fahrradfahren. Er fährt schon zu Hause kein Fahrrad. Warum sollte er das auf der Golden-Gate-Bridge tun mit einem Leihrad unterm Hintern und einem peinlichen Helm auf dem Kopf? 

Also einigten wir uns darauf, mit dem Auto über die berühmte Brücke zu fahren und an einem Aussichtspunkt auf der gegenüberliegenden Seite ein Sun-Downer-Picknick zu machen.

Auf zum Sun-Downer-Picknick!                                                                                                                             Foto: Kronprinz

Gestern Abend war es soweit. Ich hatte Sandwiches und Limo besorgt und eine große Decke in den Rucksack gestopft. An unserem Hotel hatten wir einen klaren Blick über die Bay und ich eine große Vorfreude im Herzen. Je mehr wir uns aber der berühmten Brücke näherten, desto mehr Dunst zog auf.  Schließlich sahen wir die Brücke erst, als wir schon drauf fuhren. Wir bewegten uns durch eine große dichte Wolke, konnten schemenhaft die Pfeiler des Wahrzeichens erkennen. Der Pazifik und die Bucht waren nur blaue Kleckse auf dem kleinen Schirm des Navis. 
"Nächstes Jahr fahren wir an die Mecklenburger Seenplatte", grummelte mein Liebster. Der Schweibenwischer quieschte, die Kinder wischten mit den Ärmeln an den Autoscheiben herum. 

Auf dem Aussichtsplatz oberhalb der Brücke waren schemenhaft ein paar Bänke und eine öffentliche Toilette zu erkennen. Ich knöpfte die Regenjacke zu und rannte mit den Kindern einen Pfad hoch und wieder runter. "Willst du nicht auch sehen, dass es nichts zu sehen gibt?" riefen wir meinem Mann zu. Durchnässt haben wir dann im Auto unsere Sandwiches gegessen.

So ein All-around-fog-Picknick findet man in keinem Reiseführer.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Sonntag, 1. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 58: New York mit Kindern


Kann ich euch etwas aus New York schreiben, was euch nützt?

Ich bin ja eher die Kinder-Bullerbü-Fachfrau als die Expertin für die Stadt, die niemals schläft.
Vor der Reise habe ich in einem Reiseführer zum Thema "New York mit Kindern" geblättert. Da liest man in leichter Abwandlung immer das gleiche für City-Trips mit Kids: in den Zoo gehen, ins Dinosaurier-Museum, ins Schwimmbad oder an den Strand.

Aber ich will doch in NewYork nicht in den Zoo gehen geschweige denn in ein Schwimmbad.

Deshalb schreibe ich euch, was wir gemacht haben.

Erst einmal ist es ja immer eine große Herausforderung, die Interessen aller Familienmitglieder unter einen Hut zu bekommen.

Kronprinz (14) streift gerne durch Soho, macht Fotos auf Schritt und Tritt, will in jeden Apple-Store, braucht alle zwei Stunden ein Sandwich und einen Eistee, liebt Wrestling mit seiner Schwester im Hotelzimmer, verwaltet den Zimmersafe.

Prinzessin (11) trägt lieber Flossen als Schuhe, findet N.Y. doof, weil das Hotel keinen Swimmingpool hat, wird schwermütig wegen der vielen Obdachlosen und weil Obama noch nicht durchkommt mit der Krankenversicherung für alle. Immer wenn wir anderen drei jemanden mit einem "homeless"-Pappschild auf der Straße sitzen sehen, plaudern wir schnell über Schwimmbrillen oder Eissorten, weil wir genau wissen, noch eine traurige Gestalt mehr und sie wird zur jüngsten Heilsarmee-Soldatin in N.Y.
Abgesehen davon kann Prinzessin einen ganzen Tag lang von einer großen Tüte Ben-and-Jerrys Eis leben, mag Wrestling mit dem Bruder im Hotelzimmer und das Erkunden der Feuertreppe im Hotel.

Mein Mann kennt N.Y. von Geschäftsreisen, will seiner Familie die Stadt zeigen, stellt eigene Ansprüche zurück bis auf den, einmal am Tag ein Stündchen im Hotel zu schlafen, braucht ab und an einen Kaffee, liebt die Schokolade von Dean & Deluca, mag kein Geschwister-Wrestling im Hotelzimmer.

Ich liebe es, mich durch die Stadt treiben zu lassen, irgendwo zu sitzen, Menschen zu beobachten oder den Kopf in den Nacken zu legen und einen Dachgarten zu erspähen, der mit ein paar Bäumen im Topf an den Wolken kratzt. Wenn ich einen tollen Laden entdecke, mag ich auch shoppen. Bei "Anthropology" zum Beispiel. Die haben romantische Kleider und verspielte Wohnaccessoires. Mein Mann hält das Maulen der Kinder flach und sorgt dafür, dass Mutter in den Laden kann. Aber wenn meine Familie wie ein Mahnmal der Langeweile zwischen den Kleiderständern steht, habe ich eine Shopping-Hemmung.
Ich brauche einmal am Tag eine warme Mahlzeit (ich esse ohne Mühe auch zwei) und am Nachmittag einen Kaffee. Ich gehe gern auf Fotosafari, allein oder mit Kronprinz.

Für uns war die Lösung, uns für den halben Tag aufzuteilen. Mein Mann ist mit Prinzessin in den Centralpark gegangen. Dort gibt es so schöne Felsen, auf denen Papa sich sonnen und Prinzessin klettern kann. Außerdem mussten die beiden unbedingt zu der Hunde-Skulptur, die Prinzessin aus dem Film "Balto" kennt. Weil es das Café "mit der besten heißen Schokolade der Stadt" (sagt mein Mann) nicht mehr gab, trösteten sich die beiden mit Eis und einem Rüschentopp von Abercrombie&Fitch. (Mein Mann nahm diesmal keins.)

Kronprinz hatte inzwischen das verworrene New Yorker U-Bahnsystem durchschaut und mich sicher zum High-Line-Park gebracht. Das ist ein Garten, der auf einer ehemaligen Hochbahntrasse im Meatpackingdistrict im Westen Manhattans angelegt worden ist.  Ich hatte gelesen, dass dort frühmorgens Yogakurse stattfinden. Diese einmalige Atmosphäre wollte ich erleben und im Bild festhalten. Als wir dort endlich ankamen, machte niemand mehr einen "Gruß zur Sonne". Trotzdem habe ich jeden Grashalm, jede Blüte dort genossen.


Im High-Line-Park: Liegen auf Schienen.

Im High-Line-Park: Blüten und Häuserblocks auf Augenhöhe.


In Soho haben wir uns durch die Straßen treiben lassen. Mir macht es Spaß, mit meinem großen Sohn zu bummeln. Da kann ich gerne auch eine Weile in einem Apple-Store herumstehen.
Da wir beide den gleichen Hunger nach Deftigem haben, konnten wir uns schnell auf eine Calzone in einer Pizzeria in Little Italy einigen.
Am frühen Nachmittag haben wir uns alle im Hotel wieder getroffen und eine Stunde geschlafen. Ich zumindest. Und zwar so komatös, dass ich nicht mit bekommen habe, was die anderen in der Zeit gemacht haben. Danach war ich fit genug, um mit den Kindern ins MoMa (Museum of Modern Art) zu gehen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta