Dienstag, 29. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 48: Tütü und Treckingsandale


In meinem Blog nenne ich unsere Tochter "Prinzessin". Das hatte sich analog zum "Kronprinzen" ergeben.

Während "Kronprinz" eine gute Wahl ist, ist "Prinzessin" nicht so der Treffer. Schon seit langem bin ich nicht zufrieden mit diesem klebrig-süßen Pseudonym.

Prinzessin ist einfach nicht der Lillyfee-Typ.
Mit Lillyfee war sie schon durch, da war sie kaum im Kindergarten.

Heute liebt sie Krimis mit viel Action, Karate-Kid-Filme, Achterbahn-Loopings, Lederjacken und Fußball. "Ich mag es gerne rockig", sagt sie.

Sprachlich ist sie auch nicht zimperlich. Als wir neulich am Tisch einen gepflegten Diskurs über Geschlechterverteilung im Wandel der Zeit führten, meinte sie: "Es sind ja doch die Väter, die den Schotter rauszocken."
Ich hüstelte in die rosa Stoffserviette, rückte die Messerbänkchen gerade und schwieg distinguiert. (He, das war ein Witz, wir haben gar keine Messerbänkchen.)

Es gibt da ein merkwürdiges Überkreuz-Phänomen.

Ich, mit meiner Schwäche für Blumenröcke, Jane Austen, weiße Geranien in Jugendstilwintergärten, Empirekleider, rosa Pfingstrosen, geblümten Kulturtaschen, Paisley-Briefpapier ... habe eine rockige Tochter.

Und unser Briefträger mit seiner Schwäche für Funktionskleidung, mit einer Familie, die den ganzen Sommer in Zelten und Treckingsandalen lebt, hat eine Lillyfee-Tochter.

Sie heißt Emma und ist sieben Jahre alt.

Ich gab dem Briefträger neulich eine Tüte mit Kleidern, die Prinzessin nicht mehr passen oder die sie noch nie mochte. Darin ein Tüllrock, rosa Ballettschläppchen, Lillyfee-Briefpapier .... Herr Ö. nahm die Tüte mit spitzen Fingern und stopfte sie in die Lenkerbox hinter die Einschreiben.

"Vergangene Woche gab's Theater, da wollte sie im Tütü in die Schule."
Ich seufzte, stellte mir Klein-Emma vor, eine schmale Gestalt mit einer duftigen Rosette um ihre Taille. Emma mit Tütü und Treckingsandale, Emma in Jack-Wolfskin-Jacke und Ballettschläppchen.

Herr Ö. wuchtete das Postfahrrad von seinem Ständer.
"Das ist sicher nur eine Phase", sagte ich.
Herr Ö. schüttelte sich. "Das ganze rosa Zeugs", sagte er, "meine Frau mag das auch nicht. Und mit diesem Lillyfee-Kommerz ziehen sie uns Eltern nur das Geld aus der Tasche."
Er boxte in den Tüll, der zwischen den Einschreiben aus der Tüte gefedert war.
"Bitte lassen Sie sie", flehte ich, "alles, was Sie bekämpfen, machen Sie nur stärker."

Wenn Herr Ö. wüsste, dass es nur dem sozialen Druck meiner Familie zu verdanken ist, dass ich nicht selber in Tüll und Spitze in der Tür stand.





Aber zurück zu Prinzessin. Wollen wir sie lieber P. nennen? Oder vielleicht P-Punkt (11)? (Bitte abstimmen oder per Einschreiben Vorschläge senden.)

Wenn ich mit P-Punkt shoppen gehe, ist meine einzige Funktion, der Kleiderständer für ihre Lederjacke (Synthetik übrigens) zu sein und zu zahlen. P-Punkt hat in Sekundenschnelle das Sortiment gescannt und weiß, ob etwas für sie dabei ist oder nicht.
Wenn ich meinen Kopf in die Umkleide schiebe, um mütterliche Beratung anzubieten, ist sie längst im Aufbruch. "Wir nehmen das und das. Das hier ist mir zu tussihaft."

Auf dem Weg zum Parkautomaten wagte ich es kürzlich, eine persönliche Frage zu stellen.
"Bei deinem Kleidungsstil gibt es da jemanden in deiner Klasse oder in Funk und Fernsehen, an dem du dich orientierst?"
"Ja, da gibt es jemanden", sagte sie.
Mit rutschte die Parkkarte aus der Hand.
"Und?"
"Ich selbst."


Immer schön fröhlich bleiben

die stolze Mama von P-Punkt

Freitag, 25. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 47: Gemüse mit Vernunftsoße


Gestern stand ich vor dem Spargel an unserem Marktstand. "Ich bin ja die einzige bei uns, die Spargel mag." Ich seufzte in den Berg mit den sahneweißen Stangen.
"Meine Tochter isst auch keinen Spargel", sagte die Marktfrau. "Wirklich schade."
Sie nahm ein paar Stangen in die Hand und knirschte damit herum.
"Und Spargel soll ja den Körper entgiften, habe ich in einer Talk-Show gehört."
"Ja, das kann nur Spargel."

Ich fasste einen Entschluss. Sollen andere ihre Familie vergiften, ich werde sie entgiften.

"Wenn Sie die Stangen schälen und schräg in dünne Scheiben schneiden", sagte die Marktfrau, "und mit einer Hand voll Petersilie in Olivenöl in der Pfanne dünsten, Sahne darüber kippen und über Farfalle-Nudeln gießen, mag das jeder."
"Wirklich?"
"Ja, hinter den Schleifchennudeln sieht keiner den Spargel."
"Aber der Geschmack."
"Gecovert von der Petersilie."
"Sie meinen, damit kriege ich sie." -
"Damit kriegen Sie sie."

Marktfrau, give me five!

Jetzt war ich so eine Frau aus der Live-Style-Zeitschrift. Spargelköpfe lugten aus meinem Weidenkorb am Fahrrad, mein Rock und die glatte Petersilie flatterten im Wind.
"Seht her, ihr Tütensuppen-Mamis, in dieser Familie wird frisch gekocht, mit Ökostrom geheizt, Regenwasser gesammelt und mit Spargel entgiftet. In dieser Familie zerreiben die Kinder Küchenkräuter zwischen ihren kleinen Fingern und saugen das Aroma ein von Kerbel, Liebstöckel, Minze, Petersilie.... Diese Familie hat zwar kein Segelboot, aber wenn sie tagelang mit dem Tretboot auf der Alster unterwegs ist, bekommt keiner, wirklich keiner aus der Besatzung Skorbut."




(Meine Kinder haben von klein auf Angst vor Skorbut, weil ich ihnen eingetrichtert habe, dass einem dabei auf einen Schlag das ganze Gebiss aus dem Mund fällt und dass das die einzige Form von Zahnverlust ist, auf den die Zahnfee nicht reagiert - weil selbst verschuldet durch Vitamin-Boykott.)

Zu Hause gab ich meiner Teflonpfanne das Gefühl, sie sei aus Kupfer und tue ihren Dienst in einer weitläufigen Landhausküche. Ich goss den Ökotest-Sieger Olivenöl hinein, schubste die Spargelscheibchen in das spritzende Öl, schüttelte das Wasser aus der Petersilie. Dass ich nur noch H-Sahne hatte, sorgte für einen kleinen Einbruch meines Lifestyle-Feelings. Lässig warf ich provencialisches Meersalz in die Pfanne. Bin ich Sarah Wiener oder bin ich Sarah Wiener?

Kurz bevor ich das Schleifchen-Nudel-Wasser abgoss, fasste ich einen Vorsatz: Ich werde die Kinder beim Essen zu nichts überreden. Kein Referat über den Vitamin-C-Gehalt von Petersilie, kein "Probier doch wenigstens mal", keine Erpressung mit "Eis zum Nachtisch", kein Wort vom Entgiften.

Prinzessin (11) war in den vergangenen Sommerferien auf einem Ponyhof. Dort galt die Regel, jedes Kind müsse jedes Essen zumindest probieren. Was für eine blöde Regel! Da verkümmern einem doch die Geschmacksknospen. Ich möchte nur von einem Fall hören, in dem ein Kind nach dem Probelöffel gerufen hat. "Mmmmmmmh, du hast Recht, Mama, Papa, Oma, Ponyhofköchin ..., es schmeckt ja doch ganz gut. Da habe ich alter Trotzkopf mich aber gründlich getäuscht. " Nennt mir einen Fall, nur einen einzigen und ich esse Zitronat (brrrr, würg ...).
Eines Mittags gab es auf dem Ponyhof Sauerkraut. Prinzessin (11) hat sich den Probierlöffel reingestopft und es damit gerade noch bis zur Toilette geschafft.

Ich verteilte die Teller, stellte ein Schüsselchen mit Parmesan, eine Flasche Ketchup und Butter auf den Tisch. Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass jemand nur Nudeln und keine Spargel-Petersilien-Sahne-Pfanne möchte, war ich gerüstet. Zu meinem Lifestyle-Gefühl gesellte sich eine Stimmung der Toleranz und Menschenfreundlichkeit. Die petersiliengesprenkelte Sahne in der Pfanne schäumte mit meiner Lebensfreude um die Wette. Das musste die Kinder doch mitreißen.

Ich mache es kurz.
Prinzessin lehnte meine Kreation ab, nahm Ketchup.
Kronprinz (14) kostete Spargelpfanne in homöopathischer Dosis und verlangte einen neuen Teller.
Ich aß die ganze Spargelpfanne allein. Mensch, bin ich entgiftet.

Trotzdem bereue ich nichts. Mein Weg wird weiterhin sein:
  • Mit Freude gut kochen.
  • Die Kinder nie dazu überreden, etwas zu essen, was sie nicht möchten. 
Ein Satz von Stephan und Maria Craemer viel mir noch ein: "Kinder würden mehr Gemüse essen, wenn es nicht mit moralischer Vernunftsoße serviert würde." 

Bei dem Rezept "Garnelen-Curry mit Chili" (hier, statt Garnelen geht auch Hühnchenfleisch) hat es wunderbar geklappt. Da wollten meine Kinder Nachschlag beim Hauptgang. Das war das erste Mal seit Jahren.

Immer fröhlich kochen und ohne Vernunftsoße genießen.

Uta

Montag, 21. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 46: Brief an meinen Mann


Mein lieber Mann,

neulich abends schautest du in dein Bordeaux-Glas und sagtest: "Schreibe doch mal darüber, was man gegen die Wehmut tun kann, die einen anfällt, wenn die Kinder flügge werden."

Du hattest Bobby angeboten, ihn im Auto zum Übernachtungsbesuch bei einem Freund zu bringen.

Bobby hatte abgelehnt.

("Bobby" war mal unser Arbeitstitel für den ganz kleinen Kronprinzen.)

Er wollte allein mit dem Fahrrad fahren. Und es war nicht mehr Bobby, der aufs Rad stieg, sondern ein Vierzehnjähriger, der - seinen Seesack männlich geschultert - so schnell um die Ecke verschwunden war, dass dein Winken im Ansatz erschlaffte.

Manchmal gehst du dann in den Keller, wo die Kästen mit den Fotos stehen: Bobby auf dem ersten Fahrrad, Bobby mit Prinzessin auf dem Schoß, Bobby mit einem Steinbruch von Milchzähnen im Mund, Bobby am Strand, in der Wanne, auf dem Trampolin ...

Im Keller zwischen den Kästen hat die Wehmut leichtes Spiel.

Da findet man solche Fotos von euch beiden.



Aber was kann man tun gegen den Eltern-Blues, der einsetzen kann, wenn das Erstgeborene in die Pubertät kommt?
  • Sich klar machen, dass das ein klassischer Mangel-Context ist.
  • Sich klar machen, dass man dann die "Früher-war-alles-besser"-Brille auf der Nase hat.
  • Sich klar machen, dass das Jetzt einen schweren Stand hat gegen die ach so schöne Erinnerung.
  • Sich klar machen, dass man die Gegenwart beschädigt, wenn man die Vergangenheit überhöht.

Du siehst den großen Kerl und statt dich an seinen breiten Schultern zu freuen, läufst du Gefahr zu denken: "Och, ich kann ihn jetzt nicht mehr auf den Schoß nehmen."

Er ist abends unterwegs. Und statt dir zu sagen: "Hey, alles richtig gemacht: er hat jede Menge Freunde und zieht mit ihnen um die Häuser" guckst du durch die Wehmut-Brille und denkst: "Ich kann ihm gar nicht mehr vorlesen."

Statt dich zu freuen, dass du ihm das Rasieren und Krawattebinden beibringen kannst, bist du traurig, dass er die blaue Latzhose mit dem kleinen Teddybären in der Brusttasche nicht mehr trägt.

Die Phase, in der er jetzt steckt, ist Mannwerdung.

Wie spannend! Wie entscheidend!

Und wen braucht er dafür mehr als jeden anderen?  Seinen Vater.

Klar, Freunde auch. Mit denen verbringt er jetzt die meiste Zeit.

Aber seinen Vater braucht er als Rückhalt, als großen Mann, als Hort der Erfahrung.

Mehr im Hintergrund, ohne Anbiederung, aber verlässlich und stark, ein Leitbild, ein Fixstern hoch über der Achterbahn der Gefühle, auf die ihn die Pubertät geschickt hat.

Und da du es bist, der sich immer ein Blog mit ganz viel Nutzwert wünscht, voila:
  • Halte ihm keine Vorträge über den Fettgehalt von Kartoffel-Chips, sondern macht selber welche. 
  • Geht mal wieder Kartfahren. Vielleicht zusammen mit seinen Freunden und deren Vätern.
  • Zeig ihm, wie man ein gutes Steak brät, oder baue mit ihm den höchsten und leckersten Burger, den er je gesehen hat.
  • Lass uns die alten Fotos aus dem Keller holen und mit einem Beamer an die Wand werfen. Vielleicht kramen unsere Freunde auch ihre Fotoschätze aus dem Archiv und wir haben zusammen viel Spaß ( ätsch, Wehmut, jetzt haben wir es dir aber gegeben)
  • Macht doch einmal im Monat einen Pokerabend. Das hatte euch doch neulich bei den Freunden so viel Spaß gemacht.

Wenn wir beide zuviel im Keller sitzen und alte Fotos angucken, kriegen wir nicht mit, wenn er hungrig oben durch die Küche tigert und verpassen den seltenen mitteilsamen Moment eines männlichen Teenagers beim Mitternachtsmüsli.

Du bist ein wunderbarer Vater. Und du hast schon so viele tolle Sachen mit deinen Kindern unternommen.

Lass dich nicht von der Wehmut in den Keller drücken.

Das Schöne ist jetzt.

Immer schön fröhlich bleiben

deine Uta


Donnerstag, 17. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 45: Respekt beim Bäcker


Neulich wartete in der Schlange beim Bäcker ein Mann mit seinem Sohn. Der Junge, etwa fünf Jahre alt, kletterte - wie alle Kinder - auf die Taschenablage. "Komm da runter, Lennard, das darf man nicht."- "Wieso?" fragte der Junge. "Das, das ... steht da", sagte der Vater.  "Wo denn?" - "Ja, da irgendwo."

Mein Blick wanderte die ganzen Auslagen entlang, suchte zwischen Laugenwecken und Semmeln im Regal. Nirgendwo ein Schild.

"Ich sehe nichts, du lügst, Papa!" - "Doch, du musst nur mal genau gucken." Der Junge suchte fieberhaft. "Wo steht das denn?" Er weinte fast. Vater scannte das weibliche Publikum im Laden, räusperte sich und sagte: "Das steht da in Blindenschrift auf den Mohnbrötchen."

Hö, hö.

"Bommm, bomm!" mit zorniger Wucht trommelte der Junge auf die Scheibe der Auslage.

"Recht so, Lennard", dachte ich, "dein Papa lügt dich an und reißt auf deine Kosten altbackene Witze in der Öffentlichkeit. Trommel ruhig, bis der Bienenstich zittert."

Unser Backstuben-Comedian aber gab jetzt den durchsetzungsfähigen Vater: "Jetzt reicht es aber, Lennard." Er packte den Jungen grob und zerrte ihn von der Taschenablage.

Was dachte dieser Vater? Dass Lennard ja "nur" ein Kind ist? Dass es irgendwie putzig ist, wenn er wütend wird? Dass wir Mütter im Laden beeindruckt sind von diesem pädagogischen  Winkelzug?

Okay, vielleicht wusste er nicht, dass Kinder, bis sie etwa acht oder neun Jahre alt sind, keine Ironie verstehen. Aber ein Blick auf seinen Sohn hätte gereicht, um zu merken, dass er ihn gerade unglücklich macht.

Er hätte ihm ruhig verbieten können, auf die Taschenablage zu klettern. Sogar ohne Angaben von Gründen.

Aber ihn anflunkern und sich öffentlich über seine Gefühle lustig machen?

Vielleicht mag mancher denken, ich bin da übertrieben kritisch mit diesem Vater ... diesem Gockel, diesem eitlem Fatzke... (okay, ich hör jetzt auf).

Aber wenn ich an etwas glaube, dann daran, dass kaum etwas so wichtig ist wie unsere innere Haltung zu unserem Kind.

Habe ich keinen Respekt vor dieser einzigartigen Person, die mein Kind ist, kann ich selber keinen von ihm erwarten.

Wenn ich mein Kind nicht achte und keine Gelegenheit auslasse, es zu beschämen, fliegt mir diese Art von "Erziehung" spätestens in der Pubertät um die Ohren.


Im Elterntraining wäre das jetzt der richtige Moment für diese Skizze.




Ich würde mit dem Flipchart-Marker auf den Sockel klopfen und sagen, dass Erziehung ohne Beziehung nicht funktioniert und dass man jede Einflussnahme auf das Kind in die Tonne tun könne, wenn die hier (klopfen auf die Säulen) nicht stabil sind.

Bei einer guten Gruppe herrscht jetzt eine feierliche Stille.

Ich liebe diesen Moment, wenn ich eine große Wahrheit in den Raum schleudern darf und alle Gespräche verstummen.

In der Stille kann ich noch "Achtsamkeit", "das Kind sehen" und "Respekt" quer auf die Säulen schreiben. Man hört nur das Quietschen des Markers.

Die ersten Mütter zeichnen das Bild ab, die ersten Väter schauen im I-Phone, ...

... wo es sonst noch Bäcker gibt.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Montag, 14. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 44: Live high


Noch ein Nachtrag zur Konfirmation.

Bevor sie alle kamen,


war ich aufgeregt.

Werden wir rechtzeitig fertig? Ist die Torte aufgetaut, der Kaffee nicht zu stark? Wo ist der Zettel für die Fürbitte? Bekommen wir alle einen Platz in der Kirche?

Es war 11.30 Uhr Ortszeit, noch dreieinhalb Stunden bis zur Kirche, als der Konfirmand (auf dem Bild mit der gestreiften Krawatte) diese Musik aufdrehte.

Fußtritt für den Staubsauger, Tischdecke in die Ecke gepfeffert, jetzt wird getanzt.

Wir rissen die Arme hoch, hüpften quer durchs Zimmer, steppten bis zur Treppe. "Hey, lass das noch mal laufen." Hüften kreisten sich schwindelig, Prinzessin (11) lachte Tränen. "Mama, dein Tanzstil ist so krass peinlich." Wir grölten, schwitzten, lagen uns in den Armen. Sooooooo gut.

Die Anspannung der letzten Tage? Einfach weggetanzt.

Leben ist für mich ohne Musik nicht denkbar. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Etüde am Klavier. Ich meine das Aufdrehen der Anlage, die spontane Disco im Wohnzimmer, ich meine Aretha Franklin unter der Dusche, das Percussion-Solo auf dem Sideboard, der Groove bis in die Milz.

Ausgelassen, frei, jede Bewegung von tief drinnen.

Ich habe nicht viel Ahnung von Musik, hatte nie eine nennenswerte Plattensammlung. Und wenn im Autoradio was läuft, was mir gefällt, muss ich immer die anderen fragen, von wem das ist. Egal.

Tanzen und Singen - das macht das (Familien-)Leben so viel schöner und leichter.


  • Aktuell lieben Prinzessin und ich "I say a little prayer" von Aretha Franklin (20 Greatest Hits, Nr. 10). Wisst ihr, das ist der Song, den auch Ivy Quainoo mit The Bosshoss gesungen hat in diesem traumhaften roten Glitzerkleid.
  • Nach einem hektischen Tag kommen wir beim Abendessen gerne runter mit Klaviermusik von Ludovico Einaudi
  • "You can do what you want" von Cat Stevens finde ich toll für einen beschwingten Start in den Tag. ("And if you want to live high, live high ....) 
  • Auf Höhe der ersten Düne von Hennestrand (Dänemark), unserem liebsten Entspannungsort, schieben wir im Auto gerne "Gabrielles Sang" aus dem Film "Wie im Himmel" ein. Dann schmettern Prinzessin (11) und ich in unserem Möchte-gern-Schwedisch 

"Jag vill leva lycklig
för att jag är jag, 
kunna vara stark och fri 
se hur natten gar mot dag." 

"Ich will glücklich leben, 
weil ich ich bin, 
stark und frei sein können, 
sehen, wie die Nacht zum Tag wird." 

Und die Männer im Auto rollen die Augen und prüfen, ob alle Fenster und das Dach dicht sind.


Was hört ihr denn so für den "Live-high-Modus"?


Immer schön fröhlich tanzen und ausflippen

Uta

Donnerstag, 10. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 43: Mit Musik nach Innen wenden


Ich weiß, ihr mögt lieber meine Posts im Stil von "Nur der Pudding hört mein Seufzen".

Ihr mögt es persönlich, mit Schimpfen und Scheitern, mit Prinzen in der Pubertät und Eltern, die nur in ihrer Nachgiebigkeit konsequent sind.

Trotzdem kommt jetzt der dritte Teil des Interviews. Versprochen ist versprochen.

Es sind so schöne Sätze in dem Interview. Zum Beispiel:



"So entsteht Musik und die Kinder merken: Nicht nur Mozart hat was gehört und umgesetzt, ich kann das auch. So lernen sie, sich nach Innen zu wenden."

"Du bist wie ein Garten mit ganz tollen Samen und ich will die Verantwortung nicht übernehmen, dass du das vergammeln lässt, nur weil ich zu nett bin."


"Man macht nicht Musik, weil man muss. Musik ist der innerste Ausdruck, den es gibt." 

 "Es geht mir um den Menschen, es geht mir darum, dass sie ihre inneren Aufgaben erfüllen können. Und jeder wird mit so einer Aufgabe geboren."


Sind das nicht erhebende Sätze!? Wäre ich ein HTML-Profi, würde ich sie in Gold bloggen.

Aber jetzt kommen die Sätze im Zusammenhang im letzten Teil des Interviews und dazu noch ein paar Tipps für den Instrumentalunterricht.



Interview mit der Klavierlehrerin und Pianistin 
Petra Bleser-Arp


Teil 3

Bei der Frage nach Lust und Disziplin bewegt man sich auf einem schmalen Grat, oder? 
In diesen Medienzeiten ist es schwer, gegen die Lust, Computer zu spielen anzukommen. Die Kinder kennen kaum noch Langeweile. Und das ist das Beste: wenn sich Kinder langweilen. Die fangen dann nämlich an zu üben. Manchmal bin ich ganz überrascht und frage: „Was ist denn mit euch los, ihr habt ja geübt?“ - „Ja, mir war langweilig, ich war ja noch nicht so richtig gesund und es war ja keiner da und fernsehen durfte ich auch nicht und da habe ich geübt.“ - „Und war's schlimm?“ - „Neee“. 

Spielen Ihre Schüler nur Klassik? 
Nein, die Jungs, die ich unterrichte, haben bisher fast alle Filmmusik gespielt, „Fluch der Karibik“ zum Beispiel. Und die Mädchen wollen gerne Bruno Mars spielen. Das ist für mich sehr mühsam, das alles herauszusuchen. Trotzdem habe ich sie gelassen und versucht, immer im Kopf zu haben, dass man manchmal von der Filmmusik zu Prokofjew kommt oder von der „Fabelhaften Welt der Amelie“ zu einer anderen Form von französischer Musik. Nach dem letzten Schülerkonzert sagten einige Jungs: „Petra, ich finde, ich sollte jetzt mal Klassik spielen. Such mir mal was richtig Schweres raus.“ 

Was machen Sie, wenn Sie einen begabten Schüler haben, aber der will trotzdem nicht weitermachen?
Ich hatte das bei meiner Nichte, die ist elf Jahre alt. Ein sehr kreatives Mädchen. Sie hatte so eine Zeit, da kam sie zu mir und wollte Yoga machen. „Gut“, habe ich gesagt, „machen wir Yoga.“ Und dann haben wir Übungen gemacht und ein bisschen Blockflöte dazu gespielt. Aber irgend wann sagte sie: „Du, Petra, ich möchte wieder eine richtige Klavierstunde.“ Gewonnen! Jetzt kann sie sehr schön Klavier spielen. Allerdings übt sie immer noch wenig. Jetzt habe ich gesagt: „Ich unterrichte dich nur noch, wenn du richtig übst. Du bist wie ein Garten mit ganz tollen Samen und ich will die Verantwortung nicht übernehmen, dass du das vergammeln lässt, nur weil ich zu nett bin.“ Danach hat sie viel geübt.
Das ist so ein Satz, den Sie auch mal sagen. „Ich unterrichte dich nur noch, wenn …“. 

Ja, ich weiß ja, warum ich will, dass sie musizieren. Es geht mir um den Menschen, es geht mir darum, dass sie ihre inneren Aufgaben erfüllen können. Und jeder wird mit so einer Aufgabe geboren.
Interview: Uta

Checkliste für gute Instrumentallehrer

* Sucht den Instrumentallehrer mit großer Sorgfalt aus. Verfahrt nicht nach dem Motto: Ach, für kleine Kinder, die anfangen, reicht auch ein x-beliebiger Lehrer oder ein klimpernder Student. Gerade ein guter Start ist wichtig. Wenn das Instrument einmal in der Ecke landet, ist es schwer, einen neuen Anlauf zu nehmen.

* Sprecht mit dem Lehrer darüber, welche Anforderungen er an seine Schüler stellt. Fragt nach einem Übungsplan und ob der Lehrer die Einhaltung eines solchen Plans überprüft!

* Mag die Lehrerin oder der Lehrer Kinder und ist sie oder er an der Weiterentwicklung des Kindes ehrlich interessiert?


Tipps für das Üben zu Hause:

* Das Instrument sollte griffbereit herumliegen. Gerade Kinder im Grundschulalter und Vorschulkinder greifen gerne spontan zum Musikinstrument. Wenn es jedes Mal ausgepackt und zusammengebaut werden muss, ist die Schwelle zu musizieren oft zu hoch.

* Als Eltern solltet ihr an das Üben höchstens erinnern, mehr nicht. Druck, Stress und Abwertung des Kindes ist der Tod jeder Musik.

* Zeigt Interesse: „Lass mal hören, das klang ja schön.“ „Kennst du schon so viele Vorzeichen?“ „Darf ich mich in den Sessel setzen und zuhören?“

* Wenn du über das Nicht- oder Zuwenig-Üben verärgert bist, frage dich, welche eigenen Erwartungen im Spiel sind.

* Zehn Minuten jeden Tag ist besser als einmal eine Stunde. Trotzdem: nur erinnern! Wenn das Kind trotzdem nicht übt, ist es Aufgabe des Lehrers, das anzusprechen. Mit der eigenen Mutter oder dem eigenen Vater entbrennt viel schneller ein Machtkampf als mit einer Person außerhalb der Familie.

* Es kann eine Hilfe sein, eine feste Übungszeit zu finden. Zum Beispiel immer vor oder nach dem Abendessen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Dienstag, 8. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 42: Erzwungene Hilfsbereitschaft


Bei den Vorbereitungen zur Konfirmation sollte der Konfirmand die Stehtische aus dem Auto holen und ins Wohnzimmer tragen. Ist ja schließlich sein Fest.

"Holst du bitte die Stehtische!", brüllte ich die Treppe hoch.

"Ja, gleich."

Stille. Beginnende Verspannung in den Schultern der Erziehungsberechtigten.

Schwiegervater stand längst in der Startlöchern, um die Stehtische aufzubauen. Oma hielt die Haustür auf.

Es war, als hätte jemand beim Stopptanz die Musik angehalten.

Dabei könnte Opa in der "Ja-gleich-Zeitspanne" das Oktoberfest im Alleingang bestuhlen.

Ich blieb eisern. Es ging schließlich nicht um das Ergebnis "Stehtische im Wohnzimmer". Mich trieb eine pädagogische Mission. Kronprinz soll jemand sein, der hilfsbereit ist, der Verantwortung übernimmt, Gemeinsinn zeigt, Tatkraft ...





Schließlich stand die Heckklappe des Autos so lange offen, dass sich im Kofferraum die ersten Moose bildeten.

Beim nächsten Brüllen benutzte ich den vollständigen Taufnamen des Konfirmanden.

Es half.

Der Konfirmand trug einen - noch mal in Worten "einen" - überzähligen Stehtisch in den Keller.

(Schwiegervater war aus der mütterlichen Mission ausgeschert und hatte die anderen längst im Wohnzimmer platziert.)

Ich sage euch: Das mit dem pädagogischen Sendungsbewusstsein ist des Teufels.

Immer wenn ich im Auftrag seiner Majestät der Wertevermittlung unterwegs bin, wird es ungut.

Immer wenn ich mit doppeltem Boden kommuniziere, wenn ich sage: "Hol die Mülltonne hoch" und eigentlich meine: "Du bist zu faul, du tust zu wenig für das familiäre Gemeinwohl. Und jetzt wird ein Exempel statuiert" ist schlechte Stimmung und unterm Strich nichts gewonnen.

Immer wenn ich eine Arbeit, die ich locker im Vorbeigehen hätte tun können, künstlich übrig lasse, weil es ein Lehrstück werden soll, sollte man mich zu den Stehtischen in den Kofferraum stopfen.

Es geht gar nicht um die Mülltonne, die Tische, die Socken-Knubbel. Es geht um die Botschaft, die in Leuchtschrift auf meinem Kopf umläuft: "Sieh es ein - ich weiß es besser - du bist nicht gut genug - sieh es ein - ich weiß es besser - du bist nicht gut genug - sieh es ein ..."

Niemand mag auf diese Weise belehrt werden. Und für einen Jugendlichen im Zenit der Pubertät ist das wie Pest und Zimmeraufräumen zusammen.

Es geht nicht darum, dass dem Prinzen eine Zacke aus der Krone fallen könnte, wenn er mal mit anpackt, sondern um das verkrampft Künstliche einer solchen Aktion.

Wisst ihr, was ich meine?

Ich bin unbedingt dafür, dass Jugendliche mit dem Fahrrad die Alpen bezwingen, selber ihr Zimmer streichen oder in Rumänien Kindergärten renovieren.

Aber dieses nickelige Erteilen von kleinen Alltagslektionen ist für beide Seiten unwürdig.

Zu den schönsten Kindheitserinnerungen meines Mannes gehört, dass er zusammen mit Mutter, Oma und Großtanten am Küchentisch saß und die Bohnen sortierte, die sie im Garten geerntet hatten.

Ist das nicht verrückt, dass mein gestandener Mann dieses Erlebnis noch mehr als 30 Jahre später als so beglückend erinnert?!

Aber wehe, Mutter oder eine der Tanten hätte das eingefädelt, um dem Buben Gemeinsinn einzutrichtern. Es wäre nicht zustande gekommen oder überhaupt nicht schön gewesen.

In seinem wunderbaren Buch "Kinder der Morgenröte. Unterstützen statt erziehen" beschreibt Hubertus von Schoenebeck, wie entspannend es ist, wenn Erwachsene und Kinder ihre Konflikte erziehungsfrei austragen.

Bei erziehungsfreien Konflikten geht es nicht "um Trotz, den es zu brechen gilt, nicht um das Teufelchen, das man zum Besten des Kindes austreiben muss, nicht um das Abendland, das in der Seele des Kindes gerettet sein will. In den erziehungsfreien Konflikten gibt es keinen Angriff auf die Seele des Kindes und deswegen auch nicht eine entsprechend vehemente Verteidigung dagegen. Diese Konflikte verlaufen in anderen Bahnen, jenseits von missionarischem Eifer und innerer Not des Erwachsenen und jenseits von Wut, Hass und Verzweiflung des Kindes."

Meine neue Vorsätze:

  • Ich gestehe eigene Erschöpfung, Überforderung oder Müdigkeit ehrlich ein. Wenn mir dann jemand aus eigenem Antrieb hilft, ist das schön, aber ich halte keine moraltriefenden Vorträge. Ich kann ja die Arbeit einfach ruhen lassen und mich aufs Sofa legen.
  • Ich lasse die Kinder öfter mal allein. Arbeit fällt dann von selber an. Wenn sie Hunger haben, werden sie sich selber Brote schmieren ... und sei es mit Nutella.
  • Wenn ihre eigenen Zimmer nicht aufgeräumt werden, lasse ich sie unaufgeräumt und schließe die Türen (das hatten wir schon hier). 

Als ich mich nach der Stehtisch-Geschichte auf diese andere Haltung besonnen hatte, zerrte ich mit neuem Schwung eine Gästematratze in den Keller. "Soll ich dir helfen, Mama", rief Prinzessin (11) und packte spontan mit an.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

PS: Vielen Dank für die lieben Wünsche zur Konfirmation! 

Freitag, 4. Mai 2012

Konfirmation

Liebe Leser,

morgen feiern wir die Konfirmation von Kronprinz. Ich gehe gleich auf den Markt und hole Blumen, Blumen, Blumen ...

Ich merke, ich habe jetzt keinen Kopf für die musikalische Früherziehung, Teil 3, wird aber bald nachgeholt.

Gerade rauscht mir noch der Schädel, morgen rauscht das Fest.

Alles Liebe und immer schön fröhlich bleiben

Eure

Uta

Mittwoch, 2. Mai 2012

Glückliche Familie Nr. 41: Tonleiter mit Katze




Interview mit der Klavierlehrerin und Pianistin 
Petra Bleser-Arp

Teil 2 

Machen Sie Vorgaben, wie lange die Kinder üben sollen? 
Wenn sie zehn Jahre alt sind, empfehle ich jeweils eine halbe Stunde. Manche üben nur zehn Minuten, wenn sie noch jünger sind. Zehn Minuten jeden Tag ist besser als einmal in der Woche eine Stunde. 
Manche Klavierlehrer halten Kinder dazu an, Stücke fehlerfrei durchzuspielen. Heute sagt man doch, dass Fehler wichtig sind, weil man daraus lernt. Wie halten Sie das mit der Fehlerlosigkeit? 
Man muss analysieren, warum man Fehler macht. Habe ich das Stück gar nicht verstanden? Ist es technisch bedingt? Oder ist es Unkonzentriertheit? Wenn ich es dreimal hintereinander spiele, spiele ich es nicht mehr gut. Unser Gehirn langweilt sich sofort. Ich kann nicht eine Stelle immer wieder gleich üben, dann wird es schlechter. Deshalb brauche ich jedes Mal, wenn ich eine Tonleiter übe, eine andere Aufgabe. Zum Beispiel die Vorstellung, dass eine Katze einen Baum hochklettert und ein Vogel vor ihr flieht. Wenn ich eine Sequenz öfter üben will, helfen Bilder, um dem Gehirn immer wieder Anreize zu geben. 
Mir ist jetzt klar geworden, dass wenn der Lehrer keine klaren Anforderungen stellt, man als Eltern ... aufgeschmissen ist. Da kann man sich die Zähne ausbeißen und hat nur Stress.
Ja, das stimmt, weil man im Grunde genommen als Eltern den Lehrer überholen muss. Das will der Schüler gar nicht. Das kennen sie bestimmt auch, wenn sie zu Hause sagen, du kannst doch schon mal ein Stück weiter üben, antwortet das Kind: Nein, auf gar keinen Fall, das hat sie mir nicht aufgegeben. Kein Lehrer lässt sich gerne sagen, dass er zu lasch ist. Trotzdem sollten Sie das Thema ansprechen. 
In einem Hörfunkbeitrag haben Sie gesagt, dass Sie mal an einen Punkt gekommen waren, wo Sie nicht weitermachen wollten wie bisher. 
Das stimmt, ich habe den Unterricht verwandelt. Ich habe gelernt, dass man rein kommt und fragt: „Na, was haben wir denn heute?“ Furchtbar. Als Lehrer muss ich doch genau im Bilde sein, wo jeder Schüler steht. Da habe ich mir geschworen, dass ich das so nicht will. Ich will auch nicht „forte“ und „piano“ ins Notenheft eintragen, ohne dass der Schüler das nachvollziehen kann. Und ich will auch nicht daneben sitzen und hoffen, dass der nächste Ton endlich mal der Richtige wird. Diese Anstrengung, die sich in einem selber ausbreitet, weil man innerlich die Musik schon vorweg hört, ist furchtbar. Und weil das auch für den Schüler so nicht geht, habe ich mir Bücher über die Funktionsweise des Gehirns durchgelesen und an vielen Workshops teilgenommen. Der Grundtenor war immer, wie wichtig die Schulung des Ohres ist. Deshalb sollten Eltern mit ihren Kindern in Konzerte gehen. 



Was machen Sie noch, um Ihre Schüler zum Üben anzuhalten? 
Ich habe ein Übetagebuch entwickelt nach dem Vorbild des Kinderbuches „Gregs Tagebuch“. Da trage ich mit dem Schüler ein, was er an welchem Tag üben soll. Schließlich können sie nicht jeden Tag das Gleiche spielen, das will ja kein Kind. Und dann können sie abzeichnen, ob sie die Einheit absolviert haben oder nicht. Außerdem gebe ich ihnen hin und wieder einen Fragebogen. In dem können sie Wünsche äußern. Und ich schreibe Zeugnisse. Ich mache mir über jede Stunde Notizen, das zeige ich den Schülern, damit sie wissen, das geht nicht unter. Und nach einem Jahr formuliere ich ein Zeugnis, keine Ziffernnoten, sondern so beschreibend wie die Waldorf-Lehrer das machen. 
Was Sie machen ist das Spaßpädagogik oder disziplinierte Arbeit? 
Das fragte auch die Hörfunk-Journalistin, die einen Beitrag über mich gemacht hat. Sie hat meinen Unterricht mitgeschnitten. Danach wurde ihr klar, ich lasse gar nichts laufen. Das denkt nur der Schüler. Man muss als Lehrer das Ziel haben, dass es Freude macht. Man macht nicht Musik, weil man muss. Musik ist der innerste Ausdruck, den es gibt. 

Sie konzentrieren sich mehr auf die Stärken der Schüler als auf ihre Schwächen?
Ja. Kinder können manchmal Sachen, die wir nicht können. Ein kleiner Schüler von mir spielte mit nur drei Fingern total geschickt alle möglichen Stücke. Da habe ich gesagt: „Du, das könnte ich überhaupt nicht.“ Schon ist er zehn Zentimeter gewachsen.  Ich glaube immer an die Musikalität eines Kindes, weil ich schon einige Wunder erlebt habe. Manchmal habe ich lange gewartet und irgendwann kommt es. Damit habe ich dem Kind ein Grundgefühl fürs Leben mitgegeben. Nicht unbedingt, dass es später musiziert, aber eine bessere Organisation im Inneren erreicht. Den Glauben daran nicht zu verlieren, ist essentiell.


Am Freitag poste ich den letzten Teil des Interviews. Dann gibt es auch ein paar konkrete Tipps für alle Eltern.

Immer schon fröhlich bleiben

Uta