Freitag, 30. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 266: Kinder stark lassen


Oma rief an und sagte, sie hätte schwere Beklemmungen gespürt, als sie las, wir wollten Prinzessin ins Ausland schicken. "Nicht jetzt wird sie gehen", beschwichtigte ich sie, "vielleicht im Sommer 2016."

"Gerade Prinzessin", meinte Oma weiter, "die ist doch so anlehnungsbedürftig." Und ihr sei eingefallen, dass Prinzessin das mit dem Ausland vielleicht nur gesagt hätte, weil Prinzessin wohlmöglich Angst vor dem Zeugnis habe.

Anlehnungsbedürftig? Angst vor dem Zeugnis? Jetzt spürte ich auch Beklemmungen. Ich schrieb hier ein paar Zeilen. Das half aber nicht und ich löschte alles wieder.

Mittags ging mir auf, dass ich - angesteckt von Omas aufrichtiger Sorge - begonnen hatte, mein Kind als schwach anzusehen.

Fühlte sie sich vielleicht weniger begabt, weil der große Bruder schulisch gerade so eine Erfolgssträhne hat?

Ich begann, mich zu sorgen, hatte Mitleid bei der Vorstellung, sie könne sich weniger wertvoll fühlen.

Beim Hack-Anbraten für das Zeugnis-Essen stand ich unterm Dunst-Abzug und es war, als hätte der nicht nur die fettige Dämpfe abgesaugt, sondern auch meine blöden Gedanken.

Weg damit! Mitleid für Prinzessin? Das passt überhaupt nicht. Wir sprechen hier über die Person, die richtig wütend wurde, als meine Schwester ihr beim Tischtennis-Rundlauf im Sommer leichte Bälle zuspielte, damit sie ihren Rückstand aufholen konnte. "Das hat mich tierisch aufgeregt", sagte sie mir später, "ich will keine Punkte geschenkt haben, ich will das selber schaffen." Sie fauchte und gewann die nächste Runde.

Wir sprechen von der Person, die sich Schleife-Binden und Radfahren selber beigebracht hat.

*

Wenn Mütter mehrere Kinder haben, kann es passieren, dass sie eines als schwächer ansehen als das andere oder die anderen. Häufig bleiben sie diesem Kind gegenüber bis weit ins Erwachsenenalter hinein nachgiebiger als den Geschwistern, was dem vermeintlich schwachen Kind nicht gut tut, weil diese Art von Unterstützung aus Mitleid es mehr und mehr in eine Opferrolle bringt.

Helfen kann hilfsbedürftig machen.

Häufig steckt dahinter ein oft unbewusstes Bedürfnis der Mutter oder auch des Vaters, sich unentbehrlich zu machen - manchmal sogar ein Leben lang.

Tief beeindruckt hat mich die Geschichte des körperbehinderten Christian Lohr, die ich in dem Buch "Die Kraft der Ermutigung" von Jürg Frick gelesen habe. Lohr war 1962 ohne Arme und mit missgebildeten Beinen auf die Welt gekommen, weil seiner Mutter in der Schwangerschaft ein Medikament aus der Contergan-Gruppe verschrieben worden war. Trotz seiner Einschränkungen machte er Abitur, studierte Volkswirtschaft, wurde Redakteur bei einer Tageszeitung, engagiert sich politisch und pflegt seine Hobbys Schwimmen, Reisen und Lesen.

"Christian Lohr spürte, dass die Eltern ihn sehr ernst nahmen und die gleichen Anforderungen an ihn stellten wie an den Bruder - er sich aber auch nicht mehr Freiheiten herausnehmen durfte als der Bruder. Zudem waren seine Eltern nicht ängstlich darauf bedacht, ihm möglichst alle Gefahren aus dem Weg zu räumen." (Jürg Frick: Die Kraft der Ermutigung. Grundlagen und Beispiele zur Hilfe und Selbsthilfe. Bern 2007, Seite 153)

Das Beispiel des körperbehinderten Journalisten, bei dem die Eltern offenbar die Kraft hatten, sich nicht in Mitleid und Ängsten zu verlieren, bildet einen starken Kontrast zu immer mehr Eltern, die sich bei ihren völlig gesunden Kindern in größte Sorgen wegen ihrer Schulleistungen, ihrer Selbstbehauptung und beruflichen Chancen hinein steigern.

Vielleicht kommt ein Kind mit dem "System Schule" nicht so zurecht, glänzt aber in anderen Lebensbereichen.

Immer fröhlich vermeiden, eines seiner Kinder in die Schublade "schwach" zu stecken.

Eure Uta


PS1: Liebe Oma, ich weiß, dass du Prinzessin in keiner Weise als "schwach" siehst. Die Vorstellung, das jüngste Enkelkind allein im Ausland zu sehen, ist wohl einfach ungewohnt. Ich kann es mir ja auch noch nicht so richtig vorstellen.

PS2: Das Pixi-Buch "Thomas Schneeanzug" geht ins Allgäu. Herzliche Glückwünsche, Martina! Bitte maile mir deine Adresse, dann kann ich es losschicken.

Ich hatte übrigens eine falsche Erinnerung an die Geschichte. Am Ende steckt nicht die Mutter, sondern die Lehrerin in Thomas Schneeanzug.

Illustration von Michael Martchenko für das Pixi-Buch "Thomas Schneeanzug" von Robert Munsch (Text).

Mittwoch, 28. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 265: Lernen im Ausland


Wir waren mit Prinzessin (14) auf einem Info-Abend über Auslandsaufenthalte für Schüler. Auf der Heimfahrt im Auto habe ich sie noch einmal gefragt, warum sie ins Ausland gehen möchte.

"Ich finde das gut mit so einer festen Struktur im Internat, mit diesen gemeinsamen Zeiten zum Lernen. Meinetwegen darf man mir auch mit einem Löffel auf den Kopf hauen, wenn ich mich wieder ablenken lasse." -

"Hallo?"-

"Ja, zu Hause ist immer so viel Ablenkung." -

"Aber ich könnte dir auch eine feste Struktur bieten und ganz streng werden. Und Löffel haben wir auch." -

"Du? Tut mir leid, Mama, aber dich kann ich einfach nicht ernst nehmen." -

"Was?????"

 Fast verlor ich die Kontrolle über das Auto.

"Ich meine das nicht böse. Wir sind eine lustige Familie und das ist auch gut so. Aber vielleicht brauche ich mal was anderes."

Sehnsucht nach Struktur.





Michaela Schonhöft schreibt in ihrem Buch "Kindheiten. Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden", dass Jugendliche in Japan einen durchgeplanten Tagesablauf haben:
"Japaner setzen neben der frühen Deeskalations-Erziehung auch auf Beschäftigungs-Therapie. ... Die Schulen bieten ein umfangreiches AG- und Clubprogramm und sorgen auch in den Ferien für Entertainment. Die Jugendlichen bewegen sich also in einem engen Rahmen, ohne dass die Eltern sich groß um Kontrolle kümmern müssen. Ganztagsschulen, Nachhilfe am Wochenende und Ferienkurse sind also vielleicht gar keine so schlechte Idee, um Teenager nicht zu sehr in Versuchung zu bringen, über die Stränge zu schlagen." (Schonhöft, Seite 323)

Ich bin dagegen, Kinder (besonders kleine Kinder) zu verplanen und ihre Nachmittage mit Kursen voll zu stopfen. Aber dass es manchen Jugendlichen Halt gibt, zusammen mit Gleichaltrigen eine klare Tagesstruktur mit einem Wechsel aus Pflichten und Freizeit zu erleben, kann ich mir gut vorstellen.

Wer mit Jugendlichen zu tun hat, jongliert mit diesen drei "Bällen".


Nähe - Freiheit - Struktur


Wir brauchen also ein Internat, das nicht nur Struktur bietet (gemeinsame Phasen des Lernens, klare Regeln, kein WLAN), sondern auch eins, das Nähe zu festen Bezugspersonen bietet. Man hört immer wieder, dass Lehrer in angelsächsischen Ländern einen persönlicheren Kontakt zu ihren Schülern pflegen. Das bestätigten auch Paulina und Johannes, zwei Schüler, die an dem Info-Abend über ihre Erfahrungen in Neuseeland und USA berichteten. "Mein Lehrer dort", erzählte Johannes von seiner Zeit in Idaho, "hat sich eher verhalten wie ein Freund als wie ein Lehrer."

"Sie haben immer wieder gefragt", so Paulina, "ob ich im Unterricht auch mitkomme oder ob ich noch Material oder Hilfe brauche."

Noten für mündliche Beteiligung gab es dort nicht. Johannes: "Im Zeugnis stand bei jedem  eine 1 für Anwesenheit."

Eine 1, einfach weil du da bist. Was ist das denn für eine schöne Idee?!

Johannes erzählte auch, dass jeder Lehrer an seiner Schule in Idaho ein eigenes Büro hat. Welch eine Wohltat für alle Beteiligten! So haben Schüler eine Anlaufstelle für ein persönliches Gespräch und ein Lehrer kann sich im Schultrubel mal zurückziehen, kann sein Material und seine Bücher sicher deponieren und die Freistunden zum Arbeiten nutzen. Wäre das nicht wunderbar, wenn es das auch in Deutschland gäbe?
(Ihr merkt schon, dass ich auf meinem Blog die wesentlichen Schulreformen anstoße: Yoga im Stundenplan und Rückzugsräume für Lehrer.)

Aber zurück zu den Plänen von Prinzessin.

Wenn wir im englisch-sprachigen Raum eine Schule finden mit einer klaren Struktur, einem starken Gemeinschaftsgefühl und Lehrern mit persönlichem Engagement für ihre Schüler, wären wir im nächsten Jahr bereit, Prinzessin ein paar Monate zu entbehren.

Immer fröhlich jonglieren mit Freiheit und Struktur und vor allem (das passiert leicht in der Pubertät) die Nähe* nicht vergessen.

Eure Uta


*zusammen essen, kochen, Film gucken, joggen, mit dem Hund gehen, backen, lange Auto fahren, ....

Samstag, 24. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 264: Die bockigen Erzieher


Eine Mutter schrieb mir, dass sie im neuen Kindergarten ihrer Tochter Situationen erleben würde, die ihr Unbehagen bereiten.

Ich komme in die Kita und höre in der oberen Etage ein Kind vor der Garderobe weinen.
Im Flur kommt mir eine Erzieherin entgegen und wendet sich dem Kind mit folgenden Worten zu: "Hast du jetzt endlich ausgebockt? Dann darfst du mit nach hinten kommen. Ansonsten bringe ich dich zu den Babys, denn die heulen und bocken auch so rum wie du.“


Nächste Situation: Mein Kind teilt der Erzieherin beim Tschüß-Sagen freudig mit, dass sie gleich zu ihrem Freund fährt. Daraufhin die Erzieherin: “Das heißt nicht 'will' , das heißt 'möchte'“. Ich sage, sie hat nur gesagt  "ich fahre", nicht "ich will fahren“. Auf meinen Einwand hin hat sich die Erzieherin bei meiner Tochter entschuldigt.
Als die Erzieherin weg war, sagt Lea zu mir: “Aber zu Hause darf ich doch noch willen Mama, oder?“

Nächste Situation:“Ich komme mittags, um meine Tochter abzuholen, als ein Junge (knapp drei Jahre alt) weinend in der  Garderobe sitzt. Ihm gegenüber eine Praktikantin, die ihm sagt, sie sei jetzt auch traurig, dass er so bockt und sich nicht auszieht“.
Als ich frage, was denn war, erzählt sie, der Kleine habe sich im Reißverschluss den Finger geklemmt, sei auch getröstet worden, solle jetzt aber, weil er es ja könne, seine Regenhose alleine ausziehen. Sie müsse ihn jetzt ja nicht behandeln wie ein Baby.
Ich weiß, dass ich meinen Kindern oft zuwenig zutraue und viel abnehme, aber in dieser Situation habe ich gesagt: "Ich glaube, er ist müde und braucht Nähe. Er möchte einfach, dass jemand ihm über diese Hürde hilft und ihm zum Trost die Hose auszieht."
Erst guckte sie mich komisch an, dann machte sie es aber tatsächlich und ein Strahlen ging über das Gesicht des Kindes. Er umarmte sie, schnappte sich seine Hausschuhe, zog sie an, flitzte zum Händewaschen ins Bad, um endlich mit seiner Gruppe essen zu können.
Leider kam in dem Moment, als die Praktikantin dem Jungen aus der Regenhose half, der Erzieher dieses Kindes vorbei und sagte:“Das glaube ich doch wohl nicht. Das kannst du allein. Ab morgen geht das aber wieder!“



  • Die Situationen, die Inga beschreibt, sind - jede für sich genommen - nicht dramatisch. Aber sie zeugen von einem durch Regeln erstarrtem, wenig liebevollem Verhalten den Kindern gegenüber. 
  • So etwas kann vorkommen. Und Erzieher haben auch mal einen schlechten Tag. Aber wenn die Grundatmosphäre dort so ist, würde ich erst der Erzieherin meines Kindes (1. Stufe) und dann der Kita-Leitung fröhlich freundlich, aber klar meine Eindrücke schildern. "Mich beunruhigt, dass .... Ich habe Frau Soundso auch schon darauf angesprochen. Da ich es jetzt mehrfach erlebt habe, möchte ich Ihnen das mal schildern ...".
  • Sicher haben diese Erzieher auch Gutes im Sinn. Sie haben vielleicht gelernt, dass man Kindern helfen soll, selbständig zu werden. Kinder im Kita-Alter haben aber sowieso den natürlichen Drang, möglichst viel alleine zu probieren. Man sollte ihnen nicht vorauseilend alles abnehmen. Aber man sollte sie auch nicht alleine lassen, wenn sie mit einer Situation überfordert sind. Und der natürliche Drang, alles alleine machen zu wollen, geht kaputt, wenn wir sie mit diesem Selbstständigkeits-Ding drangsalieren. 
  • Warum denn so ein Krampf? Wo bleibt die Intuition, wo das Gefühl für das Kind in diesem speziellen Moment?
  • Dann dieser Vorwurf, ein Kind sei bockig oder verhalte sich wie ein Baby. Das ist ein Hebel, der sehr wirksam ist. Ich erinnere mich sehr unangenehm daran, es selber auch gemacht zu haben, weil Kleinkinder das so trifft, besonders das mit den Babys. Sie wollen alles sein, Monster, Vampire, Superman, aber - um Himmels willen - keine Babys mehr. Es war Jesper Juul, in dessen Büchern mir das klar wurde. Er schreibt: 
"Wenn wir dem Kind die Schuld geben (daran, dass etwas nicht funktioniert, Anmerk. der Bloggerin), kränken wir seine persönliche Integrität und reduzieren seine Lebenstauglichkeit. Schuld und Scham sind die beiden selbstzerstörerischsten Gefühle, die wir kennen." (Jesper Juul: "4 Werte, die Kinder ein Leben lang tragen",  München 2014, S. 29) 
  • Ich kann als Erzieher sagen: "Alle ziehen ihre Jacken und Regenhosen aus und hängen sie an ihren Haken." Bei den Kindern, die das nicht schaffen oder es nicht machen, kann ich Hilfe anbieten. Bei Kindern, die einem grundsätzlich alles hinstrecken und immer Hilfe wollen, kann ich sagen: "Heute helfe ich dir, aber ich bin mir sicher, bald schaffst du das alleine." Wenn sich trotzdem an der Situation nichts ändert, kann ich sagen: "Es tut mir leid, ich muss den anderen Kindern im Gruppenraum helfen, den Tisch zu decken, ich habe keine Zeit, dir jeden Tag aus den Kleidern zu helfen. Komm einfach nach, wenn du soweit bist. Und wenn es gar nicht geht, sagst du noch einmal Bescheid." Ich kann bei mir und dem Funktionieren meiner Arbeit bleiben, ohne das Kind abzuwerten. 
  • Ein Kind, das sich gerade weh getan hat, möchte Nähe tanken, wie Inga es der Praktikantin zu verstehen gegeben hat. Es ist dann nicht der Moment, in dem es Aufgaben erfüllen oder Herausforderungen bestehen kann. Wie man gesehen hat, ging dann alles viel leichter, als die Praktikantin dem Jungen über die Hürde geholfen hat. Im Grunde war die Praktikantin bockig und die anderen Erzieher auch und die Kinder halten den Erwachsenen bloß einen Spiegel vor. 

Danke, liebe Inga, für deine Mail mit den Kita-Erlebnissen!

Bei Ingas Schilderungen fiel mir ein Pixi-Buch ein, das wir mal hatten. Es ist für mich das lustigste Pixi-Buch überhaupt. Es handelt davon, wie eine Mutter versucht, ihrem Kind einen Schneeanzug anzuziehen. Es entsteht ein fürchterlicher Kampf und am Ende steckt die Mutter in dem Schneeanzug. Herrlich. Ich habe im Netz noch ein Exemplar dieses Büchleins aufgetrieben und verlose es heute zum (jetzt alle ein Trommelwirbel) ... dritten Geburtstag meines Blogs.

Sorry, ich hätte gerne zehn davon verschenkt, aber es gab nur noch eins. 





Wer an der Verlosung teilnehmen möchte, schreibe mir bitte bis Donnerstag, 29. Januar, 9 Uhr einen Kommentar mit einer Episode zum Selbständigwerden und einem Hinweis, ob ihr an der Verlosung teilnehmen möchtet. 

Immer fröhlich ohne Abwertung und Zwang Kinder selbstständig werden lassen.

Eure Uta 

Mittwoch, 21. Januar 2015

Glückliche Familie Nr.263: Fundstücke


Mir gefällt der Gedanke, dass wir alle gemeinsam durch die Zeit reisen. Diese Reise verstehe ich als wunderbare Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Tag für Tag. Damit das voran geht, schreibe ich gelegentlich Erkenntnisse in mein Weiterentwicklungs-Buch. Es sind Fundstücke aus Zeitungen oder Büchern oder Worte von Freunden.




Da stehen so Sätze wie:


In vielen Lebensbereichen bin ich viel zu zurückhaltend und zeige mich zu wenig. Das sind vielleicht 70 Prozent Uta. 2015 ist Schluss damit. Und ich bin auch bereit, dafür das eine oder andere einzustecken.

*

Das schwache Ich lädt die anderen ein, es zu dominieren, und dann jammert es darüber, übervorteilt worden zu sein.

 *

Es ist der Zweifel an mir selber, der mir Einbrüche beschert in das grenzenlose Vertrauen in meine Kinder.



"Ich behandele die Heranwachsenden als Menschen, nicht als Kinder, nicht als Jugendliche, nicht als Pubertierende." (eine Trainerin der CoachingAcademie auf die Frage, warum sie so gut mit den Halbwüchsigen zurecht kommt)





*

Ich gebe auf, etwas über mich beweisen zu müssen. Mein Sein reicht völlig. Buddhisten sagen: "Es gibt nichts zu erreichen. Jetzt geh los."

*

Ich darf nicht so empfindlich auf Kritik reagieren. Ich übe, ohne Anerkennung von außen zu sein.

*

Was hilft mir, das Leben voll auszuschöpfen?
- nicht so um sich selber kreisen, nicht jedem Gefühl auf den Grund gehen müssen; man ist mal schlecht drauf, na und?
- mich immer wieder herausfordernden Situationen zu stellen: kleine Mutproben täglich erweitern die Möglichkeiten
- mich mit Schönheit umgeben, selber schön sein; ich mag das Blogger-Motto "Beauty is where you find it", mir gute Kleidung gönnen, Pflege, gutes Essen genießen, von schönen Dingen umgeben sein





*

Ich mag es nicht, wenn Leute Filme mit Happy-End oder Bücher, die lustig sind, für oberflächlich halten. Warum bloß sprechen wir der Fröhlichkeit ab, etwas mit der Realität zu tun zu haben, während wir Leiden gerne mit Tiefgang gleichsetzen? 

*

Unser Freund, Vater einer vierjährigen Tochter, hat diesen Artikel über ein junges deutsches Paar gelesen, die ihre Elternzeit in Asien verbringen. 
Dort wird geschildert, dass besonders die Burmesen so freundlich auf Kinder reagieren:
 „Ein gehobenes Restaurant in Mandaly. Draußen knattern Mopeds über die staubigen Straßen, ein paar Fahrradrikschas zockeln hinterdrein. Wir bestellen Salat aus fermentierten Teeblättern, Melonensaft, man reicht uns Palmzuckerstückchen zum Tee. Tom haut den Kellner mit einer leeren Plastikflasche. Ich zucke zusammen. Wie war das noch? Nicht schimpfen! Die hübsche Kollegin des Kellners lacht hell auf, nimmt Tom die Flasche ab und schlägt ihrerseits nach dem jungen Mann. Kinder dürfen Kinder sein. Erwachsene offenbar auch.“
Nachdem unser Freund diesen Artikel am Frühstückstisch gelesen hat, sagte er: "Ich bin ein Burmese." 






*


Ich mag, dass der Chefredakteur von "Titanic", Tim Wolff, sich nicht mitreißen lässt von der kollektiven Angst und Betroffenheit über die Bluttaten in Paris, sondern im Interview auf die Frage, was mögliche Reaktionen eines Satire-Magazins auf diese Morde sein könnten, sagt: 
"Ich würde eher die Parole ausgeben, terrorfeindliche Witze zu machen, weil - wenn man sich jetzt hinstellt und sagt, jetzt müssen wir ganz viel Mohammed-Karikaturen machen, beleidigt man auch sehr viele Menschen, die Satiriker nicht töten wollen." (hier zu dem ganzen Interview von Sven Lorig im Nachtmagazin der ARD mit Tim Wolff, das mich sehr beeindruckt hat)


*

"Ich würde von einem Wechsel der Religion abraten, der ist für die meisten viel zu schwierig ... Bleibt doch in der Tradition eures Landes verhaftet. Zu euch Deutschen passt das Christentum, zu uns Tibetern der Buddhismus. Religion muss man ernst nehmen, die kann man nicht wie eine Mode wechseln."  (der Dalai Lama anlässlich seines Besuches im August 2014, zitiert im Hamburger Abendblatt vom 27.8.2014) 





*

"Mir gefällt der Gedanke, dass wir die Toten auch dadurch ehren können, dass wir froh an sie denken. Warum müssen wir traurig sein, wenn wir uns an sie erinnern?" (meine Freundin, ich fürchte nicht ganz wörtlich)

*


Der Ausdruck, dass wir alle gemeinsam durch die Zeit reisen, stammt aus dem Film "Alles eine Frage der Zeit" von Richard Curtis (Autor von "Tatsächlich ...Liebe", "Notting Hill", "Vier Hochzeiten und ein Todesfall"). "Alles eine Frage der Zeit" handelt von Tim, der von den Männern seiner Familie die Fähigkeit geerbt hat, in die Zeit zurückzureisen. Tim nutzt diese Fähigkeit, um Schlüsselszenen in seinem Leben noch einmal zu erfahren und sich dort liebevoller, entschiedener und leidentschaftlicher zu verhalten. Am Ende merkt er, dass er den Zeit-Reisen-Hokuspokus nicht mehr braucht und von nun an jeden Tag so angeht wie auf seinen Vergangenheits-Trips. Ich liebe diesen Film. Er ist eine große Liebeserklärung an die Idee "Familie", voller Wärme und Humor.

*

Sich immer fröhlich weiter entwickeln.

Eure Uta 

Mittwoch, 14. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 262: Die Gefühls-Keule


Beim Italiener saß am Nebentisch eine Frau mit ihrem vierjährigen Sohn. Theo hatte vom Kellner Papier und Buntstifte bekommen, verlor aber bald die Lust am Malen und kletterte auf dem Schoß seiner Mutter herum. Er zog an dem Kragen ihrer Bluse und verdrehte die Kette.

"Hör bitte auf damit." Mutter konnte sich kaum noch mit der Freundin unterhalten, sprach rotgesichtig unter Theos Arm hindurch und gelangte nur unter großen Verrenkungen an Olivenöl und Brot. Theo verschärfte sein Programm, zog an ihrem Ohr, kniff sie in den Hals.

"Du schimpfst gar nicht." Der Junge ließ die Kette los und schaute seine Mutter groß an. "Ich mag Schimpfen nicht", sagte die Frau, "wir wollen doch lieb zu einander sein. Aber es macht mich traurig, wenn du mir weh tust."

Diese Frau meint es unheimlich gut. Sie will nicht grob sein, ihr Kind nicht einschränken in seinen Freiheiten, schenkt ihm körperliche Nähe und erträgt - vermeintlich für Theo -, was an Folter grenzt.

Und Theo will es wissen. Ist meine Mama ein selbstbewusster Mensch aus Fleisch und Blut oder ein Dummy für meine Experimente?

Ich glaube, dass die breite Psychologisierung unserer Gesellschaft seit dem Psychoboom der 70er Jahre uns einen leichten Knacks verpasst hat. Wir lehnen Autorität ab und halten Macht für eine gefährliche Sache. Wir schlagen und demütigen unsere Kinder nicht mehr. Gott sei dank! Aber irgendwie sind viele von uns (ich eingeschlossen) auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Wir glauben, alles mit erklären, verstehen, reden, sich über Gefühle austauschen ... lösen zu können. Und wenn das dann nicht funktioniert, sind wir so verunsichert, dass unsere persönliche Autorität verloren geht. Leider spüren Kinder das sehr genau.

Eltern trauen sich nicht mehr zu sagen: "Ich will das nicht" oder das Kind zu nehmen und ohne große Worte auf den Boden zu setzen.

Manche Eltern trauen sich nicht mehr, ungebremst sie selber zu sein.




Stattdessen setzt Theos Mutter die "Gefühls-Keule"ein. "Es macht mich traurig, wenn du mir weh tust."
Als wäre Theo verantwortlich für die Gefühle seiner Mutter. Nicht Theo macht sie traurig. Sie fühlt sich schlecht, weil sie nicht eingetreten ist für ihre eigenen Grenzen. Das kann sie nicht dem Vierjährigen in die Schuhe schieben.

Wenn man das ständig so macht (gerne genommen wird auch "ich bin enttäuscht von dir" oder umgekehrt "Es macht mich glücklich, dass du eine 1 in Mathe hast"), erzieht man Kinder dazu, sich verantwortlich zu fühlen für die Gefühle ihrer Eltern und anderer Menschen. Eine unglaubliche Bürde.

Ich weiß, das ist ein sehr schmaler Grat. Auch ich habe schon geschrieben, man solle authentisch sein und Ich-Botschaften senden. Aber authentisch wäre in Theos Fall zu sagen: Stufe 1: "Hör auf damit, ich will das nicht." Stufe 2: "Ihn zu nehmen und wieder auf seinen Stuhl zu setzen." Und nicht: "Ich bin traurig, wütend, enttäuscht ...".

Eine solche Reaktion ist gut für das Selbstgefühl des Kindes. In den Eltern hat es dann Vorbilder, wie man klar für seine Bedürfnisse eintritt, statt aus eigener Schwäche andere mit seinen Gefühlen zu erpressen.

Was lässt sich daraus folgern:
  • Entschieden einstehen für seine eigenen Grenzen. "Ich will das nicht!"
  • Die eigenen Gefühle nicht als Hebel in der Erziehung einsetzen.
  • Wenn ich ein verheultes Gesicht habe und die Kinder fragen "warum?", erkläre ich natürlich, dass ich traurig bin, weil zum Beispiel ein guter Freund so schwer erkrankt ist, aber ich setze meine Gefühle nicht als Druckmittel gegenüber den Kindern ein.

Immer fröhlich "Ich will"-Sätze bilden und bloß nicht die Gefühls-Keule schwingen.

Eure Uta 

Mittwoch, 7. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 261: Geburtstag und Erkenntnisse


Weil die Fotos heute überhaupt nicht zum Text passen, fange ich mal damit an.

Prinzessin (14!) hatte gestern Geburtstag und bekam viele Kissen geschenkt. Das Hintere ist selbst genäht, die weiche Pistole ist von "Smallable".


Die sind auch selbst gemacht. Man achte bitte auf das Label, einem Geschenkband, das ich eingenäht habe. Jeden Tag muss ich ins Zimmer laufen, um dieses Herz anzuschauen. Prinzessin ist schon schwer genervt. 



Und jetzt kommt, wovon ich schreiben wollte und wozu ich kein Bild hatte.

In den Ferien hatte ich im Freundeskreis verschiedene Gespräche darüber, wie das so läuft mit den Kindern.

Dabei ist mir aufgefallen, dass sich alle Erziehungsprobleme auf die alte Frage

"Sind wir zu nachgiebig oder sind wir zu streng?"

herunterbrechen lassen.

Wenn es nicht funktioniert mit den Kindern, ziehen die meisten den Schluss, sie hätten nicht genug durchgegriffen.

Das läuft so:

Stufe 1: Man hebt das kleine Kind auf ein Schild und lässt sich alles von ihm gefallen, weil es eine so einzigartige Persönlichkeit ist, die man auf keinen Fall in seiner freien Entwicklung einschränken will.

Stufe 2: Dann merkt man, dass das nicht funktioniert, der Alltag chaotisch wird, die Eltern völlig erledigt sind und das Kind irgendwie haltlos ist, und fällt ins andere Extrem. Plötzlich wird das Kind angeschrieen, man holt das Mittel der Strafe aus der Mottenkiste, spricht Fernsehverbote aus, schließt Spielzeug weg.

Stufe 3: Jetzt sind die Eltern noch zerknirschter, weil sie sich einst geschworen hatten, nie, aber auch wirklich nie zu solchen Mitteln zu greifen.

Stufe 4: Das Kind ist auch zerknirscht. Es merkt, dass mit ihm plötzlich irgendetwas falsch ist, dass die Eltern über Nacht böse und gleichzeitig sehr unglücklich geworden sind. Und dann kommt das Kind richtig ins Rotieren, weil Kinder vor allem eins wollen: glückliche Eltern.


Wie vermeidet man es, in diese Falle zu tappen?
  • Sich nicht danach richten, was "man" nicht tut oder die Oma erwartet oder die anderen Mütter im Kindergarten, sondern sich hinsetzen und überlegen, was sind meine persönlichen Grenzen für mein Kind? Was will ich nicht? Was stört mich? Was erschwert mir massiv den Alltag? Was sind meine Werte? 
  • Dann lernt das Kind auch: "Aha, so ein Mensch ist meine Mama, mein Papa!" Danach kann ich mich richten und später (Pubertät) auch fröhlich daran reiben.
= Persönliche Grenzen lassen sich viel besser durchsetzen als abstrakte.

  • Der Anspruch, konsequent sein zu müssen, ist für viele eine Geißel und beschert Eltern viel Stress und Frust. Auch hier gilt: Ihr seid automatisch konsequent bei Regeln, die euch persönlich ganz wichtig sind. Wenn ihr mal nachdenkt, kommt ihr bestimmt auf Sachen, bei denen ihr konsequent seid und niemand je eine Frage dazu hatte (Schulterklopfen!). Bei uns fällt mir ein, dass immer alle die Straßenschuhe ausziehen, bevor sie nach oben in die Schlafetage gehen. Da gab es nie Stress, weil ich ganz klar darin war, das nicht zu dulden. Weiteres Beispiel: Anschnallen im Auto.
  • Niemand kann immer konsequent sein. Und es schwächt Eltern, wenn sie sich dafür herunterziehen. Wenn es etwas Wichtiges gibt, das ihr ändert möchtet, übt darin Konsequenz, aber höchstens für eine neue Sache pro Lebensphase. 
= Konsequenz braucht man für wenige "Basics", die restlichen Entscheidungen dürfen sich nach der Tagesform richten.

  • Viele Eltern verbeißen sich in zu viele Ermahnungen: "Tu dies nicht", "Fass das nicht an", "Setz die Mütze auf", "Sitz gerade" ... so werden Kinder "mama-" oder "papa-taub".
= Weniger (Verbote) ist mehr.

  • Für mich ist es hilfreich, mir zu sagen: "Uta, du bist hier der Chef." Meine Kinder sind eigenständige Menschen, die sich frei entwickeln sollen, aber solange sie Kinder sind, benötigen sie ein gewisses Maß an Halt und Führung. 
= Was man braucht, ist eine Kombination aus eigener Lebensfreude, Nähe zum Kind und gelegentlichem Durchgreifen.

  • Viele Eltern reagieren auf Probleme mit Härte oder Resignation. So verlieren sie die Nähe zum Kind und alles wird schlimmer.
  • Für eine gute Beziehung zum Kind ist hilfreich: klar sagen "Ich will, dass du ..." statt Vorwürfe und Abwertungen, außerdem: gemeinsame Mahlzeiten, schöne Rituale, exklusive Zeit zu zweit, Zuhören, von sich erzählen ...
= Je schlechter die Beziehung, desto weniger Einfluss habe ich auf das Kind.


Immer fröhlich auch mal durchgreifen und gleichzeitig die Nähe zum Kind pflegen. Diese Kombination ist unschlagbar.

Eure Uta