Samstag, 31. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 222: Mein lieber Tinnitus


Gestern Abend begann es in meinem linken Ohr zu pfeifen. Hoch frequent, Dauerton. Ich bat Prinzessin (13), den Fernseher auszuschalten. Sie schaute einen Film, in dem computer-animierte Erdhörnchen tanzten und sangen. Die Erdhörnchen verstummten, in meinem Schädel phiebte es weiter. Ich richtete die Rotlicht-Lampe auf mein Ohr. Bei beginnenden Ohrenschmerzen hilft mir Rotlicht immer. Aber durch die Wärme schien die Pfeife in meinem Kopf erst so richtig zu Höchstform aufzulaufen.

Ich legte mich ins Bett. Ich dachte, wenn die Pfeife mitkriegt 'Jetzt ist Schlafenszeit' wird sie verstummen. Das ist das mit der Vorbildfunktion. Ist ja schließlich ein Erziehungs-Blog hier.

Aber die Pfeife war ein kleiner Tyrann und verstand nicht. Ich versuchte, das Geräusch im Kissen zu dämpfen. Das machte es nur schlimmer. Beim Tinnitus hat jemand den Bock zum Gärtner gemacht. Das Ohr produziert selber das Geräusch, unter dem es leidet. Ich wäre gerne ohne meinen Kopf aus dem Schlafzimmer gegangen. Nur wenigstens einmal kurz zur Toilette. Bitte.

Nichts zu machen.

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, erwachte aber im Morgengrauen zusammen mit der Pfeife. Immer noch dieser Ton. Ich schlich mich aus dem Bett ins Arbeitszimmer und googelte Hörsturz und Tinnitus. Mehrere Beiträge behandelten auch die seelischen Ursachen. Ich las und las. Und mir wurde klar, wie sehr ich mir in den vergangenen Tagen das Hirn zermartert hatte, ob ich eine bestimmte Zusatzausbildung in Eltern-Coaching machen soll oder nicht, ob der Soßenkönig das nun unterstützt oder nicht, ob er ein Schuft ist oder ein Held, ob ich noch wahnsinnig werde, weil ich nicht weiß, ob die Entscheidung falsch ist oder mir einfach nur der Mut fehlt.

Beim Lesen über die seelischen Ursachen wurde ich plötzlich dankbar. Dankbar für die Pfeife, dankbar für den Körper, der genial ist und einem völlig kostenlos die besten Hinweise gibt. Der schrille Ton war wie ein Reset für meinen Kopf: "Aufhören zu denken, leben!" - "Du musst nicht den großen Durchbruch schaffen, nichts beweisen, einfach leben." - "Mache die Arbeit, die du liebst, und wenn die Fortbildung passt, dann passt sie."

Es war kurz nach sechs, als ich den Computer endlich ausschaltete. Ich hörte das Ticken der Uhr auf dem Schreibtisch, sonst nichts. Nichts!!!!!!

Ich war selig, bin selig und schreibe dies hier.

In dem Buch "Das Polaris-Prinzip. Entdecke, wozu Du bestimmt bist - und tue es!" von Martha Beck gibt es eine Stelle, die dazu passt:

"Ein alte daoistische  Geschichte erzählt von einer Gruppe konfuzianistischer Gelehrter beim Spaziergang am Fluss. Bei einem Katarakt (Wasserfall, Anm. der Bloggerin) entdecken sie plötzlich einen menschlichen Körper in den wild über die Felsen schäumenden, tosenden Fluten. Entsetzt laufen sie ans Ufer, um den Leichnam herauszufischen und dann zu bestatten, wie es sich gehört. Wie staunen sie, als ein alter Mann dem Wasser entsteigt, sich abtrocknet und davongeht. Als die gelehrten Männer sich wieder fassen, laufen sie dem Alten nach und fragen: 'Wie hast du das gemacht? Niemand kann in diesem Wasser schwimmen, ohne sein Leben zu verlieren.' - 'Ach', sagt der alte Mann, 'das ist eigentlich ganz einfach. Man bewegt sich aufwärts, wo das Wasser aufwärts strömt, und abwärts, wo es abwärts strömt." (S. 25/26)

Daoisten - so schreibt Martha Beck weiter - glauben an eine unermessliche wohlwollende Kraft, die in allem wirkt. Und wir seien ebenfalls ein Teil dieser Kraft.


Warten auch auf die richtige Strömung - Fischerboote am Strand von Loenstrup, Dänemark (eigentlich durchgestrichenes o, finde ich aber nicht auf meinem Laptop)


Immer dankbar auf die Signale des Körpers hören und fröhlich auf die Strömungen im eigenen Leben achten.

Eure Uta

Sonntag, 25. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 221: Sich nicht in Grenzen verbeißen


Das Grenzen-Setzen hat mich sehr gestresst, als unsere Kinder klein waren. Besonders der lebhafte Kronprinz war eine echte Herausforderung. Um damit irgendwie klar zu kommen, las ich Bücher wie "Jedes Kind kann Regeln lernen" von Annette Kast-Zahn oder "Warum unsere Kinder Tyrannen werden?" von Michael Winterhoff. Der Soßenkönig und ich besuchten sogar ein Erziehungstraining ("Tripel P"), in dem man lernt, die kleinen "Tyrannen" zeitweise auf einen "stillen Stuhl" zu setzen. Neulich erinnerte sich der Kronprinz (heute 16) an eine solche Situation: "Ich weiß noch, wie ich auf einem Stuhl sitzen musste und nichts sagen durfte."

Mir wurde ganz heiß. Ein Scham-Tsunami flutete meinen Körper.


Als unsere Kinder 11 und 7 Jahre alt waren, bekamen wir unsere beiden Katzen. Eigentlich hätten wir lieber einen Hund gehabt, aber nach Ende der Klein-Kind-Zeit hatte ich keine Lust mehr, noch ein Wesen zu erziehen und damit in die Hundeschule zu müssen. Bei Katzen wusste ich: Da ist Hopfen und Malz verloren. Da kann man nicht scheitern. Das brauche ich jetzt. Katzen sind kaum zu disziplinieren. Das sieht man auch auf dem Bild. Denn ursprünglich hatten wir gesagt: "Die Katzen kommen auf keinen Fall ins Bett." 


Wenn ich Disziplin-Pädagogen wie Michael Winterhoff oder Bernhard Bueb in Talkshows erlebte, wurde ich wütend, weil ich ihr Bild vom Kind nicht mochte. "Nein", wusste ich schon damals, "Kinder kommen nicht als Tyrannen auf die Welt." Und wenn wir Erwachsenen auf dem hohen Ross sitzen und meinen, wir müssten sie von klein auf "in Form bringen", läuft etwas gehörig falsch. Trotzdem fühlte ich mich im Alltag oft hilflos. Ich war fasziniert von der überschäumenden Lebensfreude, die Kinder haben, ihrem Einfallsreichtum, ihrer Energie, musste aber auch irgendwie Struktur kriegen in unsere Tagesabläufe und haushalten mit meinen Kräften.

Wie kann man Kinder im guten Sinne führen?

Habe ich darauf heute Antworten, die anders lauten als bei Winterhoff, Bueb oder Kast-Zahn?

Bei meiner Zugreise neulich erlebte ich Eltern mit einem etwa zweieinhalbjährigen Mädchen. Die Kleine aß ein Brötchen und der Vater bestand darauf, dass sie das Brötchen über den Tisch gebeugt aß, damit sie nicht so krümelte. (Das fand ich etwas viel verlangt für ein Kind in diesem Alter. Ich war auch sehr verwundert, wie ein Mann um die dreißig so pedantisch sein kann, aber Grenzen und Werte sind nun mal sehr individuell. Das ist ja auch okay.)

Wie zu erwarten, klappte das krümelfreie Essen nicht. (Das ist häufig so bei Anweisungen, die ein Kind überfordern.) Der Vater begann, in einen Prozess zu geraten, den ich "Sich-in-das-Grenzen-setzen-verbeißen" nenne. "Zu Hause kannst du auch über dem Tisch essen, Luisa. Das wird doch hier nicht so schwierig sein." Er sprach laut und beugte sich drohend über den kleinen Tisch. In Erwartung eines kleinen, feinen Erziehungsdramas verstummten die Gespräche im Großraumabteil. "Supernanny" im Zug hat einfach Unterhaltungswert.

Aber dann mischte sich die Mutter ein.

Sie strich dem Mädchen liebevoll über den Kopf, packte das Brötchen ein, an dem es sowieso nur noch lustlos herum gekaut hatte, hob es in den Gang und begann ein Gespräch mit ihrem Partner. Plötzlich saßen die beiden da, hielten sogar Händchen über den Tisch und sprachen über irgendeine Kunstausstellung, die sie begeisterte.

Das kleine Mädchen hatte inzwischen seitlich am Tisch einen Gurt entdeckt, den es herausziehen und mit dem es spielen konnte. Zwischen den Eltern war es plötzlich ganz innig und Luisa spielte versonnen im Gang.

War das nicht genial von dieser Mutter?

* Sie hat eingegriffen, ohne ihren Partner ins Unrecht zu setzen.

* Das Ziel (Ende des Krümelns) wurde erreicht, das war konsequent, ohne einen Machtkampf auszulösen.

* Sie hat das Mädchen im Arm gehalten, es innig angeschaut und dann in den Gang gesetzt. Das zeigt dem Kind: Wir haben ein paar Regeln, die eingehalten werden, aber das Band, das uns beide verbindet, bleibt davon unberührt. 

* Das Kind entspannte sich sichtlich, 
  1. weil es nicht mehr im Fokus erwachsener Aufmerksamkeit stand ("Nein, Luisa, jetzt nicht den Trinkbecher", "Ja, so ist es gut, Luisa", "Rutsche noch ein Stückchen nach vorne", "Du bröselts hier doch alles voll, Luisa" ...)
  2. weil es beiläufig und unbewusst die Verbindung der Eltern spürte. Dafür haben Kinder evolutionsbedingt eine Antenne, weil sie wissen, dass der Zusammenhalt der Eltern ihr Überleben sichert

Immer fröhlich als familiäre Führungskraft vermeiden, sich ins Grenzen-Setzen zu verbeißen.

Eure Uta

Montag, 19. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 220: Hampelmann im Zug


Am Wochenende habe ich alte Freunde in Süddeutschland getroffen. Auf der Rückreise wollte ich im ICE auf die Toilette gehen, aber die Glastür zwischen Großraumwagen und dem Gang mit den Abteilen reagierte auf mein Kommen nicht so wie sie auf die anderen Leute reagiert hatte, die vorher durchgegangen waren. Ich fuchtelte oben vor der Lichtschranke herum, trat nach rechts, nach links, vor und zurück. Der Bewegungsmelder ignorierte mich. Ich bin klein, ja. Aber so klein nun auch wieder nicht.

Ich hüpfte, versuchte es mit Klappmessern aus dem Sportunterricht und erschreckte die Glastür mit einem hervorgestoßenem "Buh". Keine Reaktion.

Ich spürte geschätzt 80 Augenpaare in meinem Rücken. Und der Hitze in meinem Gesicht nach zu urteilen, funkten meine Ohrläppchen sozialen Stress in alle Richtungen.

Aber ich konnte doch nicht aufgeben. Ich musste zum Klo. Und alle, die wie ich nach den Geburten damals bei den Beckenbodenübungen geschlampt haben, können sich vorstellen, dass mich meine Grenz-Inkontinenz bei dem Gehüpfe in eine echte Notlage brachte.

Da auch niemand half, der vielleicht deutlichere Schwingungen Richtung Bewegungsmelder senden konnte, blieb mir nichts anderes, als mit hochrotem Kopf umzudrehen, an allen Augenpaaren vorbei zu stolpern und in dem Waggon davor auf die Toilette zu gehen.

Ihr und die Mitreisenden im ICE 76 von Mannheim nach Hamburg Hbf mögt das für eine kleine Begebenheit halten. Aber als ich endlich wieder auf meinem Sitzplatz saß, wurde mir die metaphorische Tragweite dieser Nicht-Reaktion einer Zugtür auf meine Person mit aller Wucht deutlich.

Mir geht es nämlich häufig so, dass ich Außenstehenden - wie jetzt meinen Freunden, die ich am Wochenende traf - nicht rüberbringen kann, dass wir wirklich eine tolle Zeit mit unseren Kindern verbringen, dass ich keinen Zuckerguss darüber kippe und auch nicht damit angeben will. So nach dem Motto: Mein Haus, meine Yacht, meine kongenialen Erziehungsmethoden. Nein!

Aber ich möchte nach Jahren des Kopfzerbrechens, der eigenen Irrläufer, der Sackgassen, nach dem Mama-Burn-Out, den ich hatte, als der Kronprinz sechs und die Prinzessin drei war, nach rasanten Achterbahnfahrten in meiner Beziehung etwas abgeben von dem Glück, das ich heute erlebe. Und dann möchte ich in kleiner Runde meine Begeisterung herüber bringen über die Erkenntnisse, die über die Jahre an Festigkeit und Wirkung gewonnen haben, um sie zu teilen und weiter zu geben, und fühle mich wie bei dem Hampelmann-Gehüpfe vor der Glastür im ICE.

Denn bis auf eine Ausnahme - und der möchte ich an dieser Stelle voller Dankbarkeit zuzwinkern - gucken mich alle an, als würde ich ein Märchen erzählen. Pubertät zum Beispiel halten sie weiterhin für eine unaufhaltbare Naturkatastrophe, durch die alle Eltern durch müssen und dabei mit amüsierter Geringschätzung auf die Kinder herab blicken dürfen. Dabei sprechen sie von den Jugendlichen als hätten diese nichts anderes im Sinn, als ihren Eltern das Leben schwer zu machen.

Und hier kommt wieder ein Zitat aus dem Hörbuch "Familienberatung" von Jesper Juul ins Spiel:
"Das Wichtigste, das Kindern von ihren Eltern erfahren, geschieht in den ersten drei bis vier Lebensjahren. Und in den nächsten sechs bis sieben Jahren ist die Erziehung der Eltern, ihr exemplarisches Verhalten und ihre Lebensqualität immer noch von großem Einfluss. Danach sind Gleichaltrige und andere Erwachsene ihre wichtigsten Inspirationsquellen. Zu diesem Zeitpunkt sollten die Eltern sich selbst und ihren Kindern den Gefallen tun, sich zurück zu lehnen und das Resultat ihrer Bemühungen zu genießen."
(Jesper Juul, "Familienberatung. Perspektiven und Prozess." Stelle nach 2 Stunden,42 Minuten)

Das möchte ich noch mit Inhalt füllen:

  • viel Zeit und Liebe in die ersten Jahre investieren
  • aber nicht im Sinne einer Panik "Oh je, da schließt sich wieder ein Entwicklungsfenster."
  • auch keine Englischkurse für Zweijährige oder sonstige zweifelhaften "Bildungs"-Programme
  • auch keine permanente Angst, dass in der Erziehung dieses oder jenes falsch läuft, die Methoden-Frage ist gar nicht so wichtig
  • es geht viel mehr um eine beiläufige und liebevolle Präsens, um viel körperliche Nähe, um Teilhaben, Spaß haben, sich an einander freuen 
  • und wenn sie dann 12 oder 13 Jahre alt sind, wie ein Sparringspartner beim Boxen bereit sein, eigene Standpunkte zu vertreten, aber aufgeben, das Kind in irgendeiner Weise formen zu wollen

Sogar im Schlaf funktioniert das beste Förderprogramm der Welt: Nähe.


Vor dem Hintergrund, wie wichtig elterliche Präsenz in den ersten Jahren ist, irritiert mich sehr, was mir meine Friseurin neulich erzählte. Sie bekommt in diesem Sommer ihr erstes Kind und hat mit ihrem Mann zusammen sich jetzt schon Kitas angeguckt, um einige Monate nach der Geburt wieder arbeiten gehen zu können. Die Kita, die ihnen insgesamt am besten gefiel, hat nur einen Haken: Meine Friseurin darf ihr Baby an ihrem einzigen freien Tag am Montag nicht zu Hause lassen und Zeit mit ihm verbringen, weil die Leiterin der Kita ihr sagte, dass eine solche Unterbrechung der Kita-Betreuung durch die Mutter am Montag nicht ins pädagogische Konzept passe.

Jetzt sind wir schon so weit, dass wir die Trennung von der Mutter zum pädagogischen Konzept erklären.

Immer fröhlich nicht die Fassung verlieren.


Eure Uta


Ps 1.: Ich überlege, ab nächste Woche jeden Dienstag einen Post einzustellen, also verlässlich einmal die Woche immer am gleichen Tag, damit ihr nicht immer gucken müsst, ob es etwas Neues gibt. Was haltet ihr davon?

Ps.: 2: Auf dem Blog der freiberuflichen Kinder- und Jugendbuch-Autorin Dorthe ist eines ihrer schönen Bücher zu gewinnen. Da ihr Blog - unverdientermaßen - noch wenig bekannt ist, gibt es heute noch bis Mitternacht eine fast 100prozentige Gewinn-Chance. klick!

Dienstag, 13. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 219: Onkel mit Pappnase


Der Satz, über den ich mich am Muttertag am meisten gefreut habe, war: "... und wenn ich weine, kannst du mich immer zum Lachen bringen." Der Satz stammt von Prinzessin (13). Er freut mich so, weil es mir sehr wichtig ist, dass meine Kinder nach Niederlagen wieder aufstehen können, das Krönchen wieder gerade rücken und weiter marschieren. Dass sie lachen können, vor allem über sich selber und nicht in Selbstmitleid und Sorgen versinken.

Irgendwo in meinem Archiv habe ich eine Statistik über das Lachen. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass Kinder viel mehr und häufiger lachen als Erwachsene.

"Werde endlich erwachsen!" ist vor diesem Hintergrund eine furchtbare Drohung.

Eines meiner Kinder (aus Gründen der Diskretion nenne ich nicht den Platz der Thronfolge) hat noch bis über die Grundschulzeit hinaus regelmäßig die Kleider wechseln müssen, weil es sich mal wieder vor Lachen in die Hose gemacht hat. Nie habe ich lieber die Waschmaschine angeworfen als in diesen Fällen.

"In jedem Alter müssen Kinder lachen, spielen, Spaß haben können und nicht unaufhörlich nach etwas streben müssen. Sie haben das Bedürfnis, sich zu entspannen, albern zu sein, zu necken, ein bisschen verrückt zu sein und ganz allgemein im Leben nicht immer ernst sein zu müssen." (Wayne W. Dyer: "Glück der positiven Erziehung. So werden Kinder frei, kreativ und selbständig", München 1989, S. 120)

Wayne Dyer meint, dass es Kinder sehr schwächt, wenn ihre Eltern der Typ "Ich-mache-mir-ständig-über-alles-Sorgen-Mensch" sind.
Haben wir wohl die richtige Schule ausgewählt? Werden wir die ideale Tagesmutter finden? Wird sich das Kind ohne Halstuch nicht erkälten? Wird die nächste Mathe-Arbeit vielleicht daneben gehen? Ist der Reisebus für die Klassenfahrt auch sicher genug? Passieren auf Ski-Reisen nicht häufig Unfälle? Bekommt mein Kind genug Vitamine, Ballaststoffe, Eisen ... ? Werde ich nach der Elternzeit wohl wieder einen Job finden?


"Großmutter, Großmutter, du solltest dir mal wieder die Oberlippe epilieren!" *


Wenn liebe Freunde von uns früher ein Fest machten, luden sie nicht nur Freunde und ihre Kinder ein, sondern auch die halbe Verwandtschaft. Meistens war auch ein unverheirateter Onkel dabei, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Kinder zu bespaßen. Einmal sah ich ihn spät abends erschöpft im Sessel sitzen, im Schoß einen Teller Nudelsalat und im Gesicht immer noch die rote Pappnase.

Ist das nicht rührend? Er hätte den Nachmittag auch damit verbringen können zu klagen, dass er keine Frau findet, sein Steuerberatungsbüro gerade nicht so läuft und das linke Knie schmerzt. Aber nein: er zeigte den Kindern Kartentricks.

Unvergessen auch das kleine Gerät, das die Oma unserer Nachbarskinder mal zu einem Besuch mitbrachte und das die Kloschüssel dazu brachte, Arien zu singen, wenn man die Spülung betätigte.

Bei uns wird garantiert gelacht,  ...

  • wenn der Soßenkönig sich selbst als Schwaben parodiert
  • wenn ich aus "Dirk und ich" von Andreas Steinhöfel vorlese, besonders das Kapitel "Es grünt so grün ...", wo die Familie umzieht und Möbelpacker Ernie mit dem Hintern im Treppengeländer stecken bleibt (das Buch ist super zum Vorlesen für Grundschulkinder)
  • wenn ich Prinzessin (13) aus "Tschick" von Wolfgang Herrndorf vorlese (ja, gelegentlich lese ich den Großen noch vor, weil es einfach sooooooo schön ist)
  • wenn wir im Auto Loriot hören (für die Dänemark-Fahrt hatte ich das Hörbuch "Gesammelte Werke" ausgeliehen)
  • wenn ich für Prinzessin spiele, als wäre ich sturzbetrunken

Wann habt ihr den größten Spaß in Familie?

Mir immer fröhlich schreiben, wie ihr die Kinder zum Lachen bringt.

Eure Uta

* Danke, lieber Gulliver, dass du bei unseren Späßen nicht böse wirst!

Freitag, 9. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 218: Verachtung im Blick


Heute ist bei mir der Tag des Mannes, des großen und des kleinen Mannes.

Ich fange mal mit dem großen Mann an.

Im Urlaub wagte er es, in den Supermarkt zu gehen, ohne die Korbtasche mitzunehmen, die ich für diesen Zweck eingepackt hatte. Er hatte die Kinder dabei und kehrte mit vollen Plastiktüten wieder, in denen sich neben Riesenflaschen mit Softdrinks ("böse,böse") Weingummi-Beutel ("Zucker pur") und eingeschweißte Fleischstücke ("bestimmt aus der Massentierhaltung") befanden.

Ihn traf natürlich "der Blick". Dieser Blick ist wie ein Giftpfeil und meine beiden Männer hassen ihn. Ich könnte besser rumbrüllen oder sie in die Korbtasche schubsen, aber "der Blick" ist tödlich. Er ist voller weiblicher Verachtung und in meinen klaren Momenten verstehe ich, dass sie sich damit elend fühlen.

Weil ich mich von klein auf hauptsächlich um die Kinder gekümmert habe, gibt es eine Ecke tief in mir drin, die sich für den sozialeren Menschen hält, wie wir Frauen doch überhaupt, oder? ... (Dass der Soßenkönig derjenige ist, der hauptsächlich das Geld erarbeitet, damit ich die stylische Korbtasche mit dem Peace-Zeichen, das Fleisch vom Bio-Schlachter und den fair gehandelten Kaffee kaufen kann, ist ein sehr lästiges Detail. Und er will einfach nicht einsehen, dass ich mich beruflich auch nicht so durchgesetzt habe, weil ich Macht und Geld irgendwie ablehne, denn ich bin ja so sozial, siehe oben).

Als wir aus dem Urlaub heimkehrten, hat der Kronprinz (16) die Polster von seinem Schreibtisch-Stuhl absaugen müssen, weil die Katzen in den Ferien wohl die ganze Zeit vor dem Computer gesessen haben. Die Spezialbürste wollte danach nicht mehr in das Fach im Staubsauger passen und der Kronprinz schlug ärgerlich den Deckel zu. "Doch nicht mit Gewalt," schrie ich entsetzt und dachte in der gleichen Hundertstel-Sekunde: "Na, ich weiß ja, von wem er das Aufbrausende geerbt hat." Vor längerer Zeit hat der Soßenkönig ein Fach im Gefrierschrank geschrottet, weil die Schublade es wagte, sich ihm zu widersetzen. Damals war es - glaube ich - Lichtgeschwindigkeit, in der ich dachte: "Mein Vater hätte so etwas nie getan."

Mein Vater. Mein Vater ist so etwas wie der Gandhi des Haushalts. Zum Beispiel kann niemand so liebevoll einen Kofferraum packen wie er. Da wird der Regenmantel auf links gewendet, zusammen gelegt und als Puffer zwischen Reservereifen und Koffer geschoben. Der Hohlraum neben der Reisetasche ist dem Knirps vorbehalten, der sich quetschfrei einfügt. Wenn meine Mutter in letzter Sekunde kommt und will in dieses perfekte 3-d-Puzzle, das den Kofferrauminhalt darstellt, die Kastenform mit dem Rührkuchen unterbringen, atmet mein Vater tief durch, sehr tief. Er tritt nicht gegen die Stoßstange (undenkbar), er brüllt meine Mutter nicht an (noch undenkbarer), er hebt einmal resignierend die Hände, wickelt die Alufolie noch perfekter um den Kuchen und schiebt die Form sachte neben den Beutel mit den Hausschuhen unter den Vordersitz. Passt.

Mein Vater zeigt auch für Haushaltsgeräte und besonders für Werkzeug immer eine besondere Achtsamkeit. Schon immer. Wenn ein Ding das Funktionieren verweigerte, hörten wir Schwestern sofort den Satz: "Nicht mit Gewalt!" Vielleicht haben mich deshalb die ganz raren Momente beeindruckt, in denen dieser Mann mal die Beherrschung verlor. So wie bei irgendeinem Fußball-Finale, als die deutschen Mannschaft das entscheidende Tor schoss, mein Vater hochsprang und mit hochgerissenen Armen die Deckenlampe zerschlug. Oder wie bei dem Handballspiel, bei dem mein Vater (mein Vater!) wegen Foulspiel des Platzes verwiesen wurde. Den Bericht darüber in der Lokalzeitung habe ich als Kind immer und immer wieder lesen müssen.

Mein Vater ist wunderbar. Mein Mann ist wunderbar. Mein Mann ist anders als mein Vater. Vielleicht hat er mich auch deshalb so angezogen damals.

Auf jeden Fall tue ich gut daran, das wahr zu nehmen und die beiden nicht zu vergleichen.

Ron Smothermon schreibt:
"Nun, ganz gleich, wie befriedigend Ihre Beziehung zu Ihren Eltern war oder ist: Wenn Sie sich nicht bewusst werden, mit wem Sie jetzt zusammen sind, sind Sie in ganz schönen  Schwierigkeiten. Ich garantiere Ihnen, dass die Person, mit der Sie derzeit zusammen sind, anders ist und möchte, dass Sie das merken. Wenn Sie sich ihm oder ihr gegenüber quasi automatisch verhalten, laufen Sie Gefahr, die besondere Qualität der Beziehung einzubüßen, wenn nicht sogar die Beziehung überhaupt." (Ron Smothermon: Drehbuch für Meisterschaft im Leben. Bielefeld 2007, 20. Auflage, S. 18) 

Und jetzt noch schnell zu den kleinen Männern. Meine Freundin hat mir einen Link zu einem wunderbaren Artikel von Wolfgang Bergmann über Jungs im Kindergarten geschickt. Er macht auf einzigartige Weise deutlich, warum Jungen heute immer verhaltensauffälliger werden und angeblich immer häufiger eine Therapie brauchen. Ich möchte euch ganz dringend ans Herz legen, den Artikel zu lesen. Einmal bitte hier entlang.

Darf Männlichkeit noch sein? - Kronprinz (7) mit Kaugummi-Zigarette

Immer fröhlich sehen, wer der Partner wirklich ist, und ein neues Verständnis entwickeln für die kleinen Männer.

Eure Uta

Dienstag, 6. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 217: Kratz-Eis


Dies ist kein Food-Blog und ich bin keine Köchin. Immer wieder lese ich von Menschen, die kochen oder backen, um zu entspannen.

Entspannen? Die Bohnen müssen blanchiert und warm gehalten werden, während das Fleisch, das ich zu marinieren versäumte, in der Pfanne zwischen den verkohlten Zwiebeln austrocknet. Der Blätterteig will noch mit Eigelb bepinselt werden, ein Schalenstück treibt im gelben Glibber und will nicht auf den kleinen Löffel, mit dem ich nach ihm angele. Und wer kann zu den Nachbarn laufen und fragen, ob die noch eine Bio-Zitrone haben? Jetzt kommen die Fleischtomaten dran. Ich soll Fleischtomaten häuten? Ich? Ich habe so viele Dosen-Tomaten im Keller, als drohe morgen ein atomarer Erstschlag. Hier wird nix gehäutet.

Besser geht es beim Backen, weil da alles so schön der Reihe nach kommt. Die erste Wut aber kriege ich, wenn Leute ein Rezept mit dem Satz beginnen: "Den Ofen auf 200 Grad vorheizen". Eigentlich ein harmloser Satz. Aber das ist ja das Perfide. Diese Leute wollen einem das Gefühl geben, als ließe sich der Teig in der Zeit vorbereiten, die der Ofen zum Vorheizen braucht. Nie, nie komme ich hin mit dieser Zeit. Angeberisch piepst die Vorheiz-Uhr am Ofen: "Ich war schneller fertig, ätsch!" Ich reibe die Zitronenschale durch bis zum Fruchtfleisch. Der Verantwortung für den Klimawandel durch leer vor sich hin heizende Backöfen drückt mich nieder. Ich habe vergessen, die Springform einzufetten. Also die Betonbutter aus dem Kühlschrank in die Mikrowelle stellen, den Backpinsel aus der Spülmaschine klauben... Wenn ich die Form endlich in die heiße Luft schiebe, tue ich das mit letzter Kraft und sinke danach mit beschlagener Brille in den Lesesessel.

Entspannen beim Kochen und Backen? Nicht für mich.

Dabei lege ich, seitdem ich das erste Mal schwanger war, großen Wert auf gesunde Ernährung. Ich kaufte Mörser und Getreidemühle, schleppte kiloweise Vollkornmehl nach Hause und dekorierte das Küchenfenster mit Kräutern und Knoblauchzöpfen. Gemüse wurde nur noch dampfgegart, und als Schwangere aß ich mehr Sonnenblumenkerne als die Schwarzdrossel draußen im Futterhäuschen.

Gesund und lecker zu essen, ist auch eine Frage der Selbstliebe und Achtung vor dem eigenen Körper. Das möchte ich unbedingt den Kindern durch mein leuchtendes Vorbild vermitteln.

Trotz der Kämpfe in der Küche hat es das leuchtende Vorbild nicht geschafft, Kronprinz (16) und Prinzessin (13) ihre Lust auf "Kratz-Eis" auszutreiben. Kennt ihr "Kratz-Eis"?
Kaum nähern wir uns dem Sommer, halten sie in Supermärkten Ausschau nach den Bechern, deren Inhalt wie Frostschutzmittel aussieht: giftgrün, Tankstellen-blau und ein Rosa wie das vom Nagellackentferner. Meist kaufen sie sich eine ganze Palette davon und verstauen die Becher einmütig im Gefrierschrank. Wenige Stunden später könnt ihr sie auf der Terrasse oder in ihrem Bett sitzen sehen, ein Handtuch um den eisigen Becher geschlungen, schaben sie versonnen mit dem Löffel auf der kleinen Eisfläche herum.

Wenig später finde ich dann die Becher im gelben Sack und will gar nicht lesen, wie viele Farbstoffe und Geschmacksverstärker darin stecken.

Aber ich bin nicht die Mutter, die belehrende Vorträge hält. Meine Antwort ist: eigenes Kratz-Eis.




Und nach der Vorgeschichte könnt ihr sicher sein, dass es ein einfaches Rezept ist. Kein tagelanges Marinieren, kein Vorheizen von Backöfen, keine Eier, die man zimmerwarm stellen muss.

Und weil es alle Kinder lieben, die ich kenne, gibt es hier ausnahmsweise ein Rezept.



Himbeer-Kratz-Eis

300g Bio-Himbeeren tiefgekühlt

50g Puderzucker

2 Esslöffel Zitronensaft

6 Minzeblättchen (kann man weglassen, wenn man keine hat)

100g Sahnejoghurt

1-2 Esslöffel Limettensaft

1 Esslöffel flüssiger Honig


Die Himbeeren so lange in einem schmalen, hohen Becher auftauen, dass sie pürierfähig sind. Puderzucker und Zitronensaft hinzufügen und mit dem Pürierstab pürieren. 
Die Minzeblättchen fein schneiden und mit den übrigen Zutaten unterrühren.
Das Himbeer-Mousse in kleine Glasbecher füllen (ich habe die gesammelt, in denen beim Möbelschweden die Vanille-Kerzen verkauft werden) und einfrieren.
Die Menge ergibt fünf Gläser wie abgebildet.

Etwa 20 Minuten vor dem Essen herausnehmen. 



Keine Vitamin-Vorträge halten, sondern immer fröhlich Kratz-Eis produzieren.

Eure Uta