Sonntag, 30. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 110: Das Federkleid


In diesen Tagen habe ich mich wieder ertappt. Ich habe ein Bild in meinem Kopf, wie meine Tochter sein sollte. Sie passt aber nicht in dieses Bild. Und ich weiß, was ich mache, ist genau das, was ich immer vermeiden wollte, ... und mache es trotzdem.

Aber der Reihe nach.

Ich hatte online ein Kleid für Prinzessin (fast 12) zum Geburtstag bestellt. Graphitfarbenes Etuikleid mit Federkragen. Ich hatte mir viel Mühe gegeben, mich durch das ganze Angebot geklickt, endlich eins gefunden, das ihr gefallen würde.
Direkt nach Weihnachten wurde der Karton geliefert. "Ich habe eine Überraschung für dich!" Vorsichtig hob ich den Deckel ab, löste feierlich den Kleber von dem raschelnden Seidenpapier. Da kam zum Vorschein, wovon ich geträumt hatte: ein irrlichterndes Schimmern der feinen Federchen, von denen einzelne, elektrisiert vom Seidenpapier, über dem Stoff schwebten.

Prinzessin schnappte sich das Kleid und verschwand zum Anprobieren. Mein Mann und ich warteten neben dem offenen Karton und hielten den Atem an.
Auftritt einer Prinzessin in Graphit. Das Kleid wie auf den Leib geschneidert, die Federn schmeichelten dem feinen Schnitt ihres Gesichts. "Jetzt noch die Haare hochgesteckt", dachte ich und wollte schon eine Spange suchen.

Prinzessin aber zog die Nase kraus. Krausestes kraus.

"Ehrlich gesagt", sagte sie, "ist das nicht mein Stil."

"Okay". Ich machte auf unbekümmert, warf die Rechnung aus dem Handgelenk zurück in die Schachtel. "Kein Problem, ich schicke das zurück." Ein schiefes Lächeln sollte meine Enttäuschung zudecken. Prinzessin huschte auf Socken aus dem Raum. Ich sackte auf den Stuhl.

Mir war danach, zu meinem Mann zu sagen: "Guck, da gebe ich mir so viel Mühe für sie und dann ist es wieder nicht richtig. Bin ich nicht ein armes Hascherl?" Ich sagte es, etwas abgeschwächt, ohne Hascherl.

Mein Mann sagte: "Ist doch toll, dass sie so klare Vorstellungen hat."





In unserer Generation gilt es als Todsünde, seinen Stil, seine Erwartungen, seine Ziele auf das Kind zu projezieren. Wir haben einen Meter Bücher darüber gelesen. Manche waren in Therapie, haben von Sitzung zu Sitzung ihre verschüttete Persönlichkeit wieder ausgegraben. Wir haben die Erwartungen, die unsere Eltern an uns hatten, über Bord geworfen und sind fest entschlossen, niemals den Hauch einer Erwartung an unsere Kinder zu haben.

Und nun?

Die Erwartungen kommen durch die Hintertür wieder herein. Es sind neue Erwartungen, andere als die, die unsere Eltern an uns hatten, manchmal genau das Gegenteil von dem. Und doch sind es Erwartungen.

Für so ein Kleid mit Federkragen hätte ich als Elfjährige getötet.

Für meine Elfjährige ist es der Missgriff eines durchschnittlichen Designers.

Unsere Erwartungen kommen in einem anderen Kleid daher. Sie tragen nicht mehr Faltenrock und Mokassins, sie tragen verwegene Federn und schulterfrei, aber es sind Erwartungen.

Heute morgen unter der Dusche ist mir eingefallen, dass die Geschichte drei Aspekte hat und ich mir für 2013 Folgendes vornehme:

  • Ich mache mir kein Bild von meiner Tochter, sondern genieße sie so wunderbar, wie sie ist.
  • Ich höre auf, eine so überschießende Mutter zu sein. Jesper Juul nennt solche Eltern in seinem Pubertätsbuch "Zahnarzteltern". Kaum sehen sie irgendwo ein Loch, müssen sie es füllen. Und die Kinder kommen kaum dazu, ein Bedürfnis zu spüren und es selbst zu stillen.
  • Ich laste meinen Kindern nicht mehr die Anstrengungen an, die ich mir selbst auferlegt habe ("Ich habe mir doch so eine Mühe für dich gegeben!"). Prinzessin hatte gesagt, sie würde gerne mal wieder ein Kleid haben. Aber sie hatte den Wunsch weder dringlich gemacht, noch hatte sie mich gezwungen, mir dafür Arme und Beine auszureißen. Wie komme ich also dazu, sie dafür verantwortlich zu machen, dass ich das Kleid wieder zurück schicken muss? 

Prinzessin und ich haben gestern Abend noch einmal im Internet geguckt. Diesmal zusammen. Nach fünf Minuten hat sie ein Kleid gefunden, das ihr gefiel. Es gab noch ein Exemplar davon. Dieses Exemplar war in ihrer Traumfarbe und in ihrer Größe. Und mir gefällt es auch.

Für 2013 werde ich den Rat von Kronprinz (15) befolgen, der da lautet: "Chill' dein Leben, Mama!"

Ich wünsche euch ein fröhliches neues Jahr

Uta

Montag, 24. Dezember 2012

Weihnachtliche Familie

Ich wünsche allen meinen Lesern fröhliche Weihnachten und bedanke mich von Herzen für die vielen lieben Kommentare und Mails!

Uta


Samstag, 22. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 109: Die Schaffenskrise


Immer vor Weihnachten habe ich eine Schaffenskrise. Nicht so wie Künstler, die sich theatralisch an die hohe Stirn fassen.

Sondern ganz praktisch: Ich schaffe das alles nicht!

Die letzten drei Geschenke besorgen, die Haare tönen, der liebsten Freundin das originellste Weihnachts-Familien-Foto der Welt schicken, das Tiramisu diesmal selber machen, Tante Fine eine Karte schreiben, erotisch bleiben für meinen Mann, misslungene Kekse durch silberne Zuckerperlen aufwerten ...

Zu allem Übel lief mir gestern Rolf Zuckowski über den Weg. Wisst ihr der, der die ganzen Kinderlieder geschrieben hat ("Heut' ist dein Geburtstag", "In der Weihnachtsbäckerei" ...). Er wohnt bei uns im Stadtteil und stieg gerade mit einem seiner Enkel aus dem Auto.

Der Enkel hatte gerade laufen gelernt, wankte gegen meine Einkaufstaschen und sagte: "Mama."

(Soviel zu meiner erotischen Ausstrahlung, dass sogar die weltläufigen Zuckowski-Enkel sofort das Muttertier in mir wittern.)

"Ja, das ist vielleicht auch eine Mama", sagte Rolf Zuckowski und nahm den Jungen liebevoll an die Hand.

Bilder stiegen in mir auf. Die ganze Zuckowski-Familie unter der raumhohen Nordmann-Tanne. Oma, Opa, erwachsene Kinder mit Zuckowski-Nachwuchs in Maxi-Cosi-Schalen, kleine Mädchen in Flanellkleidern und Jungs, die so toben, dass "Tweety", Rolfs legendäre Gitarre, fast in die Krippe stürzt.

Und es wird gesungen, gesungen und gesungen. Altes Liedgut, neues Liedgut, Selbstkomponiertes mit Widmung und so viele Strophen "Tochter Zion", dass die Gans darüber knusprig wird.

Nach der Zuckowski-Begegnung erreichte meine Schaffenskrise ihren Höhepunkt.

Nicht geschafft, ein Lied einzuüben, nicht geschafft, das Weihnachtspapier mit selbst gemachten Moosgummi-Stempel zu bedrucken, nicht geschafft, die Rosenstöcke im Garten anzuhäufeln, nicht geschafft, immer fröhlich zu bleiben ...

Abrupt setzte ich beide Einkaufstüten in den Matsch. Schluss mit den Selbstgeißelungen.





Immer schön fröhlich sein, ab sofort, nicht erst Heiligabend

Uta

Dienstag, 18. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 108: In Gutmensch-Mission


Eine Bekannte beobachtete durch das Küchenfenster, wie ihr Sohn sein Schulbrot in einen Busch im Vorgarten stopfte, ehe er pfeifend zur Haustür hineinkam. Die Mutter fing ihn noch an der Garderobe ab, behielt sein nächstes Taschengeld ein und überwies es an "Brot für die Welt".

Als sie mir das erzählte, war ich nicht so begeistert, wie sie es erwartet hatte.

Diese offensive Art der Wertevermittlung ist nicht mein Ding.

Es gibt Eltern, die sich auf die Fahne geschrieben haben, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu kämpfen und deshalb permanent Klein-Krieg in der eigenen Hütte führen.
("Du musst dein Spielzeug mit anderen teilen", "Du musst die Weihnachts-Karte für die Lehrerin unterschreiben, ob du sie magst oder nicht", "Du musst das Brot aufessen, weil es Kinder gibt, die gar kein Brot haben ...")

Das kann es doch nicht sein, oder?

Das mit der Zwangsspende war nie mein Ding. Aber auch ich habe mit verschiedenen Aktionen versucht, mein Gewissen zu beruhigen und den Kindern ein Vorbild zu sein.

Als Kronprinz noch in die Grundschule ging, trafen meine Freundin Andrea und ich uns, um mit unseren Söhnen Weihnachtspakete für ein Waisenhaus in Rumänien zu packen.
Die Jungs sollten lernen, dass es anderen Kindern schlecht geht und uns das nicht irgendwo vorbei geht.

Die beiden lernten an diesem Nachmittag, die Bläschen in Luftpolsterfolie knallen zu lassen und das Wohnzimmer mit Holzwolle zu verwüsten. Deshalb schickten wir sie lieber ins Kinderzimmer und packten alleine weiter. Während oben Starwars-Gefechte tobten, wickelten Andrea und ich Zahncreme, Unterwäsche und Kartenspiele in Weihnachtspapier. Wir tranken Unmengen Kaffee und aßen so viele Kekse, dass wir bis Ostern keine Minute mehr unterzuckert waren.

An unsere Hilfsaktionen und ihren zweifelhaften Nutzen musste ich denken, als ich diese Woche aus der Postfiliale trat. Ein Obdachloser hockte vor dem Eingang.

Helfen kann so einfach sein, dachte ich.

Ich beugte mich zu dem Mann hinunter, was schon mal Verständnis symbolisierte, und fragte, ob er sich bei der bitteren Kälte nicht lieber in den Vorraum der Post setzen wolle.

"Nein, das lohnt sich hier nicht." Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Er meinte Schotter.

Ich richtete mich wieder auf, was diesmal eine leichte Brüskierung symbolisierte.

Der Mann ist zumindest ehrlich, dachte ich, beugte mich wieder runter und gab ihm Schotter.

"Aber wo verbringen Sie denn bei dieser Kälte die Nacht?" -

"In meiner Wohnung."


Ich zog weiter und dachte, wie pervers die Situation war. Ich hätte mich besser gefühlt, wenn es dem Mann richtig schlecht gegangen wäre und ich mich als sein Engel hätte aufspielen können.

Das mit den Paketen für die rumänischen Waisenkinder will ich nicht ins Lächerliche ziehen. Das sind Projekte, die wirklich helfen.

Aber mein Projekt habe ich noch nicht gefunden.

Sich verströmen, aus vollem Herzen und aus freien Stücken. Anderen nichts überstülpen und sich selbst nichts über sich beweisen müssen. Kein Kitt fürs Gewissen, kein moraltriefendes Sendungsbewusstsein. Ganz sachlich und doch Liebe pur.


Ich beneide die drei Weisen aus dem Morgenland. Sie hatten einen Stern, der ihnen den Weg wies. Sie wussten, wohin mit ihren Gaben. Ich nähe mir so lange einen.


Hauptsache verbissen fröhlich bleiben.

Ich geh dann mal die Welt retten

Uta

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 107: Strahlende Männeraugen


Neulich hatte ich wieder Cafeteria-Dienst in unserer Schule. Beim Aufräumen sagte eine der anderen Mütter: "Mein Mann und ich schenken uns schon lange nichts mehr zu Weihnachten." Die anderen nickten. "Es reicht schon der ganze Stress mit den Geschenken für die Kinder."

Ich schaute in den riesigen Topf, den ich gerade abtrocknete. "Nichts mehr zu Weihnachten... nichts mehr ..." Mir war, als hörte ich ein trauriges Echo vom Grund des Topfes. "Nichts mehr ..."

Wer seit November eine durch 24 teilbare Zahl von Päckchen für Söhne und Töchter geschnürt hat, wer für den Weihnachtsmarkt in der Schule gebacken und gebastelt hat, wer zum Nikolaus die Stiefel gefüllt hat und gleich wieder los muss für die persönlichen "Kleinigkeiten" für die Patentante, den Briefträger, den Zeitungsboten, den Saxophonlehrer, die Hip-Hop-Trainerin ...

.... ist irgendwann durch mit Weihnachten und mit der Liebe.

Dann hat es sich ausgeliebt, dann ist es ein Geschenk, wenn man mit dem Menschen, den man vor den Kindern und dem Labrador kannte, auf dem Sofa dösen darf.

Dann können wir so weiter machen, bis auf uns die Beschreibung passt, die Marie-Luise Scherer auf ihre Tanten gemünzt hat:
"Soweit ich meine Tanten überblicke, war jede eine Herrscherin, die ihren Mann mehr ertrug, als dass sie ihn liebte. Und wenn im Alter diese Männer nicht mehr aus der Küche wichen, nur noch im Wege saßen und ein Faktor der Unordnung waren, machten sie sich bald ans Sterben." (Die Journalistin Marie-Luise Scherer in einer Rede zit. in Hamburger Abendblatt vom 2.3.2012)
Können wir nicht bei den Kindern ein Geschenk streichen, dem Saxophon-Lehrer einmal warm die Hand drücken, die Kekse kaufen und der Liebe unseres Lebens zu Weihnachten eine echte Freude machen?

Neulich habe ich mich mit meiner Freundin Marie auf einen Kaffee getroffen. Mal wieder Herzausschütten in dem tobenden Trennungskampf mit ihrem Mann.

Rosenkrieg seit Monaten. Und vier Kinder kauern in den Schützengräben.

Ich hatte gerade Zucker auf den Cappuccino-Schaum rieseln lassen, als sie meinte: "Ich habe ja schon vor Wochen was Schönes für Hannes zu Weihnachten bestellt." -

"Gibt es einen neuen Hannes?" -

 "Nein, für den alten Hannes."

"Wir kennen uns so lange", meinte sie und schüttelte ihr Zuckerpäckchen. "Ich weiß doch, worüber er sich freut."

Hattet ihr schon mal Milchschaum in der Luftröhre? Der Horror.


Das Geschenkband gibt es im "Depot".


Weihnachten ist verrückt, oder?

Immer schön fröhlich den Liebsten beschenken


Eure Uta

Sonntag, 9. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 106: Was Sterbende bereuen


Die australische Krankenschwester Bronnie Ware hat über mehrere Jahre Sterbende in ihren letzten Wochen auf der Palliativstation betreut. Vor einiger Zeit hat sie ein Buch über ihre Gespräche mit diesen Menschen veröffentlicht. Darin hat sie aufgeschrieben, was die Sterbenden am meisten bereuten.  Fünf der am häufigsten genannten Gründe für Reue waren:

  1. Ich wünschte, ich hätte den Mut besessen, mein Leben so zu leben, wie es mir entspricht - und nicht so, wie andere es von mir erwarteten.
  2. Ich wünschte, ich hätte nicht so hart gearbeitet und die Kindheit meiner Kinder und die Nähe zu meinem Partner intensiver erlebt.
  3. Ich wünschte, ich hätte den Mut besessen, meine Gefühle auszudrücken, ich wünschte, ich hätte sie nicht um des lieben Friedens willen unterdrückt. 
  4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.
  5. Ich wünschte, ich hätte es zugelassen, einfach glücklicher zu sein. Ich begreife erst jetzt, dass ich mich bewusst dazu hätte entscheiden können, über vieles einfach zu lachen und ein paar Verrücktheiten zu tun.
(nach Thomas Frankenfeld, der im Hamburger Abendblatt am 6.12.2012 auf der Grundlage eines Artikels im Londoner "Guardian" über das Buch geschrieben hat)


Das Buch von Bronnie Ware soll im März auch auf Deutsch erscheinen.


"Winterdeko einer unbekannten Spinne",
das Foto hat meine Schwester Nr. 3 geschossen



Den Familienplaner hat Brigitte von "Amselgesang" gewonnen. 

Herzlichen Glückwunsch, Brigitte!

Bitte maile mir deine Adresse, damit ich den Kalender auf den Weg schicken kann.

Allen anderen Teilnehmern danke ich, dass ihr mir so nett geschrieben habt, was ihr für ein weihnachtliches Gefühl braucht. Ich fasse zusammen: Familie, Freunde, Ivan Rebroff, Lasagne, Frost und eine krumme Tanne aus dem Wald. 

Immer schön fröhlich leben, wie es euch entspricht

Uta

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 105: Noch eine Verlosung


Glücksspiel macht ja süchtig, auch wenn man selber den Topf schüttelt und andere beschenkt.

Und so begab es sich, dass Julia von Julias Innenwelten mir anbot, einen ihrer neuen Kalender zu verlosen. Julia macht wunderschöne Collagen. Und diesmal hat sie damit einen Familienplaner gestaltet.

Seht selbst.










Teilnahme-Bedingungen:

Bitte sendet mir einen Kommentar, in dem ihr mir schreibt, welche drei Dinge mindestens erfüllt sein müssen, damit für euch Weihnachten ist.

Teilnahme-Schluss ist am Sonntag um 10 Uhr.

Ich brauche für eine fröhliche Weihnacht:

  • Schnee oder zumindest Frost 
  • das lustige Spontan-Krippenspiel in unserer Kirche ("Du mit dem HSV-Schal, ja du, du bist der Oberhirte.")
  • an Heiligabend unser Büfett der Lieblingsspeisen aller Familienmitglieder  (Pizza, Tiramisu, Kartoffelsalat, Tannenbaum-Eis, Räucherlachs, Rote Grütze, Wiener Würstchen ...)

Liebe Julia, vielen Dank für den Kalender!

Immer fröhlich in den Lostopf springen

Uta


Montag, 3. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 104: Der Elternabend


Zusammen mit dem Vater von Lotta bin ich Elternvertreterin in der Klasse von Kronprinz (15). Das ist mein Comeback als Elternvertreterin. Fünf Jahre lang hatte ich kein Amt in der Schule.

Ich war Elternvertreterin im Kindergarten und Mitglied des Elternrats in der Grundschule. Aber weil man mich immer zum Protokollschreiben verdonnern wollte ("Du bist doch Journalistin.") habe ich lieber aufgehört. Meine Wiederwahl war sowieso gefährdet. Das mit den Wellnessgutscheinen zum Lehrergeburtstag lief bei mir etwas schleppend.

Nun muss man dazu sagen, dass Elternabende in unserer Gegend immer gut besucht sind:

Wenn Mutter beim Hatha-Yoga ist, kommt Vater.
Beim ersten Elternabend vom ersten Kind in der ersten Klasse kommen beide.
In den höheren Klassen kommen beide, wenn sie geschieden sind und das Vertrauen futsch ist, dass der andere die Kofferliste für die Skireise vernünftig mitschreiben kann.

Nicht nur die Präsens auch das Bildungsniveau ist hier sehr hoch. Ich habe Elternsprecherwahlen erlebt, bei denen alle fünf Posten bis runter zum Wart der Klassenkasse mit Promovierten besetzt werden konnten.

Das macht die Sache nicht leichter.

Der Mann meiner Cousine machte den Fehler, einen Elternabend in der Grundschule zu besuchen. Eine Mutter, promovierte Ärztin, ließ ein Einweckglas mit einer Laus herumgehen, die sie auf dem Kopf ihrer Tochter gefunden hatte. Sie machte den Elternabend zum Pro-Seminar über Schädlingsbefall. Und die anderen Erwachsenen saßen mit den Knien im Gesicht auf den Mini-Stühlen und hörten seitenlange Anweisungen, was nun zu tun sei.
Da meldete sich der Mann meiner Cousine zu Wort: "Entschuldigung, Frau Dr. Sowieso, wenn ich ihren Ausführungen richtig folgen konnte, ist es doch ihre Tochter allein, die Läuse hat. Wären Sie so freundlich, das Kind zu Hause zu lassen, bis Sie guten Gewissens ein Attest darüber ausstellen können, dass die Population ausgerottet wurde."

Seither geht meine Cousine zu den Elternabenden.

Elternabende in der Schule sind ja die Gladiatorenkämpfe der Neuzeit.

Schul-Brot und Spiele. 

Die Eltern haben sich in der Arena Klassenzimmer versammelt. Eine Tüte "Colorado" macht die Runde. Die junge Lehrerin, gerade der Referendarszeit entschlüpft, sucht Halt in der Tagesordnung, die sie mit zittriger Hand an die Tafel geschrieben hat.
Ende Zwanzig ist sie und steht Mittvierzigern im Zenit ihrer Karriere gegenüber. Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Lehrer, Medienmanager ... Und alle sitzen da, bereit, rhetorisch den Löwen aus dem Käfig zu lassen.

Die Lehrerin von Kronprinz ist von einer Schule in Berlin-Neukölln ganz frisch nach Hamburg gekommen. Kaum hatte sie die Kronprinz-Klasse übernommen, hatte sie die waghalsige Idee, dass sich die Schüler nach der großen Mittagspause fünf Minuten früher im Kunstraum einfinden sollten, um nach Bereitlegen der Materialien pünktlich mit dem Unterricht beginnen zu können.

Ein schwerer Fehler.

Ein Vater sprang auf und rief: "Wir sind hier ja nicht in Neu-Kölln!" Mehrere Eltern stimmten ein und meinten, die Lehrerin könne dankbar sein, eine so tolle Klasse führen zu dürfen. Und nun komme sie daher und zerstöre jegliche Motivation der Schüler.

Irgendwann trat der Katharsis-Effekt ein. Die Agression war verraucht, die Lehrerin einen Schritt weiter zum Burn-out, die Colorado-Tüte leer. Im Eilverfahren ernannte man Lottas Vater und mich zu Elternvertretern.

Lottas Vater ist die ideale Wahl. Er trägt weder einen Doktortitel noch einen Doppelnamen. Sein Computer hat ein E-Mail-Programm, das allzu empörte Elternbotschaften sofort als Spam identifiziert.
Und er fährt einen Kleinbus, der sich schon mehrfach bewährt hat, um Getränkekisten und Tapeziertische für das Klassenfest runter an die Elbe zu fahren.

Und ich gebe zu meinem Comeback folgendes Wahlversprechen:
  • Ich verspreche, keinen Elternstammtisch zu organisieren. Denn wenn man in der Klasse ein kleines Problem hat, ist es nach dem Stammtisch ein großes Problem.
  • Ich verspreche, erst eine Nacht darüber zu schlafen, wenn aufgeregte Eltern eine Beschwerde an mich herantragen. Und dann erst zu handeln ... oder auch nicht.
  • Ich spreche mit anderen Eltern oder einem Lehrer persönlich. Ich schreibe Mails nur, um mich zu einem Telefonat oder einem persönlichen Gespräch zu verabreden.
  • Ich spreche gut über andere Schüler und deren Eltern oder ich halte die Klappe.
  • Im Konfliktfall wenden Lottas Vater und ich ein mehrstufiges Verfahren an: Gespräch zuerst mit der Lehrerin, dann mit der Beratungslehrerin, in schweren Fällen auch noch mit der Stufen-Koordinatorin und zuletzt mit der Schulleiterin (Reihenfolge wichtig und vom Eskalationsgrad abhängig).
  • Ich organisiere mindestens ein Fest im Schuljahr. 

Der Elternrat unserer Schule, 
nein, leider nicht, sondern Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa, Oberhaupt des tibetisch-buddhistischen Drupka-Ordens  mit Nonnen, Mönchen und einer ins Bild geschummelten Bloggerin.



Immer schön fröhlich andere Eltern vertreten

Uta




Dienstag, 27. November 2012

Glückliche Familie Nr. 103: Mit dem Portable ins Baumhaus


Im vierten Quartal 2011 hatte die Zeitschrift "Landlust" erstmals eine höhere verkaufte Auflage als der "Stern".

Ich kann das verstehen.

Auch ich habe diese Sehnsucht nach einem einfachen Leben in der Natur.

Im Einklang mit dem Mondkalender die Blumenzwiebeln setzen und mit der Manufactum-Schere den alten Apfelbaum beschneiden. Mit den Kindern Borkenschiffchen auf den glucksenden Bach setzen. Wenn dabei die selbst gestrickten Strümpfe nass werden, hängen wir sie über das Hanfseil am Kachelofen und lesen aus "Großvater und die Wölfe" von Per Olov Enquist.

Die gesammelten Pilze schmoren in der Pfanne. Ich hole meine digitale Kamera mit der Mega-Verpixelung und schieße stimmungsvolle Bilder von rotwangigen Kindern und kleinen Händchen. Vorne scharf der kleine Fingernagel mit Erde drunter, hinten verschwommen die Eckbank, die Socken, der Eichelkranz.

Im Sommer sitzen wir im Baumhaus mit unserem Portable und senden die Fotos vom Kirschkernspucken wireless in das Netz, das wir nicht sehen.

Im Winter schöpfen wir selber das Papier für die Weihnachtswunschzettel. Und doch wird wieder drauf stehen "Nintendo, bitte, bitte, bitte" oder ein "Touch-Handy". Zehn Ausrufezeichen zerlaufen auf dem groben Papier.

Entschleunigt kommen unsere Kinder aus dem Waldorfkindergarten und landen doch auf der G8-Schule. Die Erderwärmung ist für sie eine Kurve auf dem Smartboard, ein Flugzeug so alltäglich wie der Schulbus.

Wir leben in diesem Spannungsfeld. Gestern die "cebit", morgen der Bauernmarkt mit den ungewaschenen Möhren.

Bücher warnen uns vor dem "Gefahrenpotential" von Bildschirmmedien. Unsere Kinder - so alarmiert man - werden "digital dement".

Ich klappe sie zu die Bücher, die Schuldgefühle machen. Sie nehmen mir die Kraft.

Ich knicke den erhobenen Zeigefinger ein. Zurück ins Glied mit dir! Ich nehme die ganze Hand zum Streicheln oder auf den Tisch hauen.

Sind wir eine Elterngeneration im Zwiespalt?

Nein.

Wir schaffen beides, das Baumhaus und den Internet-Auftritt.



Das iWood von Donkey Products, Symbol für eine Elterngeneration, die beide Welten vereint


Immer fröhlich den erhobenen Zeigefinger umbiegen

Uta

Donnerstag, 22. November 2012

Glückliche Familie Nr.102: Morgenröte


Heute morgen 7:30 Uhr in Deutschland. Poltern auf der Treppe. Hünenhafter Teenager erscheint im Esszimmer, setzt sich an den Tisch, nimmt eine Brotscheibe aus dem Korb, streicht Frischkäse und Marmelade darauf.

Sohn: "Ich habe festgestellt, dass es mir besser geht, wenn ich etwas frühstücke."

Mutter: "Ach."

Er nimmt sich einen Apfelschnitz, trinkt ein Glas Orangensaft.

Sohn: "Ich werde demnächst etwas früher aufstehen, mir ein Sandwich machen mit Salat, Käse und Schinken und es mit in die Schule nehmen."

Mutter: "Ach."

Sohn: "Es ist mir einfach zu teuer, mir jeden Mittag, einen Döner zu kaufen."

Mutter: "Ach."

Sohn: "Kannst du knackigen Salat, Schinken und Brötchen für mich beim Einkaufen mitbringen."

Mutter: "Ach, ...äh, ich meine, ja."

Sohn: "Gut, tschüss dann."

Es dämmerte.

Draußen und in meinem Kopf. Hatte ich eine Erscheinung?

Seit Monaten hatte Kronprinz (15) vor der Schule nichts gefrühstückt. Jeden Morgen stellte ich einen Teller an seinen Platz und jeden Morgen räumte ich ihn unbenutzt wieder ab.

Anfangs hatte ich gefragt, ob er wirklich nichts essen wollte, hatte mich erkundigt, ob er vielleicht lieber Müsli möchte statt Brot. Aber ich hatte nie gedrängt oder geschimpft geschweige denn, ihn gezwungen, etwas zu essen oder ein Frühstücksbrot mitzunehmen.

Und jetzt das.

Morgenröte 


Wir haben eine gute Zeit mit unseren Kindern (15 und 11). Und meine größte Passion ist es, herauszufinden, wie es dazu gekommen ist, und meine Leser von meinen Erkenntnissen profitieren zu lassen. In guten wie in schlechten Zeiten.

Beim Laubfegen gestern habe ich darüber nachgedacht, was meine pädagogischen Schlüsselerkenntnisse sind. Ich musste den Rechen nicht lange durch die Blätter ziehen, da fiel mir dieser Satz ein:

... unterstützen statt erziehen ...


Es ist der Untertitel des Buches Kinder der Morgenröte von Hubertus von Schoenebeck. 

Ich habe dieses Buch an einem Samstag im Frühjahr 2008 morgens im Bett gelesen. Und es hat mich wie ein Blitz getroffen. Ich weiß noch, wie ich kurz darauf in den Getränkemarkt fuhr und selig lächelnd Flaschen in den Leergutautomaten schob.

Von Schoenebeck schreibt, dass jede Erziehung - ob autoritär oder antiautoritär, ob Waldorf- oder Montessori, ob Laisser-faire oder demokratisch - immer die Botschaft für das Kind enthält: du musst erst noch ein richtiger Mensch werden, dir muss ich etwas beibringen, du kannst vieles noch nicht tun oder entscheiden, du bist nicht alt genug, nicht groß genug und - im Kern -

du bist nicht ausreichend so wie du bist.

Erziehung könne noch so partnerschaftlich daherkommen, mit Augenhöhe und so einem Gesulze. Letztendlich seien sich die meisten Eltern aber sicher, sie wüssten besser als ihr Kind, was gut ist für das Kind. Schließlich waren ihre Eltern auch so mit ihnen, das gibt man einfach weiter.

Was kann man das vermeiden?

Sich öfter mal fragen: Warum will ich in einer Situation eingreifen?

Variante 1: Will ich eine Grenze ziehen für mich selbst ("Wenn du noch einmal mit deinen Freundinnen mein Rouge benutzt, bekomme ich 20 Euro von dir."), was völlig okay ist und auch gerne laut sein darf.

Variante 2: Bin ich in pädagogischer Mission unterwegs ("Im Grunde brauche ich das Rouge sowieso nicht mehr, aber sie soll lernen, fremdes Eigentum zu respektieren.").

Variante 2 - so von Schoenebeck - ist Gift für die Beziehung zum Kind. Kein sofort Tödliches, aber eines, das Tröpfchen für Tröpfchen unser Miteinander vergiftet, weil unser Ansatz ist: "Du bist nicht gut genug."

"(Im Miteinander, meine Ergänzung ...) geht es nicht um das 'Sieh das ein', nicht um Trotz, den es zu brechen gilt, nicht um das Teufelchen, das man zum Besten des Kindes austreiben muss, nicht um das Abendland, das in der Seele des Kindes gerettet sein will. ... Erziehungsfreie Konflikte verlaufen in anderen Bahnen, jenseits von missionarischem Eifer und inerer Not des Erwachsenen und jenseits von Wut, Hass, und Verzweifelung des Kindes." (von Schoenebeck, S. 57)

Seitdem ich glückstrunken vor dem Getränkeautomaten stand, habe ich diesen Ansatz nie vergessen. Es gelingt uns nicht immer, das umzusetzen. Wir haben auch Konflikte, aber sie erschüttern uns nicht in den Grundfesten der Beziehung zueinander.

Ich habe das Buch schon mehrfach verschenkt und bekam Reaktionen wie: "Das ist ja strange."

Aber vielleicht ist die eine oder andere unter euch, die es so tief berührt, wie mich.

Immer schön glücklich am Getränkeautomaten stehen von Schoenebeck lesen.

Uta

Sonntag, 18. November 2012

Glückliche Familie Nr. 101: Kein Drängeln, kein Schubsen




Die Zettel mit euren Namen auf dem Weg zur gläsernen Los-Trommel. Ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden mit dem Verlauf der ersten Verlosung. Brav in Zweier-Reihen stellten sich die Teilnehmer auf. Kein Schubsen, kein Drängeln.


Prinzessin (11) und Kronprinz (15) haben jeder ein Los gezogen. Die Gewinnerinnen sind:


  • Susanne von "Lesende Frauen sind gefährlich" und
  • Steffi



Herzlichen Glückwunsch! 

Bitte schickt mir per Mail eure Adressen, damit ich die Bücher zur Post bringen kann.

Kronprinz meinte, ich sollte noch einmal betonen, dass es eine Verlosung war und wir nicht nach der Qualität der Kommentare ausgesucht haben. Er hatte den Eindruck, dass sich alle viel Mühe mit ihrem Statement gegeben hätten.

Dafür möchte ich mich auch bedanken. Es war interessant zu lesen, welche verschiedenen Lösungen Eltern für ihre Kinder finden, manchmal auch unterschiedliche von Geschwisterkind zu Geschwisterkind.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Donnerstag, 15. November 2012

Glückliche Familie Nr. 100: Verlosung


Zur Feier des 100. Posts möchte ich heute zwei Büchlein verschenken. Und zwar zwei Exemplare einer neuen Veröffentlichung von Jesper Juul.


 Weinheim und Basel 2012

Es hat nur 38 Seiten und ich habe es gestern in einem Rutsch gelesen, als ich beim Hautarzt auf den Kronprinz (15) wartete.

Für mich ist Juul der Dalai Lama der Pädagogik.

Mir gefällt, dass er nicht zündelt zwischen den Müttern mit den verschiedenen Lebensmodellen.
Mir gefällt, dass er die skandinavische Familienpolitik nicht idealisiert.
Mir gefällt es, wenn er sagt, dass das Wohlergehen des Kindes untrennbar mit dem Wohlergehen der Eltern verbunden ist.

Und ich liebe Sätze wie diese:

"Ein robustes Kind kann etwa 6 bis 7 Stunden Pädagogik am Tag aushalten!"

Wer das Buch bestellen möchte, kann es hier tun:

http://shop.famlab.de/Wem_gehoeren_unsere_Kinder.

Oder ihr macht bei meiner Verlosung mit. Ihr braucht zu diesem Post nur einen kurzen Kommentar mit eurer Ansicht zur Frühbetreuung zu schreiben. Zwei davon werde ich auslosen und den Verfassern das kleine Buch schicken. Die Verlosung endet am Sonntag.

Immer fröhlich die Frühbetreuung verbessern

Uta

Dienstag, 13. November 2012

Glückliche Familie Nr. 99: Sendungsbewusstsein


Vokabeltest in Englisch zurück. Fünf minus. Acht von zwölf Vokabeln waren richtig, aber es fehlte ein Satz, der vier Punkte gab. Fünf minus.

Ich setzte mich an mein Laptop und formulierte. "Sehr geehrte Frau x, ich möchte Ihnen die Rückmeldung geben, dass mein Kind traurig und enttäuscht aus der Schule kam. Die Strenge, mit der Sie solche Tests bewerten, ist demotivierend. Ich dachte, hoffte vielmehr, die Pädagogik der Total-Entmutigung sei nicht mehr zeitgemäß. Mit freundlichen Grüßen ..."

Hatte ich Schaum vor dem Mund? Ich fühlte mit der Zunge. Nichts. Ich stand auf und schaute in den Spiegel. Schaum nicht, aber so griesgrämige Die-Welt-ist-ungerecht-Fältchen zwischen den Augen und um die Nase. Ich probierte ein kleines Lächeln. Schon besser. Im Flur hörte ich das Opfer der Entmutigungs-Pädagogik seine Hip-Hop-Sachen packen. Es sang.

Ich fixierte mein kleines Lächeln und setzte mich wieder vor den Bildschirm. Die Mail guckte mich an. Nur ein Klick und ich hätte mein Kind und mich gerächt. Nur ein Klick und ich könnte jemandem eine mitgeben.

Wieder eine Beschwerde mehr in die Welt gesendet. Geht ja so leicht.


Sendungsbewusstsein

Ich klickte auf "nicht sichern".

Ich will nicht mich beschweren. Und auch nicht die Lehrerin beschweren. Ich will lieber gucken, wo ich es leichter machen kann für andere und für mich:

ein Klassenfest organisieren, Witze machen mit den Kindern, die ich in der Schulkantine bediene, anerkennen, wo Lehrer etwas richtig gut machen, mich bedanken beim unermüdlichen Schulhausmeister und Ideen unterstützen wie die von Gerald Hüther.

Der Professor für Neurobiologie gehört zu einem Team, das eine neue Lehrerausbildung an je drei deutschen und österreichischen Hochschulen anbieten wird. Der neue Masterstudiengang heißt "Potentialentfaltungscoach" (hier der Professor im Interview mit Spiegel-online).

Wenn die Kinder aus dem Haus sind, könnte ich mich dort als Senior-Studentin einschreiben. Ich werde darüber nachdenken.

Immer fröhlich die Beschwerde-Mails in den Papierkorb schieben und das nächste Fest vorbereiten

Uta

Sonntag, 11. November 2012

Glückliche Familie Nr.98: Jonglieren


Im Eltern-Training habe ich von drei Bällen gesprochen, die Eltern in der Hand halten:





"Mit diesen drei Bällen jonglieren Sie immer", habe ich zu den Eltern gesagt. "Es ist gut, keinen dieser drei Bälle fallen zu lassen."


Ich finde dieses Bild hilfreich, muss immer wieder daran denken.


Nähe  


Kuscheln, in den Arm nehmen, den Rücken kratzen, an die Hand nehmen, beim Vorlesen auf den Schoß nehmen, Beauty-Programm, liebevoll die Haare kämmen, massieren, eincremen.

Für Prinzessin (11) und mich habe ich gerade die Bodylotion "Bio-Wildrose" gekauft. Wenn ich das Gefühl habe, sie könnte eine Dosis "Nähe" gebrauchen, ist so eine neue Lotion ein guter Vorwand, ihr abends im Bett die Beine einzucremen und zu massieren.

Wir haben einmal mit Freunden Urlaub gemacht, als deren Kinder 4 und 1 Jahr alt war. Wir schlenderten zusammen über eine Uferpromenade und unsere Freundin, vom Beruf Erzieherin, trug den Jüngsten auf dem Arm. Der Vierjährige dagegen umkreiste unsere Gruppe wie ein ungesteuerter Satellit, nur schlecht und recht durch Ermahnungen auf Kurs gehalten. "Kannst du Oskar mal an die Hand nehmen?", flüsterte unsere Freundin ihrem Mann zu. Satellit Oskar wurde angedokt. Kleine Hand in große Hand. Und es war Frieden.
(Bitte schreibt mir jetzt nicht, dass das nicht immer hilft. Ich weiß!)


buntes Leben 


Alle Arten von Anregungen, Spielen, Ausflügen, oft ganz simpel: zusammen Backen, Kochen, Steine sammeln, alte Tapeten anmalen ...

Guckt, dass ihr Sachen macht, die euch selber Freude machen. Ich hätte so Lust, mal zu einer der unbewohnten Elb-Inseln rüber zu rudern oder mit der ganzen Familie durch einen der deutschen Urwälder zu wandern. Caro von dem wunderbaren Blog Naturkinder empfiehlt das Buch Urwälder Deutschlands von Georg Sperber und Stefan Thierfelder. (Oh, das wünsche ich mir zu Weihnachten!) Sollte sich der Wunsch erfüllen, will ich in den Weihnachtstagen gleich mit der Familie in einen deutschen Urwald fahren. Ich bin sehr gespannt, welche Wälder in Norddeutschland verzeichnet sind.

An diesem Wochenende haben wir uns vorgenommen, dass jeder eine Liste macht: "25 Sachen, die ich auf jeden Fall in meinem Leben gemacht haben möchte".

Samuel Lieberman, eine Figur aus der Serie "Dance Academie" hatte so eine Liste (allerdings mit 50 Punkten). Sam ist in der Serie tödlich verunglückt, wie alle Fans wissen. In der nächtlichen Trauerfeier am Strand hat sein Freund "Chrischtian" die Liste vorgelesen und ist alle Punkte durchgegangen: sich ein Tatoo stechen lassen, auf einer Brücke in Sydney tanzen, sich einmal gegen den Vater durchsetzen, Freunde finden, die einen durch das ganze Leben begleiten ..."Den letzten Punkt", flüsterte Chrischtian und seine tränenglänzende Augen wanderten von einem Freund zu anderen, "den letzten Punkt hat er auf jeden Fall geschafft." (Bleibt dran, ich hole nur kurz ein Taschentuch.)

So eine Liste zu schreiben und zu hören, was die anderen auf ihrer Liste haben, ist schon "buntes Leben" pur. Und dass Sachen darauf sein könnten, die wir schon bald umsetzen könnten, macht mich ganz kribbelig. Ich werde berichten.


Grenzen


Beim Jonglieren mit den drei Bällen "Nähe", "Grenzen" und "buntes Leben" plumpst mir der Ball "Grenzen" am häufigsten hin. Ja, es ist mir immer schon schwer gefallen, meinen Kindern Grenzen zu setzen. Ich ertappe mich täglich dabei, dass ich ihnen alles ermöglichen möchte - häufig auf Kosten meiner Kräfte. Wenn ich dann endlich Grenzen setze, wundere ich mich häufig, wie leicht es geht.

Die Regel, dass Prinzessin (11) mittags nur eine halbe Stunde ans iPad darf, ist inzwischen ein Selbstläufer. Keine Diskussion mehr.

Kronprinz (15) habe ich vergangene Woche verkündet, dass ich ihm nicht mehr bei Latein helfen werde, weil ich gemerkt habe, dass er es nur lernt, wenn er sich selber durch die Texte fuchst. Als ich kurz darauf wieder schwach wurde und ihm bei einer komplizierten Konstruktion helfen wollte, pochte er selbst darauf: "Lass mich das alleine machen."

Mit meiner Fußpflegerin (ich erwähnte, dass sie eine weise Frau ist) sprach ich über Durchsetzungskräfte. "Sie sind ja Zwilling", hob sie an, "Zwillinge sind immer ..." - "Frau G.", unterbrach ich sie, "ich bin kein Zwilling, ich bin Fisch." Frau G. setzte ihren Vortrag ungebremst fort. "Ach, Gott, ja, der Fisch, der Fisch ist lasch."

Daran liegt es also.

Immer schön fröhlich jonglieren

Uta

Dienstag, 6. November 2012

Glückliche Familie Nr. 97: Altruismus in Netzstrumpfhosen


Die Grünen in Hamburg fordern, den künftigen Rechtsanspruch für Einjährige auf einen Kita-Platz (gilt von August 2013 an) von fünf auf acht Stunden auszuweiten. (Hamburger Abendblatt vom 5.11.2012)

*
Beim Spazierengehen am Wochenende trafen mein Mann und ich Freunde mit ihrer eineinhalbjährigen Tochter. "Ich bin ja weiterhin zu Hause", raunte Carolin mir zu, "aber damit bin ich in meinen Mütterkreisen so ziemlich die einzige." - "Wenn es schön ist für euch", raunte ich zurück, "genieße es doch." Wir beide guckten über die Schulter, ob irgend jemand unser konspiratives Gespräch gehört hatte.

*
Bindungsforscher Karl Heinz Brisch schreibt, dass für die Betreuung von Säuglingen in einer Krippe ein Verhältnis von 1:2 zu empfehlen ist. "Das heißt eine Erzieherin betreut maximal zwei Säuglinge. Besteht die Gruppe sowohl aus Säuglingen als auch aus größeren Kindern, kann das Betreuungsverhältnis 1 : 3 sein. ... Die heutigen Betreuungsverhältnisse von 1 : 6 oder gar 1 : 8 und mehr sind nicht akzeptabel." (Karl Heinz Brisch: SAFE. Sichere Ausbildung für Eltern, Stuttgart 2010, S. 137)

*

Am vergangenen Freitag war ich zu Hause und machte im Wechsel Hausarbeit und schrieb, als eine Freundin klingelte, um für die gemeinsame Übernachtung unserer Töchter die Schlafsachen zu bringen. "Trägst du daheim immer solche Schuhe?", fragte sie. Ich stöckelte in Pumps und engem Rock durch meinen Haushalt. "Nicht immer", erwiderte ich, "aber warum sollte ich wie ein verhuschtes Mütterchen aussehen, nur weil ich zu Hause arbeite?" 
Vor zwölf Jahren lernte ich eine Mutter von drei kleinen Töchtern kennen. Sie fiel mir auf, weil sie von Zeit zu Zeit in Kleid und hohen Schuhen mit ihren Kindern auf den Spielplatz kam, sich auf die Bank setzte, in vollendeter Eleganz ein Feinstrumpfbein über das andere schlug und die Keks-Box aufklappte, als sei es eine Puderdose. Unpraktisch? Egal. Wahrscheinlich lag der Haushalt brach, aber sie wahrte ihre Würde als Frau. Ihre Töchter dürften fast erwachsen sein, aber den Auftritt ihrer Mutter auf dem Spielplatz habe ich nie vergessen. (Die Töchter sicher auch nicht.)


Jeans: Esprit-Denim, abgeschnitten, Strumpfhose H&M, Schuhe: aus einem italienischen Schuhladen in Berlin,  Klammerbeutel: Schwiegermutter


*

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es ein Pro und Contra zu der Frage "Darf man Hausfrau sein?". In ihrem "Pro"-Text schreibt Sabine Rückert:

"Hausfrau kann heute ein ganz und gar politisch nicht korrekter Lebensentwurf sein, ein Widerstand gegen alle Aufdringlichkeiten des Zeitgeists. Die bewusste Hausfrau ist eine Rebellin gegen die Zwänge des Marktes. Sie macht nicht mit beim großen Rattenrennen. ... Sie sitzt am Sandkasten und schaut den Kleinkindern beim Schaufeln zu. Sie hat, was Kinder zum Großwerden brauchen: Zeit. Zeit zum Spazierengehen, zum Plätzchenbacken, zum Basteln, zum Vorlesen. Sie ist eine Entschleunigungsfigur von einer fast philosphischen Dimension. ...Die Hausfrau ist eine merkwürdig altruistische Erscheinung in einer Welt von Egomanen, sie arbeitet nicht an ihrer Selbstoptimierung, sondern am Wohlergehen anderer, Schwächerer. An der Stabilität von Bindungen in einer Zeit der Unverbindlichkeit."


Liebe Sabine Rückert,  herzlichen Dank für diese Worte und herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg in die Chefredaktion der ZEIT. Ich freue mich über ihren Aufstieg und darüber, dass Sie Frauen, die einen anderen Lebensentwurf leben als Sie selbst, den Rücken stärken. Das ist so selten. Danke!


Immer schön fröhlich bleiben

Uta


PS: Eine "altruistische Erscheinung" ist auch meine Mum. Sie hat vier Kinder groß gezogen. Und als das letzte aus dem Haus war, hat sie jahrelang ehrenamtlich beim Kinderschutzbund türkischen Kindern bei den Hausaufgaben geholfen. Danke, Mum!

Samstag, 3. November 2012

Glückliche Familie Nr. 96: Bücher und Zehenzwischenräume


Gestern las ich in der Zeitung einen Artikel über die Engländerin Wendy Cooling. Diese Frau hat das Projekt "Bookstart" erfunden. "Bookstart" sorgt dafür, dass jedes Jahr 700 000 Neugeborene in Großbritannien eine Tasche mit zwei Büchern geschenkt bekommen: eine zur Geburt, eine zwei Jahre später und eine zur Einschulung.
In vielen Städten weltweit hat es Nachahmer gefunden. Und in dieser Woche wurde in Hamburg gefeiert, dass der Bürgermeister die 100.000 Büchertasche in eine Wiege gelegt hat.





Im Hamburger Abendblatt stand: "Bei einer Studie der Universität Hamburg stellte sich heraus, dass Zweijährige aus Hamburg, die Buchstart-Bücher bekommen hatten, deutlich mehr Wörter kannten als Gleichaltrige aus Bremen, die keine Buchpakete erhalten hatten."

Die armen Bremer. Immer verlieren sie in der Statistik, sogar beim Vergleich der Gaststättenhygiene in allen Bundesländern (siehe ZEIT-Magazin diese Woche).

Aber zurück zur Leseförderung. Das ist auch eins von vielen Dingen, um die Eltern sich kümmern müssen.

Wendy Cooling möchte, dass wir das Lesen fördern.
Der Kinderarzt möchte, dass wir bei den Kindern das Sporttreiben und die gesunde Ernährung fördern.
Die Englischlehrerin möchte, dass wir das tägliche Vokabellernen fördern.
Die Klavierlehrerin möchte, dass wir das Üben fördern.
Unsere Zahnärztin möchte, dass wir die Benutzung von Zahnseide fördern.
Der Hautarzt möchte, dass wir die tägliche Reinigung des pubertierenden Gesichts fördern.
Eine Freundin meinte, man müsse es fördern, dass die Kinder nach dem Duschen die Zehenzwischenräume abtrocknen.
Und alle fordern, dass wir die Selbständigkeit der Kinder fördern.

Hat noch jemand ein Förderanliegen?

Und alle flöten: "Es reichen schon fünf Minuten jeden Tag."

Aber in der Summe sind es Stunden. Und wer betreibt die ganze Förderei?

Muttern 

Da liebe ich mir doch meine Wendy Cooling. Sie möchte zwar das Lesen fördern, setzt aber hinzu:


"Niemals zum Lesen zwingen." 


Sie nimmt einfach ihre Büchertaschen und stopft sie in die Kinderwägen. Und es hilft auch.

Ich speichere das hier jetzt ab und gehe nach oben in die Kinderzimmer. Ich lege zwei deutsche Jugendbuchpreis-Bücher, einen kleinen Korb mit Obst und Gemüse, die unregelmäßigen englischen Verben, die Klaviernoten, eine Dose Zahnseide, Gesichtsreinigungsfluid und ein Handtuch für die Füße und stopfe alles in die Betten meiner Kinder.

Ich nenne mein Projekt "AutonomyStart". Es wird weltweit Nachahmer finden.

Aber jetzt mal im Ernst. Wendy hat Recht. Eltern sollen die Kinder nicht drängen, zwingen, kontrollieren (höchstens die Zehenzwischenräume).
Die Aufgabe von Eltern besteht im Wesentlichen darin, den Kindern viele Möglichkeiten zu bieten. Dann kann jeder kleine Mensch gucken, ob etwas für ihn dabei ist, und die Person werden, die in ihm steckt.

Immer fröhlich viele Bücher und Möglichkeiten bieten

Uta

P.S. Wendy Cooling hatte die "Bookstart"-Idee während einer Einschulungsfeier. Als eine Lehrerin jedem Schüler zur Begrüßung ein Buch schenkte, sah Wendy, dass ein kleiner Junge damit nichts anzufangen wusste. Er biss hinein.

Dienstag, 30. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 95: Der Quadrant fürs Wesentliche


Anfang Dezember des vergangenen Jahres stand eine Frau vor mir im Einrichtungsladen und ließ sich ein Steckenpferd einpacken. "Dies ist das letzte Weihnachtsgeschenk", sagte sie stolz, "dann habe ich alle."

Ich schluckte. Es waren noch zweieinhalb Wochen bis Heiligabend und ich hielt Weihnachtsgeschenk  Nr. 1 in Händen.

Ich denke viel daran herum, wie ich im "Hier und Jetzt" leben kann und trotzdem das Morgen und Übermorgen plane, damit es dort auch ein gutes "Hier und Jetzt" gibt.

Habe ich nur den Eindruck oder blenden die Weisheitslehrer diesen Aspekt komplett aus, wenn sie im Lotussitz vor ihren Klangschalen sitzen?

Wie wichtig es ist, sich ab und an im Leben einen Plan zu machen, ist mir bei Steven R.Covey klar geworden. Der frühere Professor für Business Management und Begründer eines neuen Zeitmanagements hat ein Modell aus vier Quadranten entwickelt.





Quadrant 1: hier tröste ich das Kind, das sich das Knie aufgeschlagen hat, ich rufe den Handwerker an, weil die Heizung kaputt ist, ich überweise das Geld, das übermorgen fällig ist ... In den Quadranten 1 gehören alle Tätigkeiten, zu denen man keine Frage hat, ob sie getan werden müssen oder nicht.

Quadrant 2 ist der Quadrant des Planens. Hier mache ich mir Gedanken, warum ich gerade in meinem Job unglücklich bin und plane konkrete Schritte, um etwas daran zu ändern. Wenn es Stress gibt mit einem meiner Kinder, überlege ich, was ich tun kann, um das Miteinander schöner zu gestalten. Hier male ich mir aus, wie ich in diesem Jahr Weihnachten feiern möchte ... In diesen Quadranten gehört außer Planen auch Ausruhen und Kräfte sammeln oder künstlerisch tätig sein.

Quadrant 3: Dieser Quadrant ist voller e-Mails. Die meisten Botschaften, die man auf diesem Weg erhält, sind bei näherer Betrachtung nicht wichtig, suggerieren aber durch das Prinzip der Warteschleife Dringlichkeit. Man fühlt sich schlecht, wenn man nicht reagiert. Außerdem läuft der Papierkorb über.
Auch manche Arzttermine gehören hier herein: die fünfte Vorsorge-Untersuchung im Quartal, das Nocheinmal-Röntgen, Ultraschall von vorne und "Kern-Spin" rundum, weil der Arzt auch das letzte Restrisiko des Lebens noch ausschalten will.

In Quadrant 4 zappe ich durch die Fernsehprogramme, ohne etwas zu finden, was mich wirklich interessiert. Damit ist nicht gemeint, einen Film zu sehen, der einen wirklich unterhält und entspannt, sondern das geistlose Rumzappen und das schale Gefühl danach. In Quadrant 4 befindet sich auch das oberflächliche Gespräch, das niemanden weiterbringt, Klatsch und Tratsch, Small-Talk, BILD-"Lesen" ...

Steven R. Covey schreibt, dass Quadrant 2 der wichtigste Quadrant ist.

Wenn ich Quadrant 2 missachte, schwillt Quadrant 1 an. Dann ist plötzlich alles dringend und wichtig und ich habe Stress pur.

Und was ist nun mit den Weihnachtsgeschenken Ende Oktober?

Ich bin in mich, also in Quadrant 2, gegangen und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:

Ich möchte Weihnachtsvorfreude auskosten, möchte mit den Kindern Schnee schaufeln und dann im Warmen das Räucherhäuschen anzünden und das erste Spritzgebäck kosten, ich möchte mit ihnen Tannenbäume auf Packpapier stempeln und mit Muße persönliche Geschenke besorgen. Damit ich dafür Zeit habe, fange ich morgen, am 30. Oktober, an, die ersten Geschenke zu besorgen. Puh!




Immer schön fröhlich planen

Uta

PS: Ich habe einen Blog-Award bekommen, hier. Vielen Dank Poie Sandybanks! Ich habe mich sehr darüber gefreut. Sorry, dass ich jetzt erst reagiere.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 94: "Make peace with temperature"


Gestern morgen trotzte Prinzessin (11) dem grauen Herbstwetter mit einem schulterfreien Top. Wir hatten 9 Grad (immerhin plus), Frühnebel und keinerlei Anzeichen für einen plötzlichen Hitzeeinbruch.

Am Nachmittag das umgekehrte Spiel. Es war bedeckt und mild und Prinzessin und ihre Freundin brachen dickvermummt in ihren neuen Winterjacken mit Daunenfüllung zum Laubfegen bei dem älteren Ehepaar in unserer Nachbarschaft auf.


Aus der Pubertäts-Kollektion "Make peace with temperature"


Pubertierende lehnen sich gegen alles auf, auch gegen das Wetter.

Bodenfrost? - Wie spießig.

Hagel- und Graupelschauer? - Mensch, Tiefdruckgebiete, chillt euch.

Dauerregen? - Hey, Wolken, was geht ab?

Ich lasse meinen Kindern völlige Freiheit, wenn es darum geht, wie warm sie sich anziehen oder wie viel sie essen möchten (hier).

Als die beiden Mädchen aber mit ihren nagelneuen Jacken zur Gartenarbeit aufbrachen, wollte ich ihnen alte Pullover von mir ausleihen. (Muss man mit Kehrblech und Rechen in der Hand gut aussehen? Suchen die Scouts von Heidi Klum auch in den Laubhaufen von Rentnern nach neuen Models?).

"Lass mal, Mama", sagte Prinzessin, "wir ziehen die Jacken eh gleich aus, weil wir bei der Arbeit immer so schwitzen." - "Trotzdem", brüllte ich hinterher, aber da waren die Eskimo-Gärtner schon um die Ecke verschwunden.

Am Vorabend hatte ich im Gymnasium unserer Kinder einen Vortrag des Erziehungswissenschaftlers und Kriminologen Jens Weidner gehört. "Es reicht", sagte Weidner, "wenn Eltern sich zu 80 Prozent gegen ihre Kinder durchsetzen. Sie müssen mit ihrem Eingreifen nicht immer Erfolg haben. Eine Erfolgsquote von 80, höchstens 90 Prozent reicht aus." Wichtig sei, dass wir gegenüber unseren Kindern oder Jugendlichen einen klaren Standpunkt hätten, nicht so sehr, ihn immer durchzusetzen. Der Professor machte eine kleine Pause, trat auf die andere Seite seiner Präsentations-Leinwand und ergänzte: "100 Prozent Durchsetzungserfolg zerstört die Beziehung."

Ich war sehr beglückt. Wieder ein Zitat für meine Sammlung "Entlastende Sätze für Eltern".

Als nun die beiden Gartenarbeiterinnen abgerauscht waren, durchfuhr mich der Weidner-Satz. Nicht der Entlastende, sondern der andere.
"Ich muss was für meine Durchsetzungsquote tun", dachte ich, rannte den Mädchen hinterher und stellte mich ihnen breitbeinig in den Weg. "Hey, es ist einer neuer Sheriff in der Stadt." Ich ließ die Handschellen an meiner Hüfte baumeln, hielt ihnen aber wortlos zwei alte Jacken hin. "Mama, wir ziehen die doch sowieso gleich aus." - "Ihr zieht diese Klamotten an. Ich will nicht, dass die neuen Jacken im Eichhörnchen-Pipi auf der Erde landen."

Immer fröhlich auf die Durchsetzungsquote achten

Uta    


Montag, 22. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 93: Einfühlsames Spiegeln


Die Frau blättert in den Blusen am Ständer, das größere Mädchen dreht sich vor dem Spiegel, das kleine Mädchen schwankt langsam auf die Rolltreppe zu, die immer neue Stufen steil nach unten wälzt. Da bewegt sich was, lässt große Menschen kleiner wachsen und verschwinden.

Das kleine Mädchen wird schneller, hat bald den Spalt erreicht, aus dem die Stufen fließen. "Neiiiiiiiiiin!" Das ist Mama, die schreit, und Mamas Arm, der das kleine Mädchen vom oberen Absatz der Rolltreppe reißt.

Schwer atmend hält die Frau das Kind auf dem Arm. Der Buggy mit den aufgespießten Tüten ist umgekippt. Das kleine Mädchen brüllt, aber die Frau drückt es mit beiden Armen an sich.

"Das ist ja gerade noch mal gut gegangen - es ist gut, es ist alles wieder gut."

Das Mädchen weint, die Leute gucken.

"Du wärest mir fast da runter gestürzt. Man war das knapp!"

Der kleine Körper auf dem Arm zieht neue Luft für weiteres Schluchzen.

"Das war ein großer Schreck für dich, oder?"

Das Mädchen weint und weint.

"Mama kann ganz schön laut brüllen, oder?"

Kind weint ein bisschen weniger.

Mutter: "Es ist alles gut." (lässt Kind wieder vom Arm und geht in die Hocke, um es weiter zu trösten)

Kind bekommt Nase geputzt und weint noch ein bisschen vor sich hin.

Mutter streicht ihm über den Rücken. "Jetzt hast du dich wieder beruhigt von dem Schreck, oder?"

Das Kind schluckt letzte Tränen runter, die Frau richtet den Buggy wieder auf. Sie ruft das große Mädchen, setzt sich das kleine Mädchen auf die Hüfte und geht mit den Kindern zur Kasse.



Utas Kurzanalyse einer Erziehungssituation:

Die Frau hat sich super verhalten,
  • weil sie nicht schimpft (völlig normale Entdeckerlust eines Kleinkindes, kein Grund zum Schimpfen)
  • weil sie mit viel Körperkontakt tröstet
  • weil sie die Gefühle des Kindes erkennt und in ihre Worte fasst ("Das war ein großer Schreck für dich, oder?") 

Diese Reaktion ist ideal für den Aufbau einer sicheren Bindung. Das habe ich aus dem Buch des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch. Nicht nur, dass die Frau über Körperkontakt tröstet, was die meisten Eltern instinktiv tun würden, sondern dass sie das innere Erleben des Kindes "spiegelt". Sie macht sich Gedanken, was in dem Kind gerade vorgeht, und fasst es für das Kind in Worte. Worte, die dem Kind selber noch nicht zur Verfügung stehen. Das schafft eine intensive Bindung. Das kleine Mädchen fühlt sich verstanden und beruhigt sich schnell wieder. Und wenn die Mutter häufiger so reagiert, lernt es auch, bald Worte zu finden für sein eigenes Gefühlsleben. Das macht Kinder selbstsicher.


"He, du hast Spaß beim Welterkunden, oder? Eine erste kleine Erschöpfung sehe ich in deinem Gesicht, aber ein bisschen geht noch, oder?"

Schade, dass das bei Jugendlichen nicht mehr hilft mit dem "Spiegeln".

Mutter zu ihrem heranwachsenden Sohn: "Du hast so trübe Augen. Es macht dir zu schaffen, so lange vor dem Computer zu sitzen, oder?"

Sohn: (grummel, grummel)

Mutter: "Du fühlst dich leer und seelisch ausgebrannt von den vielen Reizen, oder?"

Sohn: (grummel, grummel)

Mutter: "Es wird alles wieder gut, mein Großer, wir bringen das Ding auf den Elektro-Schrott."

Sohn: (wird handgreiflich)


Bei den Kleinen immer schön fröhlich "spiegeln"

Uta

Freitag, 19. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 92: Der Ruck


Prinzessin (11) hatte diese Woche aufzuschreiben, was ihre Kindheit von der Kindheit Jesu unterscheide. Ihr fiel als erstes dazu ein, dass sie Eltern habe, die weniger streng sind als Jesu Eltern es waren.

Ich ließ das mal so stehen.

Ich meine, Jesus war für mehrere Tage einfach weggelaufen. Als Maria und Josef ihn im Tempel wieder fanden, stellten sie ihn zur Rede, waren aber schnell besänftigt, weil theologische Gründe den Zwölfjährigen ins Gotteshaus geführt hatten.

Wenn ich Prinzessin nach mehreren Tagen im nahegelegenen Einkaufszentrum aufgreifen würde (die Kirchen im Umkreis sind verschlossen), könnte Prinzessin nur ökonomische Gründe aufführen und es gäbe ein gehöriges Donnerwetter.

Diese Möglichkeit erwähnte ich gegenüber Prinzessin nicht.

Zu sehr gefiel mir mein Milder-als-Maria-Image, als dass ich diese Blase hätte platzen lassen wollen.

Gerade wandelte ich wieder auf dem Pfad der Güte, als ich kurz nach dem Mittagessen an unserem Schlafzimmer vorbeikam. Prinzessin fläzte sich auf unserem frisch bezogenen Doppelbett  und chattete auf dem iPad.

Überhaupt das iPad. Es hat das Format der alten Schiefertafel, bietet aber explodierend viele Möglichkeiten. Groß genug, um darauf mit Spaß zu spielen oder Filme zu sehen, klein und flach genug, um es schnell unter einem Kissen verschwinden zu lassen. Es ist des Teufels.


Suchbild - wer findet das iPad?


Manchmal verfluche ich den Tag, an dem das Ding in unser Haus kam. Und weil Prinzessin beim Essen am Mittag auch noch alle Röstzwiebeln aus den Käsespätzle gepult hatte, war es vorbei mit meiner Maria-Milde.
Ich jagte meine Tochter aus dem Elternschlafzimmer, wie Jesus die Marktschreier aus dem Tempel. Stürmte die Treppe runter, weil ich Käse aus der Pfanne kratzen musste, stürmte die Treppe wieder hoch, weil ich vergessen hatte, das iPad zu beschlagnahmen.

"Wir bieten den Kindern so viel und fordern zu wenig", sagte mein Mann am Telefon. "Sie müssen mehr Durchhaltevermögen lernen."

Das hatte mir gerade noch gefehlt, eine Ansprache aus dem Off.

Ärgerlich spitzte ich die Käsekrusten aus dem Teflon. Die Wahrheit ist manchmal schmerzhaft. Arme Uta, arme Pfanne.

Aber dann gab ich mir einen Ruck. Ich tat das, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich kochte mir einen Kaffee, nahm mir mein Tagebuch und schrieb auf, welche Erkenntnisse ich aus der Situation ziehen könnte.

  • Anderen Eltern raten, sich die Anschaffung eines Tablet-Computers gut zu überlegen. Lieber einen immobilen Tisch-Computer für alle zugänglich im Wohnraum aufstellen, dann fällt die Kontrolle leichter. 
  • Zeit begrenzen und mit Prinzessin sprechen: 30 Minuten mittags am iPad spielen ist zum Entspannen okay. iPad ist dann erst am Abend wieder erlaubt, wenn Hausaufgaben gemacht sind, Freunde getroffen oder Sport getrieben wurde. 
  • Mit Kronprinz (15) wieder eine Zeit festlegen, wann er in der Schulwoche im Bett liegen muss. Es war wieder eingerissen, dass er erst nach Mitternacht zur Ruhe fand und ein gewaltiges Schlafdefizit vor sich herschob.
  • Wenn schon Computer-Spiele, dann auch mal zusammen. Zum Glück macht es meinem Mann Spaß, mit Prinzessin ein Strategie-Spiel im Internet zu spielen. Sie müssen ein Dorf vor Feinden verteidigen, Kanonen anschaffen und Schutzmauern errichten. Das schweißt zusammen. Wenn er von der Arbeit kommt, läuft Prinzessin ihm schon entgegen: "Wir sind angegriffen worden." - "Wie kann das sein, ich habe doch eine Kanone auf Level 4 installiert?"

Liebe Religionslehrerin, wenn man sich überlegt, in welchen Punkten sich Prinzessins Kindheit von Jesu Kindheit unterscheidet, dann fällt mir eine Menge dazu ein. 

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Dienstag, 16. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 91: Känguru kraulen


Wir sind "Dance-Academy"-Fans, Prinzessin (11), ich und sogar mein Mann.

Die australische Fernsehserie, die bis vor kurzem von montags bis donnerstags um 20.10 Uhr auf KiKA lief (dritte Staffel für Herbst 2013 angekündigt), erzählt die Geschichte von Tara Webster, einem jungen Mädchen von einer Farm im Outback, die davon träumt, Prima Ballerina zu werden. Tara schafft die Aufnahme an der National Academy of Dance in Sydney und erlebt mit ihren Mittänzern alle Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens. Es geht um Freundschaft, Liebe, Konkurrenz und natürlich Tanzen.

Wir haben einige Folgen aufgezeichnet. Und so kann es sein, dass ich vom Einkaufen nach Hause komme und den Reis und die Nudeln nur einräumen kann, wenn ich stoßweise zum Küchenschrank stürme, weil Prinzessin wieder die Beine schwingt. Dann hält sie sich an der Kante der Arbeitsplatte fest und versucht, einen Fuß auf die Spüle zu legen (ist ja auch gedacht für Füße). Und ich weiß, dass sie wieder heimlich "Dance Academy" gesehen hat und für das "Pas de deux" mit Ben trainiert.

Ich bin ja nicht so beeinflussbar von solchen Streifen. Gut, als Tara in der Folge neulich die Ferien mit Christian auf der Farm im Outback verbrachte, merkte ich erst beim Abspann, dass ich nicht das Känguru-Baby kraulte, das ich mit der Flasche groß gezogen hatte, sondern unseren Kater.

Dass ich in Filmwelten so versinke, war früh angelegt. Als ich so alt war wie Prinzessin (11), durfte ich "Black Beauty" sehen. (Wisst ihr noch, die Serie mit der englischen Tierarzttochter und ihrem schwarzen Hengst?). Kaum war der Fernseher aus, sattelte ich mein Fahrrad und ritt um den Häuserblock. Ich trieb meinen "Black Beauty" über die Behindertenrampe in der Grünanlage bei uns an der Kirche und täschelte die beiden Stangen vom Fahrradrahmen, weil mein Draht-Rappe wieder so toll über das Gatter gesprungen war. "Beauty" flüstere ich zärtlich und legte meinen Kopf auf den Lenker.

In Filmwelten versinken zu dürfen, finde ich wunderschön. Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, wenn Kronprinz (15) auf Geburtstagspartys eingeladen ist, wo die Eltern erlauben, drei oder vier Filme hinter einander zu sehen.
Wie kann man sich so die Birne zuknallen? Nichts kann da nachwirken, kein Plot kann weiter gesponnen werden, kaum ein Held schafft es in die Träume der Jugendlichen. Und ich stelle mir das Unterbewusstsein nach so einer "Party" vor wie ein "Guernica" aus Verfolgungsjagden, Schlägereien, Liebesszenen und Autorennen.

Dann lieber eine Folge "'Dance Academy" sehen.




Ich mag daran,
  • dass Xenia Goodwin, die Tara im Film, ein Mädchen ist wie du und ich. Nur, dass ich (ächz), das Bein nicht so hoch kriege. 
  • dass alle Tänzerinnen im Film ein bisschen moppelig sind. Damit der Film keinen Teenager zur Magersucht verleitet, hatte beim Casting wohl niemand eine Chance, bei dem man durch das Tanztrikot die Knochen zählen konnte. 
  • dass Tara als Erzählerin durch die Serie führt und ihre (manchmal) klugen Schlussfolgerungen aus dem Erlebten zieht. 
Ich achte trotzdem darauf, dass Prinzessin nicht zu oft vor dem Fernseher hängt und dass sie nicht sieht, wie ich beim Zähneputzen meine schmerzenden Zehenspitzen in den Badezimmerläufer bohre, die elektrische Zahnbürste wie einen Nussknacker in den Händen halte und mich damit bis zur Dusche drehe.

Sich immer schön auf einen Film beschränken und das Känguru kraulen

Uta

PS: Staffel 2 wird seit vergangenen Samstag immer um 10.35 Uhr im ZDF wiederholt.

Samstag, 13. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 90: Pokerface-Baby


Einst schrieb ich für eine Schweizer Zeitung über ein kleines Mädchen, das im Trennungskrieg der Eltern von seinem Vater entführt worden war. Über viele Monate war Monique in den USA verschollen. Ein halbes Jahr später wurde das Mädchen entdeckt und der Vater verhaftet. Die Mutter, eine gebürtige Schweizerin, kehrte mit dem Kind nach Zürich zurück. Ein Schweizer Gericht aber entschied, sie müsse das Kind in die USA zurückbringen. Aus Angst, ihr würde das Kind erneut genommen, tauchte die Mutter unter und floh mit dem Mädchen quer durch Europa.

Eine traurige Geschichte. Und ich hatte den Auftrag, sie zu erzählen.

Während der Recherchen war die kleine Monique stundenweise in meiner Obhut, weil ihre Mutter Anwaltstermine hatte oder zu einer Behörde musste. Mein Mann und ich glaubten, das traumatisierte Kind würde bei uns weinen oder randalieren, weil wir ihm völlig fremd waren. Aber nichts dergleichen.
Monique, damals drei Jahre alt, verhielt sich, als hätte sie schon immer bei uns gelebt. Sie spielte friedlich, kuschelte sich an uns, behandelte meine Schwiegereltern, die zu Besuch kamen, wie Oma und Opa, schmuste sogar mit ihnen.

Es war gespenstisch. Wir hatten plötzlich eine kleine Shirley Temple auf dem Schoß. Lockig, zuckersüß und ohne irgendeine Distanz zu Fremden.

Dieses Erlebnis fiel mir wieder ein, als ich in einem Buch des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch las. Brisch erklärt die drei unterschiedlichen Bindungstypen:

  • Typ 1, die sichere Bindung:  Kind weint bei Trennung von Bezugsperson, lässt sich aber bei deren Rückkehr schnell wieder beruhigen
  • Typ 2, die unsicher-vermeidende Bindung:  Kind zeigt kaum Regung sowohl bei der Trennung als auch bei der Wiederkehr der Bezugsperson
  • Typ 3, die unsicher zwiespältig-ängstliche Bindung:  Kind weint bei Trennung und lässt sich bei Rückkehr der Bezugsperson kaum beruhigen, will Trost und tritt gleichzeitig um sich 

Monique zeigte ganz klar das Typ2-Verhalten. Ein kleines Mädchen, das seine wahren Gefühle hinter einer einstudierten Fröhlichkeit verbarg.

Brisch schreibt über diesen Typ:
In den Augen der Bindungspersonen selbst sind diese Kinder nach außen autonom, zufrieden und können mit Trennungen hervorragend umgehen... ein Kind, wie es sich viele Eltern für das Säuglings- und Kleinkindalter wünschen. Sie können sehr rasch und wechselnd bei verschiedenen Personen - heute bei der einen Babysitterin, morgen bei der anderen - "deponiert" werden....Aufgrund der Forschung wissen wir aber, dass diese Kinder nicht in sich ruhen und solche Trennungssituationen durchaus nicht stressfrei erleben.Genau das Gegenteil ist der Fall. Untersuchungen des Herzschlags und der Herzfrequenz sowie des Hautwiderstandes und auch die Messungen - zum Beispiel im Speichel - des Stresshormons Kortisol haben gezeigt, dass diese Kinder in Trennungssituationen genauso wie die bindungssicheren Kinder mit einer stressvollen Aktivierung ihres Körperbindungssystem reagieren: Der Puls schlägt schneller und sie schütten deutlich Stresshormone aus. Im Unterschied zu sicher gebundenen Kindern haben bindungsvermeidende Kinder bis zum Ende des  ersten Lebensjahres aber bereits gelernt, solche ... Bindungssignale nicht nach außen zu zeigen. (Karl Heinz Brisch: SAFE, Sichere Ausbildung für Eltern, Stuttgart 2010, S. 44/45)

Das ist furchtbar, oder? Noch kein Jahr alt und schon ein Pokerface.

Monique hatte rasant schnell gelernt, sich an die Welt der Erwachsenen anzupassen. Und diese Welt  war furchtbar für sie: monatelang war für sie die Mutter verschwunden, dann wieder der Vater. In sieben oder acht verschiedenen Krippen oder Kindergärten musste sie sich eingewöhnen und an plötzlich auftauchende Babysitter. Die beste Strategie war für sie, schon als Baby ihre wahren Gefühle zu verbergen und pflegeleicht zu sein.

Sieben oder acht Kitas in weniger als drei Jahren.                                 Foto: Kronprinz (15) beim Sozialpraktikum


Nach dem Erscheinen meines Artikels über diesen transatlantischen Krimi hatte ich keinen Kontakt mehr zu Monique und ihrer Mutter. Deshalb kann ich euch leider nicht schreiben, wie die Geschichte ausgegangen ist.

Wenn ihr aber Probleme habt, euer Kind in einer Krippe oder an eine neue Tagesmutter zu gewöhnen, kann die Geschichte von Monique eure Probleme relativieren.

Euer Kind weint, wenn ihr geht? Es beruhigt sich bald nach eurer Rückkehr?
Dann habt ihr ein bindungssicheres Kind.

Gebt ihm viel Zeit, sich zusammen mit euch in eine neue Situation einzugewöhnen. Das ist eine Investition, die sich lohnt.

Jetzt klinge ich wie eine Versicherungsvertreterin und höre liebe auf.

Immer behutsam eingewöhnen

Uta