Dienstag, 26. August 2014

Glückliche Familie Nr. 238: Unechte Fragen


Am Sonntag nach dem Essen fragte ich den Kronprinzen (16), ob er mir beim Abwasch helfen würde.

Er sagte: "Nein."

Ich sagte: "Okay."

Während ich die Arbeit allein machte, war ich ganz im Reinen mit uns beiden. Denn mir fiel ein, dass ich Kronprinz am Vortag gefragt hatte, ob er die Spülmaschine ausräumen könnte. Und er hat es gemacht.

"Wer eine Frage stellt, muss auch mit einem 'nein' leben können."
Maria&Stephan Craemer, CoachingAcademie 


Häufig stellen wir Fragen und es sind gar keine. Es sind keine, wenn der andere nicht wirklich die Wahl hat, was er darauf antwortet. Denn wenn die Antworten "keine Lust", "keine Zeit" oder "warum ich schon wieder?" lauten, werden wir motzig. Dabei wollten wir doch wissen, wie die Befragten zu unserem Anliegen stehen. Und wenn sie ehrlich antworten, sind wir auch nicht zufrieden.


Spülen oder spielen?


Wenn ich den ganzen Tag frage: Räumst du den Tisch ab? Machst du endlich das Katzenklo sauber? Stellst du dein Fahrrad in den Schuppen? ... , sind es versteckte Befehle. Die funktionieren schlecht. 

Wenn ich will, dass meine Kinder den Müll herausbringen, dann muss ich es anordnen.

"Prinzessin, du bringst jetzt den Müll heraus. Danke." 

Ich merke, dass es besser läuft, wenn ich diese Klarheit habe: echte Frage oder klarer Befehl. Dann wissen sie, woran sie sind.

Inzwischen habe ich ein deutliches Gefühl, wann ich etwas anordnen möchte, weil es höchste Zeit ist, dass die beiden etwas im Haushalt tun, und wann ich einfach nett frage möchte, ob mir jemand bei einer Arbeit helfen könnte, und es auch okay ist, wenn ich ein 'nein' zu hören bekomme. Umso mehr freue ich mich, wenn sie mir in einer Situation zur Seite springen, in der ich gar nicht damit gerechnet habe. 

Das Entscheidende ist aber, dass wir alle kooperativer werden, wenn wir erleben, dass unser 'nein' respektiert wird. Wahrscheinlich sind das die Hauptgründe, warum es dann besser läuft: mehr Klarheit und mehr Respekt.

Das Schöne ist, dass ich es auch umgekehrt anwenden kann. Wenn Kronprinz mich fragt: "Kann ich heute dein Fahrrad nehmen?" und ich sage "nein" und dann der Welpenblick kommt, sage ich: "Du hast mich gefragt und heute lautet die Antwort 'nein'." Das Ganze dauert keine zwei Minuten.

Und hier noch ein Satz aus dem Coaching-Seminar:

"Wer nicht 'nein' sagen darf, der handelt 'nein'."

Wenn Eltern von ihrem Kind erwarten, dass es zum Ballett (Tennis, Karate, Geigenunterricht, Treffen mit Tante Klara) geht und das Kind nicht 'nein' sagen kann, weil die Erwartung wie eine Wolke im Raum hängt, wird das 'nein' sich einen anderen Weg bahnen: das Kind wird bockig bei der Wahl der Socken, rastet bei irgend einer Kleinigkeit aus, bekommt Bauchschmerzen, Ohrenweh, mysteriösen Hautausschlag.

Deshalb ist es gut, sich bei wichtigen Angelegenheiten zu fragen, ob das Kind wirklich 'nein' sagen darf. Darf es das nicht, sollte man lieber anordnen:

"Heute fahren wir zu Tante Klara. Ich weiß, dass du dich dort immer langweilst, aber du musst trotzdem mitfahren. Ich könnte dir allerdings anbieten, dass deine Freundin Anna mitkommen darf/ wir im Auto das neue Hörbuch hören ....."

Warum sollen wir Wahlmöglichkeiten suggerieren, wenn es keine gibt?

Alle Eltern lieben ihre Kinder. Alle Kinder lieben ihre Eltern. Nur häufig schaffen es die Parteien nicht, diese Liebe zu kommunizieren. Da wird nicht zugehört, da werden Vorwürfe gemacht, da wird jemand öffentlich lächerlich gemacht, da gibt es zu wenig Anerkennung, da wird viel zu viel geschimpft. 

Jesper Juul schreibt:
"Einer unserer dänischen Kinderspezialisten hat mal ein Projekt mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren durchgeführt. Sie haben dabei erfahren, dass 90 Prozent der befragten Kinder es so empfinden, dass Eltern 80 Prozent der Zeit, die sie mit ihnen verbringen, schimpfen. Die befragten Erwachsenen hingegen meinten, sie würden nur 10 Prozent der Zeit schimpfen." (Jesper Juul: Wir sind für dich da. 10 Tipps für authentische Eltern, Freiburg im Breisgau 2014, Seite 102)

Also immer fröhlich unterscheiden zwischen echten Fragen und klaren Anordnungen und nicht so viel schimpfen.

Eure Uta  

Freitag, 22. August 2014

Glückliche Familie Nr. 237: Betreuung, wirklich ganztags?


"Hast du das gelesen?" Der Soßenkönig schob mir dieser Tage die Zeitung über den Tisch. "Schon drei von vier Grundschülern in der Ganztagsbetreuung", lautete eine Überschrift.

Was dort als Erfolg für Hamburg gefeiert wurde, deprimierte uns beide. Als Grundschüler schon den ganzen Tag in der Schule?
Klar, das ist in manchen Fällen besser als allein oder verwahrlost zu Hause, besser als allein vor dem Fernseher oder Computer.
Aber als Kind in dem Alter immer unter Erwachsenenaufsicht? Immer kontrolliert, immer in einer vorgegebenen Struktur, immer pädagogisch angeleitet, immer beschäftigt von Erwachsenen?

Auf dem Schulhof ist aus Gründen der Haftung und Versicherung nicht einmal eine Schneeballschlacht erlaubt.

Kinder-Winter ohne Schneeballschlacht?

Gibt es für Kinder nicht mehr die Möglichkeit, nachmittags mit Freunden herumzustromern?

Banden bilden, Buden bauen, sich kloppen?

Im Gebüsch kauern und das alte Portemonnaie am Nylonfaden wegziehen, wenn sich ein Passant danach bückt?

Klingelstreiche, brettharte Kekse backen, Mehlschlacht?

Mit dem Rollbrett den Berg runterrasen, Verstecken spielen auf der Brachfläche, Spontanflohmarkt mit den staubigen Barbie-Puppen auf dem Bürgersteig?

Der Soßenkönig nahm einen Schluck Tee und erinnerte sich, wie er als Kind auf dem benachbarten Bauernhof zwischen den Heuballen gespielt hat. Und der alte Bauer durfte nicht wissen, dass er und die Mädchen vom Hof dort mit den Wachhund-Welpen spielten. Das war aufregend, anrührend, das stand in keinem Bildungsplan.

Meine Mutter hatte die beste Zeit ihres Lebens, als sie während des Krieges mit der Kinderlandverschickung auf einen Bauernhof im Münsterland gebracht wurde und dort mehr oder weniger sich selbst überlassen war. Noch heute erzählt sie am liebsten aus dieser Zeit.

Ich habe als Kind mit Freunden Unkrautsamen an der Bushaltestelle verkauft, Marmelade gekocht, bis die ganze Küche klebte, auf einer Wiese eine Schatzkiste mit rostigen Kronkorken verbuddelt und eine Seifekiste gezimmert, die in der ersten Kurve auseinander fiel.

Aber Vorstadtkrokodile scheint es nur noch auf DVD zu geben.

Selbst Eltern, die nachmittags daheim sind und Stützpunkt sein könnten für solche Abenteuer, lassen ihre Kinder nicht mehr zu Hause, weil diese auf der Straße niemanden zum Spielen finden. "Fast alle ihre Freunde sind ja in irgendeiner Betreuung", klagte meine Nachbarin, Mutter von zwei Grundschulkindern, mal.

Und den betreuten Kindern fehlt nicht nur der Kitzel des Lebens ohne Erwachsene, sondern auch Zeit für sich ganz allein. Keine Zeit mehr, sich mit der "Bravo" tagsüber im Zimmer einzuschließen, einen Ball selbstvergessen gegen die Mauer zu treten oder hinterm Schuppen zu träumen.
In der Schule ist man wegen der Aufsichtspflicht nie wirklich allein. Nicht einmal auf dem Klo. Jederzeit kann jemand unter den Türspalt gucken oder auf die Klinke hämmern.

Und wie ist das mit Trost und Nähe? Ist denn der Betreuungsschlüssel wenigstens so gut, dass das gegeben ist?

Meine Stepptanzlehrerin hat ihr Studio gegenüber einer Grundschule und bestreitet mit Kindertanz einen Teil des Programms der schulischen Nachmittagsbetreuung. "Du", sagte sie neulich, "die kleinen Mäusen wollen gar nicht mehr tanzen, die wollen alle nur auf meinen Schoß."

Ja, über die Schlagzeile "Schon drei von vier Gundschülern in der Ganztagsbetreuung" kann ich mich nicht recht freuen.











Ich habe mal überlegt, wie wir dem entgegensteuern können, selbst wenn Ganztagsbetreuung zum Standard werden sollte.

Tipps für mehr Freiräume für Kinder:

  • Wenn schon Ganztags-Betreuung dann mit großem Schulhof und viel Grün.
  • Im Garten verwunschene Ecken lassen, Büsche zum Verstecken sind wichtig und Bäume zum Klettern. Den englischen Garten kann man anlegen, wenn die Kinder in die Pubertät kommen.
  • Wer keinen Garten hat, könnte vielleicht einen Schrebergarten pachten.
  • Im Urlaub sind Campingplätze ideal. Meine Schwester Nummer 3 wohnt mit ihrem Sohn mitten in der Großstadt, aber seit Jahren fahren sie jedes Jahr im Sommer für drei Wochen auf einen Camping-Platz mit vielen Kindern. Dort kann mein Neffe von morgens bis nachts herumstromern, ohne dass sich meine Schwester Sorgen machen muss. Wenn die beiden zurück kommen, ist mein Neffe jedes Mal wie ausgewechselt: braun gebrannt, strohblond und hat jede Menge neuer Freunde. 
  • So ein kesseldruck-imprägniertes Klettergerüst mit TÜV-Plakette aus dem Gartencenter ist gut und schön, aber warum nicht eine Kiste mit Brettern, Seilen, alten Tüchern, Nägeln und Werkzeug in den Garten stellen und gucken, was passiert. (Das wäre auch eine Idee für die Nachmittagsbetreuung in der Schule, ich will mir aber nicht ausmalen, ob nicht wieder versicherungstechnische Gründe dagegen sprechen oder der Hausmeister ausrastet.) 
  • Das Buch "Leitfaden für faule Eltern" von Tom Hodgkinson enthält jede Menge Anregungen für mehr Freiräume für Kinder und Eltern.  
  • Sich fragen, ob volle Berufstätigkeit beider Eltern in der Phase Null bis 10 Jahre unabdingbar ist, ob wir wirklich einem Herzenswunsch folgen oder uns nur einer immer größer werdenden gesellschaftlichen Erwartung beugen. Wir werden doch sowieso immer länger arbeiten müssen. Warum dann dieser Stress? Die Jobs werden bleiben, aber die Kinder gehen garantiert aus dem Haus. 

Habt ihr zu Hause noch ein Vorstadtkrokodil? Ich würde mich freuen, wenn ihr mir von verwunschenen Ecken in eurem Garten oder selbst gezimmerten Baumhäusern und Buden in der Nachbarschaft berichtet oder Fotos schickt.

Immer fröhlich Freiräume für Kinder schaffen.

Eure Uta

Samstag, 16. August 2014

Glückliche Familie Nr. 236: Mission Maus


Es wird ja immer befürchtet, dass Jungs durch Computer- und Videospiele verrohen. Auch mir wird Angst und Bange, wenn ich im Augenwinkel sehe, wie Kronprinz (16) schießend und brandschatzend durch die virtuelle Welt zieht.

War es richtig, ihm den Wunsch nach diesem Spiel zu erfüllen? Sinkt die Gewalthemmung, stirbt das Mitgefühl?

Ein kleines Ereignis in dieser Woche lieferte die Antwort auf diese Fragen.

Kronprinz saß im Wohnzimmer an der Spielkonsole (diesmal spielte er allerdings "Fifa"), als unser Kater mit einer Maus im Maul von draußen kam. Während ich nichts unternahm, weil ich das für ein normales Mäuseschicksal hielt, sprang Kronprinz auf, verbaute dem Kater die Fluchtwege und packte ihn beherzt. Vor Schreck ließ der die Maus entkommen, die sich noch so guter Gesundheit erfreute, dass sie unters Klavier rennen und sich dort verschanzen konnte.

Kronprinz und ich lagen bäuchlings vor dem Instrument und leuchteten mit einer Taschenlampe darunter. Zwei Knopfaugen sahen uns an, der kleine Körper bebte. "Oh, wie süß", sagte der Kronprinz, während ich mich bei Überlegungen ertappte, wie lange es dauern würde, bis sich der erste Verwesungsgeruch im Wohnzimmer verbreiten würde.

Der Kronprinz aber war fest entschlossen, die Maus zu retten. Er zog einen Gartenhandschuh an die linke Hand und schob mit der Rechten behutsam einen Stock unter das Klavier, um die Verfolgte hervorzutreiben, zu greifen und nach draußen zu tragen. Die Mission schlug fehl. Sie förderte nur Wollmäuse zutage. Schließlich holte er aus dem Keller ein dickes Brett und bockte mit aller Kraft das Klavier auf. Jetzt konnte sich die Maus wieder bewegen. Sie rannte am Regal vorbei in die Ecke mit dem Bügelbrett und verschanzte sich dort. Die Playstation brummte, das Spiel lief weiter, aber ohne Kronprinz. Der hatte sich der "Mission Maus" verschrieben.

Er trieb und lockte, baute Fluchtwege und sprach Mut zu, hätte - wenn möglich - eine Pfote gehalten oder Blutdruck gemessen. Endlich schaffte es die Maus raus auf die Terrasse. Dort hockten die beiden: hinter dem Fallrohr von der Dachrinne das kleine bebende Tier, davor der Berserker aus der Playstation-Welt.
"Meinst du, sie hat innere Verletzungen?" fragte er. "Ich weiß es nicht", sagte ich und dachte: "Gleich wird er die Maus beatmen." Aber da huschte sie ins Gebüsch.


Gulliver - sieht harmlos aus, zeigt aber kein Mitgefühl für Mäuse. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass Jugendliche verrohen, wenn sie selber roh behandelt werden, dass sie kein Mitgefühl entwickeln, wenn sie selber von klein auf kein Mitgefühl erfahren haben. Und dann tun Gewaltvideos oder blutrünstige Computerspiele vielleicht ihr Übriges.

Aber das Jugendliche, die in einem liebevollen Elternhaus heranwachsen, allein dadurch zu Gewalttätern werden, dass sie medial Gewalt ausüben, halte ich für völlig unwahrscheinlich.

Kinder brauchen - gerade wenn sie halbwüchsig sind - Eltern oder andere Menschen, die sich aufrichtig dafür interessieren, was für ein Mensch sie sind. Dazu gehört auch, ihre Vorlieben und Interessen zu respektieren, die sich naturgemäß nicht mit denen ihrer Eltern decken. Und wenn es Probleme gibt, sollte man sich möglichst ohne Vorverurteilung darum bemühen zu verstehen, was dahinter steckt.

Als eine Kollegin meiner ältesten Schwester erfuhr, dass einer ihrer Söhne eine Droge ausprobiert hatte, tankte sie das Auto voll, befahl den jungen Mann auf den Beifahrersitz und fuhr und fuhr mit ihm auf der Autobahn, bis sie die Nordsee erreicht und verstanden hatte, wie er sich in eine solche Situation bringen konnte. "Im Auto", erklärte sie, " da ist kein Entkommen, da kann man einfach am besten reden."

Sich immer fröhlich und vorurteilsfrei für die Halbwüchsigen interessieren, gute Zeit mit ihnen verbringen und sich wegen der Medien nicht den Kopf zerbrechen.

Eure Uta

Montag, 11. August 2014

Glückliche Familie Nr. 235: Feinfühlig und prompt


Im Urlaub habe ich weiter in dem Wälzer über Bindungstheorie gelesen (Karin Grossmann/Klaus E. Grossmann: Bindungen - das Gefüge psychischer Sicherheit, Stuttgart 2012). Am Flughafen mussten wir das Buch aus meinem Koffer in einer anderen geben, weil wir sonst Übergepäck hätten zahlen müssen. Nur damit ihr eine Vorstellung davon habt, wie dick das Ding ist.

Wir waren auf Sardinien. Und wenn wir nicht am Strand waren oder geguckt haben, ob wieder Ameisen unser Brot aushöhlen, habe ich gelesen und gelesen. Jede Menge wichtige Stellen habe ich angestrichen, aber ich schreibe jetzt mal aus dem Kopf, was bei mir hängen geblieben ist.

Um bei kleinen Kindern (so etwa ein oder zwei Jahre alt) die Art der Bindung an ihre Mutter zu testen, wird eine sogenannte "fremde Situation" herbeigeführt: Mutter und Kind kommen in einen Raum. Dort findet sich eine für das Kind fremde Person und Spielzeug. Kind spielt, Mutter bleibt eine Weile da. Mutter verlässt den Raum, Kind ist irritiert, fremde Person tröstet, Mutter kommt wieder ...

Dem Verhalten des Kindes, wenn die Mutter wieder kommt, messen die Forscher eine große Bedeutung zu. Freut es sich über Mamas Rückkehr, lässt es sich kurz herzen und spielt dann weiter, machen die Wissenschaftler ein Kreuz bei "gesunde Bindung".

Als Anzeichen für eine nicht-sichere Bindung gilt: das Kleinkind lässt sich auch bei der Rückkehr der Mutter über längere Zeit kaum trösten und bleibt unruhig oder aber das Kleinkind gibt sich gleichgültig bei Trennung und Rückkehr, ist aber innerlich gestresst, weil es sein Bindungsverhalten unterdrückt.

Das letztgenannte Verhalten geht mir besonders ans Herz. Da haben schon Einjährige "gelernt", dass ihre Bezugspersonen es nicht so haben mit dem Trösten und Kuscheln und lernen eine sie selbst "belastende Selbstbeherrschung" (Grossmann/Grossmann, S. 168).  Einjährige!

Und wie vermeidet man einen solchen Stress für Kleinkinder?

Durch Feinfühligkeit.

Es zeigten diejenigen Kinder Bindungssicherheit und später auch Selbstsicherheit, wenn ihre Eltern von Anfang an feinfühlig auf ihre Bedürfnisse eingehen konnten, wenn sie erkannten, wann braucht mein Kind Trost und Nähe, wann braucht es Anregung und Spiel und wenn sie prompt auf die Signale eingingen.

Als ich in der sardischen Hitze über dem Buch brütete, fiel mir aber auch ein, wie ich den schreienden Kronprinz als Baby durch die Wohnung trug und ratlos war, wie ich dieses Bündel beruhigen sollte. Ich bin heute noch froh, dass keine Bindungsforscher auf dem Windeleimer hockten und ihre Kreuzchen machten: "Mutter erkennt nicht, wenn Kind sein Bindungssystem aktiviert." - "... ist hilflos bei Explorationsverhalten*."

Abends waren wir auf einem italienischem Landgasthof essen. Und besser als in jedem Bindungsbuch konnte ich dort studieren, wie es geht: Auf einer großen Terrasse in den Bergen hoch über dem Meer hatten sich mehrere junge Familien zum Essen getroffen. Sechs Kleinkinder zwischen einem und vier Jahren wuselten zwischen den Tischen. Während die Erwachsenen sich unterhielten, Spanferkel aßen und Wein tranken, hatte immer mal jemand ein Kind auf dem Schoß, wiegte und herzte es, um es dann wieder loslaufen zu lassen, zu dem kleinen Spielplatz einige Meter weiter oder zum Gucken, was die anderen Gäste so machen.
Mit Oliven in der Backe und sardischem Pecorino-Käse auf dem Teller konnte ich herrlich Bindungsforschung betreiben, konnte beobachten, wie sich die Kleinsten immer wieder der Nähe ihrer Eltern versichern, auf den Schoß klettern, kurz dort sitzen und schmusen, um - so gestärkt - wieder loszurennen, die streunende Katze zu streicheln, ältere Kinder zu beobachten, hinzufallen, sich trösten zu lassen und wieder weiter ...


Leider habe ich kein Bild von den wuselnden Kleinkindern, aber von der Terrasse und dem Blick. 

Diese Mamas und Papas hatten Spaß mit ihren Freunden und reagierten feinfühlig und prompt auf ihre Kinder. Das alles geschah sehr beiläufig ohne Kopfzerbrechen über die richtige Erziehung, ohne Fixiertsein auf das Kind. Diese Leute genossen sich, ihre Freunde, ihre Kinder, das Essen.

Bei allem, was ich über Bindung im Urlaub gelesen und gesehen habe, ist mir eins wichtig: Dass niemand mehr der Idee anhängt, es würde Kinder abhärten und stark machen, wenn man sie schreien lässt. Das Gegenteil ist der Fall.

In einem Interview auf FAZ.NET weist die Bildungsforscherin Fabienne Becker-Stoll darauf hin, dass sich die Abhärtungs-Theorie nach wie vor hartnäckig hält.

"Unser Verständnis von unserem Umgang mit Kindern ist nach wie vor von einem Buch aus dem Dritten Reich geprägt, "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" von der Lungenfachärztin  Dr. Johann Haarer. Darin steht, dass man neugeborene Babys in einem 16 Grad kalten Kinderzimmer zum Durchschlafen zwingen solle, nicht füttern, nicht trösten, nicht herzen - sondern stark machen und abhärten. Dieses Buch wurde in Westdeutschland mit leicht verändertem Titel bis 1987 von vielen Kommunen an Eltern verteilt und in vielen Fach- und Berufsschulen verwendet. Die letzte Auflage war 1996. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen." 

Das ist wirklich gruselig, oder?

Ich ziehe aus dem Gelesenem und Erlebtem folgende Konsequenz:

  • Wenn ein Baby schreit und man kann es nicht beruhigen, ist das nicht tragisch. Alle Eltern erleben mal diese Situation der Hilflosigkeit und Überforderung.
  • Aber das Schreienlassen auf keinen Fall zur Methode erheben.
  • Einfühlsam und prompt auf das Kleinkind reagieren, erkennen, wann es auf einen zustrebt (Bindung) und wann es wegstrebt (Exploration). 
  • Lieber auf einem italienischen Landgasthof schlemmen als sich durch Bindungsbücher zu arbeiten.

Immer fröhlich bleiben

Eure Uta

* Exploration = etwas erkunden


Ps: Sternie von "Sternglück hat dieses kleine Buch



gewonnen. Herzlichen Glückwünsch! Bitte maile mir deine Adresse, dann geht das Buch in die Post. 

Freitag, 1. August 2014

Glückliche Familie. Nr. 234: Schöner frühstücken


Als ich freie Journalistin war, dachte ich, ich könnte vollständig glücklich sein, wenn ich eine Festanstellung hätte.

Als ich einen festen Job hatte, dachte ich, ich könnte vollständig glücklich sein, wenn ich Kinder hätte.

Als ich Kinder hatte, dachte ich, ich könnte vollständig glücklich sein, wenn ich mal wieder Zeit zum Schreiben hätte.

Als die Kinder größer waren und ich wieder Zeit zum Schreiben hatte, fiel mir auf, dass die Nummer "Ich könnte vollständig glücklich sein, wenn ..." nicht funktioniert. Schlimmer noch, sie richtet handfesten Schaden an.
Man bildet sich ein, man müsse mit dem Jetzt nur richtig unzufrieden sein, damit man einen Antrieb hat, um die Zukunft zu verbessern.
"Wenn Sie das Leben verändern, um es besser werden zu lassen, wäre Ihr Ausgangspunkt Unzufriedenheit. "
Und weiter:
"Eine Menge Leute gehen genau so vor. Sie sind nicht besonders zufrieden, und ihre tatsächliche Wirkung auf die Welt ist noch geringer als es scheint." (Ron Smothermon: Drehbuch für Meisterschaft im Leben,  Bielefeld. 2007,  Seite 238) 
Diese Sätze haben mich heute morgen voll erwischt. Ich hatte etwas Unzufriedenheit entwickelt, weil ich im Urlaub gerne mehr vom Land erkunden würde als der Rest der Familie und ich viel Zeit hatte, über meine berufliche Situation zu grübeln.

"Veränderungen, ja", durchfuhr es mich, "aber den Ausgangspunkt Unzufriedenheit will ich nicht. Ich kann jetzt vollständig glücklich sein und etwas verändern."

Nachdem ich die ersten Tage des Urlaubs gegen eine kleine Niedergeschlagenheit angekämpft hatte (im Urlaub, wie bescheuert ist das denn!?), war ich plötzlich voller Energie. Die anderen schliefen noch und ich brachte Ordnung in die Ferienhausküche, erstellte mit italienischem Wörterbuch eine Einkaufsliste, lief durch die Morgensonne zum Supermarkt, stellte Blumen auf den Tisch und machte Frühstück.

Stachelig - wie Uta manchmal innerlich.

Und, was soll ich sagen. Wir hatten das bisher schönste Frühstück unseres Urlaubs mit guter Stimmung und langen, wunderbaren Gesprächen.

Was das doch ausmacht, welche Energie Muttern in die Familie einbringt! (Schon aufgefallen? Die Stimmung in einer Familie steuern maßgeblich die Mütter.)

Mein Fazit: Ich kann was ändern an einer Situation oder ich kann es lassen, auf jeden Fall brauche ich dazu keine Unzufriedenheit im Jetzt.

Immer schön fröhlich bleiben,

eure Uta

Ps.: Diesen Post konnte ich auf dem iPad vom Soßenkönig schreiben. Es bleibt aber natürlich dabei, dass die Verlosung erst nach meiner Rückkehr endet.