Dienstag, 30. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr. 260: Statt Kreuzverhör


Bevor der Weihnachtsrummel begann, habe ich in dem Buch "Die Liegenden" des italienischen Kolumnisten Michele Serra gelesen. Mit "Die Liegenden" ist sein 18jähriger Sohn und seine Freunde gemeint, weil sie ihr Leben meist im Liegen verbringen: mit Kopfhörern auf den Ohren und einem Handy fest verwachsen mit dem Mittelhand-Knochen.

Es gibt Stellen, über die ich sehr lachen musste und die das Leben mit Heranwachsenden treffend beschreiben:
"Alles bleibt an, nichts wird ausgeschaltet. Alles steht offen, nichts wird geschlossen. Alles wird angefangen, und nichts beendet."
Man könnte noch ergänzen:

Alles wird ausgebreitet, nichts wird eingesammelt.

Alles wird benutzt, nichts wird geputzt.

Alles wird nachts erlebt, weniges am Tage.

Alles wird den Freunden erzählt, weniges den Eltern.

Alles wird gesucht, nichts wieder gefunden.

Alles geht besser mit Chips, selten mit Vollkorn-Dinkel-Ingwer-Keksen.

Alles beginnt mit einem Blick in den Spiegel, nichts läuft ohne Deo.

Alles mit Käse Überbackene schmeckt, nichts mit weichem Gemüse.


Viele Eltern finden diese Zeit anstrengend. Wenn wir das Alter unserer Kinder (17 und 13) nennen, werden wir meistens bedauert. Ganz anders meine Freundin Katrin. Als wir unseren Freunden die Bilder vom Herbsturlaub zu viert zeigten, rief Katrin plötzlich: "Das ist die beste Zeit. Man kann so tolle Gespräche mit ihnen führen."

Katrin und ihr Mann können gerade nur den Hund betüdeln. Die Tochter studiert sechs Zugstunden entfernt, der Sohn verbringt ein Schuljahr im Ausland. Als wir unsere Freunde neulich zum Essen einluden, waren sie ganz selig, dass unsere Kinder mit am Tisch saßen. Dabei hatten wir gerade dem Kronprinz einen giftigen Blick zugeworfen, weil er halb unter dem Tisch auf sein Smartphone schielte. "Selbst das fehlt mir so", seufzte Katrin, "diese netten kleinen Konflikte."

Das mit den tollen Gesprächen ist wahr. Deshalb stimmt der Punkt "Alles wird den Freunden erzählt, weniges den Eltern" nicht ganz.
Gut: Es gibt Phasen da habe ich bessere Gespräche mit dem Labrador von nebenan als mit meinen Kindern.
Aber man muss nur zuwarten. Mal bin ich nachts vor einem Spätfilm versackt, als der Kronprinz von einer Party kam und wir bis in die Morgenstunden gesprochen haben. Mal saß ich im Urlaub auf einem Stein vor dem Ferienhaus und bewunderte den Sternenhimmel. Plötzlich erschien im Dunkel unsere Prinzessin (13), packte sich auch auf den Stein und hat mir in allen Details das komplizierte Beziehungsgeflecht ihrer Freundinnen erklärt.
Die Konstellationen am Himmel sind ein Witz dagegen, das sage ich euch.


Die Weihnachtskarte von Prinzessin (13) für ihre Eltern. 

Für solche Gespräche muss man Durststrecken aushalten, immer irgendwie in Beziehung bleiben und darf nichts erzwingen.

Und man muss Gelegenheiten schaffen.

Mein Mann geht deshalb laufen. Es kann regnen, es kann schneien - Vater und Sohn binden die Laufschuhe und haben die besten Gespräche. "Wie läuft es so?" - "Muss ja."
Nein wirklich, sie sprechen über Berufspläne, Zimmerpreise in Großstädten, Lautsprecher-Designs ... Wenn sie wieder kommen, stehen die Haare windgetunet über ihren roten, glücklichen Schwitzgesichtern. Und mein Mann hat tausend mal mehr über den Kronprinzen erfahren, als wenn er ihn ins Kreuzverhör nehmen würde.

Meine Gelegenheiten sind Rückenkratzen, Füßemassieren und Kochen (keine Sorge, alles räumlich und zeitlich getrennt). Den Sandwichtoaster aufheizen oder das Waffeleisen, Popcorn in den Topf werfen und eine DVD in den Player oder einen Kakao machen mit Sahne und Schokostreuseln. Das sind alles gute Gründe, sie herunter zu locken aus ihren Zimmern. Und dann kann es sein, dass sie den Kakao mit nach oben an den Rechner nehmen (= Durststrecke) oder sie bleiben viel länger als gedacht am Tisch und wir sprechen über Gott und ihre Welt.

Und jetzt, bevor dieser Post und das Jahr zu Ende geht, ist es wieder höchste Zeit, mein Lieblings-Pubertäts-Zitat von Jesper Juul zu bringen:

"Was unsere Kinder in der Pubertät von uns brauchen, ..., ist eigentlich nur das: zu wissen, auf dieser Welt gibt es einen oder zwei Menschen, die wirklich glauben, dass ich ok bin. Das brauchen sie. Viele von uns haben keinen solchen Menschen in unserem Leben. Mit einem kann man gut überleben, mit zwei kann man wunderbar leben. Doch das ist nicht unsere Tradition als Eltern. Wir verhalten uns eher wie Lehrer, sitzen mit einem Rotstift da und schauen, was noch nicht richtig ist. Das ist weder für die Kinder hilfreich noch für die Eltern." (Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten. München 2010, Seite 23)

Wie schafft ihr Gelegenheiten, den Kindern zu geben, was sie in der Pubertät brauchen?

Immer fröhlich im alten und im neuen Jahr mit den "Liegenden" das Leben genießen.

Eure Uta

Dienstag, 23. Dezember 2014

Glückliche Familie 259: Glühwein am Bett


Bevor der Blog eine kleine Weihnachtspause einlegt, gibt es eine Zusammenstellung von dem, was mich in den vergangenen Tagen bewegt hat:


Jörg, der Vater von Linus, der nicht mehr in den Kindergarten gehen wollte, hat sich noch mal gemeldet. Er schreibt:

Liebe Uta,
so, jetzt habe ich ein bisschen Zeit, dir zu schreiben, wie es uns geht:
Deine Tipps haben mir sehr geholfen. Einfach weil sie mir zum Teil gezeigt haben, dass wir doch einiges richtig machen (Exklusiv-Zeit mit Mama z.B.), andererseits waren auch gute Denkanstöße dabei.
Wir haben dann beschlossen, Linus jeden Tag hinzubringen, dafür aber schon deutlich früher zu holen. Konkret von 14:00/14:30 Uhr bis 16:30, also vor dem Abendessen. 
Das ging am Anfang zwar nur mit viel Überreden, dann aber immer besser. Wenn wir ihn jetzt abholen, dann schläft er uns ... im Kinderwagen ein. Also ist es sicher gut, ihn nicht länger dort zu lassen. Er macht nämlich auch seit 2-3 Wochen keinen Mittagsschlaf mehr... (Als gäbe es nicht schon genug Veränderungen zur Zeit;)
Außerdem haben wir mit den Erzieherinnen kommuniziert, dass wir ihn nicht schreiend abgeben und sie uns bitte die Zeit lassen, die wir brauchen, bis er freiwillig dableiben möchte. Das akzeptieren sie auch einigermaßen.

Insgesamt hat sich das Thema deutlich entspannt. Die Zwillinge werden größer/robuster, Mama kann sich wieder etwas mehr Zeit für ihn nehmen und wir lernen einfach auch dazu, dass sein Schreien seine letzte und sicherste Möglichkeit ist, unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Meistens versucht er ja alles andere zuerst, aber mit zwei kleinen Babys wird der Größere nicht immer sofort beachtet. Leider.

Noch ist nicht alles immer super, aber wir fühlen uns wieder auf einem guten Weg.
Wenn der Wechsel nächsten September in die "richtige" Kindergartengruppe ansteht, dann erwägen wir evtl. einen Wechsel in einen Waldkindergarten. Wir denken, dass er da einfach eher der Typ für ist.
Muss man sehen wie eng die Freundschaften im Waldorfkindergarten dann gewachsen sind etc...
Vielen Dank nochmal!!
Liebe Grüße,

Jörg
*


Noch nicht gemeldet hat sich das "Wolkenschaf", das bei mir das Buch "Manchmal bin ich wütend" gewonnen hat. Könnte ein Vorsatz für das neue Jahr werden: Immer fröhlich sich bei Uta melden.

Engel an "Wolkenschaf": "Bitte melden und Adresse senden!"

*

Gestern Abend habe ich im WDR einen Film über Udo Jürgens gesehen: große Auftritte, Interview-Ausschnitte und vieles mehr. Er blickt auf sein Leben zurück und auf die immer größer werdenden Erfolge. An einer Stelle ist er plötzlich ganz bewegt und hat Tränen in den Augen. Nicht als er vom Grand Prix erzählt, nicht vom Bambi oder vom Deutschen Musikpreis, sondern davon, wie seine Eltern kamen, als er sie eingeladen hat, seine Plattenaufnahme mit den Berliner Philharmonikern zu erleben. Endlich, so Jürgens sinngemäß, konnte er seinen Eltern zeigen, dass er mehr war als "nur" ein Schlagersänger.

Anerkennung von den eigenen Eltern - für wie viele Menschen ist das ein Lebensthema! Und weil sie davon nicht lassen können, bleibt es bis zum Ende ein Fass ohne Boden. Auch Jürgens war - wenn ich das richtig recherchiert habe - schon 44, als er die Eltern zu den Aufnahmen einlud. Ob Kronprinz (17) und Prinzessin (13) auch mal einen solchen inneren Mangel mit sich herumschleppen? Ich hoffe nicht. Also, für mich müssen es nicht die Berliner Philharmoniker sein. Mir reicht es, wenn wir uns auch in zehn oder zwanzig Jahren regelmäßig treffen und Nähe erleben dürfen.

*

Der Vater meiner Freundin ist schwer krank. Er wird wahrscheinlich in den nächsten Monaten sterben. Seine Frau ist da, seine drei Kinder sind angereist, zwischendurch auch die Enkel und Schwiegerkinder, gestern kam noch seine Schwester. Mal sind sie gemeinsam an seinem Bett, mal wechseln sie sich ab. Meine Freundin schreibt:
"Gestern war soo ein schöner Tag. Mit ganz viel Nähe und Verbundenheit. Heute merken wir, dass er schon wieder einen Schritt weiter gegangen ist. Er weiß es. Schmerzen hat er keine. Er steht auch noch auf und geht alleine zum WC. Gestern haben wir an seinem Bett Glühwein getrunken. Wir weinen und wir machen Witze. Es ist traurig, aber nicht schrecklich. Alles ist gut."

und einen Tag später:

"Er wird durchhalten, bis Greta und Hanna nach Weihnachten kommen. Er steht noch auf und geht selbständig ins Bad. Er isst auch noch. Aber er hat sich auf den Weg gemacht. Gestern haben wir über unseren Kontext über Sterben nachgedacht. ... Er geht voran, so, wie er das immer gemacht hat, in den nächsten Raum, die nächste Ebene, ins Licht ...Und wir alle werden ihm folgen. Irgendwann. Kein Aufgeben, kein Mangel, kein Fehlen, sondern Mut und Vorangehen. Sein Leben ist einfach vollständig. Das Bild hat ihn erreicht, das fand er gut. Dass er jetzt der Erste ist, findet er allerdings scheiße." 
*

Geboren werden, sterben, Witze machen, traurig sein - alles darf nebeneinander sein. Euch allen schöne Weihnachten!

Eure Uta,

die "danke" sagt für die vielen persönlichen Rückmeldungen und lieben Kommentare 2014! 

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr. 258: Botschaften in der Klemme


Schon lange hatte ich die Idee, jeweils eine Klemme außen an den Türen der Kinderzimmer anzubringen. Jetzt habe ich in einem kleinen Laden für Künstlerbedarf Klemmen in allen Größen entdeckt und sie zu Hause mit Powerstrips an die Türen geklebt.

Treue Leser wissen, dass ich die schriftliche und bildliche Kommunikation mit Teenagern empfehle. Es belebt die Kreativität, bereichert das Miteinander und niemand kann mehr behaupten, nicht gewusst zu haben, wie sehr er geliebt oder dazu aufgerufen wurde, die Spülmaschine auszuräumen.

Klinkenschilder waren gestern. Jetzt bin ich mit folgenden Karten in unserem Haus unterwegs.


Zur Rückkehr von Prinzessin (13) von der Schulski-Reise:




Einmal pro Woche gilt:



Noch eine wichtige Pflicht:





Mein liebstes Schild:




Wenn das Gegenstück fehlt:





Vor Weihnachten bleibt viel zu tun:





Die Kommunikation geht natürlich auch anders herum. 








Gut auch für die Post-Verteilung. 




Ich hoffe, die Powerstrips halten. Das Rücklicht von Prinzessin geht auch wieder nach einem Gratis-Eingriff im Fahrradladen. Zusätzlich habe ich eine Batterie-Lampe hinten an den Fahrradkorb schrauben lassen.

Und nun noch zur Gewinnerin des Buches "Manchmal bin ich wütend".

Das Päckchen geht an


daswolkenschaf

Herzlichen Glückwunsch! Bitte schicke mir eine Mail mit deiner Adresse!


Immer fröhlich Botschaften an Teenager-Türen klemmen.

Eure Uta 

Samstag, 13. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr. 257: Linus boykottiert den Kindergarten


Jörg, Vater von Linus (zweieinhalb) und Zwillingsmädchen (knapp vier Monate) hat mir Folgendes geschrieben:

Wir sind im September umgezogen, von der Stadt in den Vorort. Linus musste deshalb von der Tagesmutter wechseln in die Nachmittagsspielgruppe eines Waldorfkindergartens. Zuerst hat er die Spielgruppe gut angenommen, aber Mitte Oktober begann er, sich zu verändern. Er wurde zu Hause sehr laut ... Er hat sich immer mehr allem verweigert und gezielt das gemacht, was uns provoziert ...
Als er vor einer Woche partout nicht in den Kindergarten gehen wollte, habe ich ihn schreiend abgegeben (was mir den ganzen Nachmittag ein schlechtes Gewissen gemacht hat). Am nächsten Tag habe ich ihn wieder mit nach Hause genommen, als er anfing zu weinen und wieder nicht in den Kindergarten wollte. 
Wir haben ihm dann frei gestellt, ob er in den Kindergarten möchte, sind aber jeden Tag dorthin spaziert und wieder zusammen nach Hause gegangen, sobald klar war, dass er wirklich nicht möchte.
Nach einer Woche ist er dann wieder einen Nachmittag in den Kindergarten gegangen. Zwar hat er kurz gesagt, dass er nicht möchte. Aber als ich anbot, mit rein zu gehen, war es okay. Und als ich mich verabschiedete, war es auch in Ordnung.
Abends, als ich ihn abholte, wollte er nicht nach Hause, dann wollte er doch, dann wollte er im Kindergarten bleiben ....
Das hat uns sehr nachdenklich gemacht. Wir haben jetzt die Sorge, dass er vielleicht das Gefühl hat, wir wollten ihn nicht zu Hause haben.  
Wir denken mittlerweile, dass der Kindergarten vielleicht gar nichts für ihn ist. Denn sobald er abends nach Hause kam, wurde er richtig laut und alles brach aus ihm heraus, was er tagsüber zurückgehalten hat. Im Kindergarten ... ist Schreien gar nicht erlaubt, und er ist nun mal ziemlich impulsiv (aber das lieben wir ja auch an ihm). 
Völlig verwirrt haben uns die Aussagen der Kindergärtnerin (Waldorf!):
* Wenn wir ihm jetzt keine Grenzen setzen würden, hätten wir es damit in der Pubertät auch sehr schwer.
* Auf unsere Information, dass er sich nach aufwühlenden Tagen wieder richtig in die Hose machen würde, meinte sie, das würde schon wieder aufhören, spätestens wenn er vier sei.
* Die Kindergärtnerin sagte, wir müssten Stärke zeigen, damit er lernt, stark zu sein.  
* Es sei der Klassiker: Er würde merken, dass er mit seinem 'Nein' durchkomme, und es dann immer wieder machen.  
Das widerspricht total unseren Gefühlen. Deswegen überlegen wir auch, ihn da rauszunehmen. Noch sind wir beide in Elternzeit (bis September 2015). Von daher haben wir keinen Zeitdruck. 
Meine zentrale Frage ist: Kann ein Kind in dem Alter allein entscheiden, ob es in den Kindergarten geht? 
Mit hat es gut getan, das aufzuschreiben. Und wenn du dir kein Urteil bilden willst, da nur meinen Text hier kennst und nicht den Linus selber, kann ich das gut verstehen. Vielen Dank fürs Lesen!
Heute war übrigens wieder ein schöner fröhlicher Tag mit ihm ;-).
Alles Liebe
Jörg 

Lieber Jörg,

ich finde das Verhalten von Linus sehr normal. Entthront zu werden, gleich von zwei Mädels, umziehen, neuer Kindergarten, Umstellung von Morgens auf Nachmittags ... Für so einen kleinen Kerl ist das wie ein Erdrutsch. Da ist es sehr gesund, dass er zuweilen aus der Haut fährt und nicht alle Körperfunktionen unter Kontrolle hat. 

Als unser Kronprinz so alt wie Linus war, sind wir mit ihm nach Frankreich gezogen, wo kurze Zeit später Prinzessin geboren wurde. Plötzlich fing Kronprinz an zu stottern und hatte seine Ausraster. Erst nach Monaten wurde das besser und verschwand dann völlig. Einmal pro Woche brachte ich ihn dort in eine deutsche Kindergruppe. Am Ende des Nachmittags sollten alle Kinder zu einem Lied im Kreis um den Tisch laufen. Der Kronprinz lief immer als einziger in die Gegenrichtung und die nette Erzieherin hat ihn gelassen. 

Wie viel "Linus im Kindergarten" braucht ihr denn als Eltern (ist ja extrem anstrengend mit Baby-Zwillingen!)? Wenn ihr sagt, zwei Nachmittage reichen uns, würde ich das durchziehen. Und dann immer die gleichen Nachmittage. Dieses Hin und Her, das er veranstaltet, ist ein Signal an euch: Bitte gebt mir Führung, eine klare Linie, die Sicherheit, dass ihr Großen wisst, was ihr wollt. Und im Laufe der Zeit könnte ein weiterer Nachmittag dazu kommen.  

Diese klare Linie sollte aber ein Entgegenkommen an Linus enthalten, etwas, das ihm zeigt, dass er mit seinen Schwierigkeiten gesehen wird. So etwas wie zum Beispiel  "Mama nimmt sich einmal pro Woche eine Weile Zeit nur für Linus ("unser Nachmittag", "unsere Bücherstunde", "unsere Kekspause"). Und darauf kann er sich verlassen, dann gehen seine Bedürfnisse vor. Exklusive Zeit mit Mama und viel körperliche Nähe ist in dem Alter extrem wichtig. Auf dem Schoß ein Buch lesen, Linus darf wieder Baby sein, Massage, Rückenkratzen, nur mit Mama auf dem Spielplatz ...

Erst die Kombination aus "klare Linie" und "seine Bedürfnisse achten" bildet die Grundlage für eine gute Beziehung. Uff, und genau das ist das Schwierige und die Kunst. 

Deshalb ist es sehr wichtig, dass ihr als Eltern in einer ruhigen Minute überlegt:
  • Welcher Weg ist in unserem Familienalltag gangbar? 
  • Wie viel Betreuung für Linus brauchen wir, um den Zwillingen gerecht zu werden?
  • Wie viel Fremdbetreuung brauchen wir, um selber Kraft zu schöpfen?
  • Wo und wie können wir irgendwie Alleinzeit für Linus einschieben?
  • Haben wir jemanden, der mal die Babys um den Block schieben kann? 
  • Welchen Idee haben wir noch? 

Den Kindergarten würde ich nur wechseln, wenn die Einrichtung wirklich eine Katastrophe ist. Noch eine Veränderung - so mein Eindruck - ist jetzt zu heftig für Linus. 

Was ihr zusätzlich versuchen könnt:

Die "Großer-Bruder-Nummer": Die Babys mitnehmen, wenn Linus zum Kindergarten gebracht wird, und solche Dinge sagen wie: "Das ist nur was für Große.", "Wenn ihr mal so groß seid wie Linus, dürft ihr auch dahin, aber das dauert Jahre." Auch bei anderen Gelegenheiten: "Das kann nur Linus, das ist nichts für Babys." - "Dies ist die Tasse/der Teller/ der Kleiderhaken für große Jungs wie Linus." - "Linus, ich brauche einen starken Jungen, der mit mir den Tannenbaumständer tragen kann." - "Lass uns die Tür zu machen, dass wir beide mal unsere Ruhe haben und nicht immer das Geschrei der Babys hören." (Nur nicht umgekehrt eine Erwartung daraus machen: Du bist schon groß, deshalb darfst du nicht mehr in die Hose machen oder wie ein Baby sein oder weinen. Das bitte nicht!!!)

Hier habe ich das Thema "Entthronung" auch aufgegriffen.

Ich hoffe, es ist das eine oder andere dabei, was ihr versuchen könnt. 

Gute Nerven und eine solide Fröhlichkeit wünscht

Uta 


PS: Als ich von Linus las, dachte ich, ich sollte das Buch verlosen, in dem es auch um die Gefühle von Kleinkindern geht. Der Kronprinz mochte es sehr gerne, als er in Linus Alter war. Ich habe es zusammen mit unserer Katze Amy verpackt, ich meine, Amy hat geholfen, sie ist nicht mit im Paket. 




Wer das Bilderbuch gewinnen möchte, schreibe mir bitte bis Montag um 22 Uhr einen Kommentar, in dem steht, wie es bei euch aussieht mit dem fröhlichen Aufbegehren von Kindergartenkindern. Viel Glück!

noch ein PS: Das Buch habe ich antiquarisch erworben, weil es das nicht mehr neu zu kaufen gibt. Es ist gut erhalten, aber an den Ecken leicht angestoßen. 

und noch ein PS: Ist das nicht irre, dass in dem Buch auch so eine graugetigerte Katze vorkommt wie unsere Amy? Das muss beim Shooting in meinem Unterbewusstsein gearbeitet haben, ... kann man nicht  lernen :-). 

Sonntag, 7. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr. 256: Und - plob - ist alles anders


Ich bin ja wieder zu spät mit allem. Wie eigentlich seit 30 Jahren.

Gut, ich hatte drei Löcher kurz vor dem Weisheitszahn und habe Stunden beim Zahnarzt zugebracht, mit dem Ergebnis, dass sich die Reihe oben rechts mit der Zunge anfühlt wie die Torbögen vom Prinzipalmarkt, nur rauer und ohne Beleuchtung.

Und unser Kater hat eine entzündete Pfote, weshalb ich sehen konnte, dass bei der Tierärztin an ihrem Privateingang auch noch ein Bund Tannengrün liegt, an das sie eines Tages Ostereier hängen kann, wenn immer diese ganzen Notfälle kommen in großen und kleinen Boxen und humpelnd an der Leine.

Aber die Tierärztin ist sowieso ein Engel, die braucht gar keine hinzustellen.

Es gibt also noch mehr Leute, die auf ihrem Weihnachtserledigungszettel im ersten Fünftel feststecken.

Dabei wollte ich doch dieses Mal so früh ...

Als Kind habe ich am Heiligen Abend Gebasteltes verschenkt, bei dem der Kleber noch nicht trocken war.

Egal, ob ich gerade in einer stressigen Phase steckte oder nicht - ich kann mich an keine wirklich entspannte Vorweihnachtszeit in meinem Leben erinnern.

Vielleicht sollte ich wie Pettersson aus dem Bilderbuch einen Baum schlagen gehen, hier in unserem Vorortwäldchen. Ich könnte im nassen Laub ausrutschen, mich im Schlittenseil verfangen (an den Schlitten denken!) und mir das Bein verstauchen. Dann lege ich mich bis Weihnachten auf die Couch und alle Nachbarn und Verwandten kommen und bringen Schnitzbrot und feine Pasteten. Und der Kater schmückt den Baum mit Korkenziehern, Löffeln, Kugelschreibern.

Aber nun ist mir der zuvorgekommen und hat eine schlimme Pfote.

Der Advent verträgt sich nicht mit meiner Lebensphilosophie. Leben im Hier und Jetzt, jeden Tag so gestalten, als wäre es der Letzte, nicht auf ferne Ziele hinleben, sondern den Augenblick genießen.

Advent ist der Gegenentwurf: Zeit der Erwartungen, hinarbeiten auf die ferne Erlösung, permanente Hektik gesteigert durch eingeschobene Besinnlichkeit.

-----------------------------------

Bis hier hin war ich gestern gekommen und habe gemerkt, dass mein Advent so ist, weil ich ihn genau so haben will.

Ich könnte es ja ändern, mache ich aber nicht.

Das einzige, was ich ändere, ist, mich nicht mehr dafür runter zu ziehen. Und - plob - ist alles anders:

  • Ich genieße es, diesmal nur einen Teil der Deko aus dem Keller zu holen.
  • Wir freuen uns, dass der Kater wieder zaghaft die Pfote auf den Boden setzen kann und sich dankbar an uns schmiegt.
  • Ich weiß, dass - wenn ich den Fotokalender nicht mehr schaffe sollte - ich eine bessere Idee haben werde. 
  • Ich setze mich im Einkaufszentrum auf die Bank und beobachte die Leute. Ich sehe plötzlich keine grauen Gesichter mehr, sondern Menschen, die sich beeilen, weil sie anderen eine Freude machen möchten.
  • In den Supermärkten in meinem Umkreis sind die Domino-Steine ausverkauft. Ich liebe Domino-Steine, aber ich bin froh, dass ich mal einen klitzekleinen Mangel erleben kann, wo wir doch sonst immer alles im Überfluss haben.
  • Ich bin dankbar, dass das Kissen platzte, das ich Prinzessin (13) für die Schulski-Reise nähen wollte. Das Wohnzimmer sah aus, als hätte ich ein Huhn gerupft. Prinzessin kam und sagte: "Komm, wir packen uns vor den Fernseher." Später hatte ich wieder Energie, saugte alles auf und nähte das schönste Kissen, das mir je gelungen ist.
  • Ich bin dankbar, dass der Kronprinz (17) kurz Bauchschmerzen hatte. Denn deshalb konnte er nicht zum Karate, dafür aber ein wenig später mit zum Reisebus, um Prinzessin (13) zu drücken, bevor sie nach Österreich aufbrach. 
  • Ich habe ein Stück Marzipan-Stollen genossen, Krümel für Krümel. Denn er kam per Post von meinen Eltern. Sie sind beide über 80. Meine Mutter hat ihn gebacken mit Frischhefe und ohne Zitronat, mein Vater hat ihn sorgfältig in eine große Schachtel gebettet, das Paket beschriftet und zur Post gebracht. Besser kann Leben Stollen nicht schmecken. 

Wenn es "plob" macht und ich wieder das Vertrauen spüre, dass das Universum für mich ist, dann schaffe ich genau das, was zu schaffen ist. Dann genieße ich das Kerze-Gucken genauso wie die Anstrengung, die Hektik und alles, was nicht funktioniert. 

Advent ist toll. Mit all den Erwartungen, Enttäuschungen und plötzlichen Freuden ist er so eine Art verdichtetes Leben.

Immer fröhlich auf das "plob" achten.

Eure Uta 


PS: In der Bank bekam ich ein Werbegeschenk, eine kleine Schachtel mit zwei ... ja was? ... Domino-Steinen.




Mittwoch, 3. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr.: 255: Scheidung gut überstehen


Im neuen GEO Wissen mit dem Thema "Wie Erziehung gelingt" habe ich wichtige Hinweise für Scheidungseltern gelesen. Sie stammen aus dem Artikel "Die Zeit danach" von Alexandra Rigos (Seite 138 bis 144). Mit gefällt gut, dass der Text zumindest im Ansatz Möglichkeiten aufzeigt, wie Kinder eine Scheidung besser überstehen können.

Ich picke einmal die Wertvollsten heraus:
  • Wenn sich die Eltern getrennt haben, gilt als kinderfreundlichste Wohnlösung das "Nestmodell". Die Kinder bleiben in der angestammten Wohnung der Familie, Vater und Mutter nehmen sich jeweils eine eigene kleine Wohnung und leben dann abwechselnd bei den Kindern. So verlieren die Kinder nicht ihr vertrautes Umfeld. Außerdem bleibt ihnen das ständige Taschepacken erspart. Dies ist natürlich eine teure Variante, aber vielleicht ist das für die eine oder andere Familie machbar. 
  • Die amerikanische Psychologin Mavis Hetherington weist auf Folgendes hin: "Schlimmer noch als Eltern, die sich streiten, sind geschiedene Eltern, die weiter streiten." Hetherington muss es wissen. Sie hat den Lebensweg von 2500 Kindern über einen Zeitraum von 30 Jahren begleitet. 

"Meinungsverschiedenheiten bei jedem Übergabetermin, aber auch Sticheleien gegen den anderen Elternteil oder Versuche, das Kind über die Verhältnisse beim Ex-Partner auszuhorchen, drängen den kleinen Menschen in einen Loyalitätskonflikt." (GEO Wissen, Nr. 54, Die Zeit danach von Alexandra Rigos, S. 142)




  • Remo Largo wird zitiert mit dem Hinweis, dass es "eine Form von emotionalem Missbrauch" sei, wenn Mutter oder Vater das Kind zum Vertrauten machen und ihm ihre jeweiligen Probleme erzählen würden.
  • Für das Kind sei es hilfreich, wenn es eine neutrale Bezugsperson, zum Beispiel eine Psychologin, habe, der es von sich erzählen kann, ohne auf die Eltern und deren Befindlichkeiten Rücksicht nehmen zu müssen. 
  • Statt die Trennungsentscheidung zu begründen, sollten Eltern den Kindern lieber aufzeigen, wie es jetzt weitergehen kann. "Das einzige, was für Kinder zählt", so noch einmal Largo, "ist die Erfahrung, dass sie nach einer Scheidung nicht verlassen sind."
  • Kinder unter vier Jahren brauchen kurze Besuche alle paar Tage, um zum Vater (meistens bleiben die Kinder ja bei der Mutter) überhaupt eine Bindung aufzubauen. Ein Rhythmus von 14 Tagen ist in dem Alter nicht ausreichend. 
  • Ein neuer Lebenspartner sollte den Kindern nicht sofort präsentiert werden geschweige denn gleich bei einem der Elternteile einziehen. Laut GEO-Artikel empfiehlt Jesper Juul mit dem Zusammenziehen mindestens zwei Jahre zu warten. Ich bin außerdem den Ansicht, dass Kinder bei dieser Entscheidung ein Mitspracherecht haben. 
  • Schon in dem sehr empfehlenswerten ZEIT-Artikel "Das Trauma überwinden" von Martin Spiewak bin ich auf Möglichkeiten gestoßen, wie Eltern ihr Kind gut durch eine Trennung begleiten können. Spiewak schreibt: "Anwälte ... gelten in Jugendämtern traditionell als Störfaktoren, weil sie statt des Kindeswohls die Interessen von Mutter oder Vater im Blick haben und die Konflikte noch zusätzlich anheizen." Stattdessen gilt heute das Deeskalationsmodell des Familienrichters Jürgen Rudolph aus Cochem im ganzen Land als vorbildlich. Von Rudolph bekommen streitende Paar die Auflage, sich einer Mediation zu unterziehen. Er hat Juristen und Sozialpädagogen an einen Tisch gebracht. 
  • Hilfreich für Eltern ist hierbei der Kurs "Kinder im Blick", der inzwischen bundesweit angeboten wird (hier findet ihr Einrichtungen in eurer Nähe, die den Kurs anbieten). Er unterstützt Eltern dabei, gute Umgangsregeln in der Scheidungszeit zu treffen. 
  • Martin Spiewak berichtet aus einem solchen Training: "Die Eltern sollen die Augen schließen und sich in die Zukunft versetzen. Es ist der 18. Geburtstag ihres Kindes, und das Kind nutzt die Gelegenheit, um den Eltern zu danken. 'Ich bewundere, dass es euch trotz der schweren Trennung gelungen ist, ....'" In Gedanken soll jeder den Satz vervollständigen. Hörbares Schlucken in der Runde." 

Sich in schweren Lebenssituationen immer fröhlich Hilfe holen.

Eure Uta