Sonntag, 30. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 110: Das Federkleid


In diesen Tagen habe ich mich wieder ertappt. Ich habe ein Bild in meinem Kopf, wie meine Tochter sein sollte. Sie passt aber nicht in dieses Bild. Und ich weiß, was ich mache, ist genau das, was ich immer vermeiden wollte, ... und mache es trotzdem.

Aber der Reihe nach.

Ich hatte online ein Kleid für Prinzessin (fast 12) zum Geburtstag bestellt. Graphitfarbenes Etuikleid mit Federkragen. Ich hatte mir viel Mühe gegeben, mich durch das ganze Angebot geklickt, endlich eins gefunden, das ihr gefallen würde.
Direkt nach Weihnachten wurde der Karton geliefert. "Ich habe eine Überraschung für dich!" Vorsichtig hob ich den Deckel ab, löste feierlich den Kleber von dem raschelnden Seidenpapier. Da kam zum Vorschein, wovon ich geträumt hatte: ein irrlichterndes Schimmern der feinen Federchen, von denen einzelne, elektrisiert vom Seidenpapier, über dem Stoff schwebten.

Prinzessin schnappte sich das Kleid und verschwand zum Anprobieren. Mein Mann und ich warteten neben dem offenen Karton und hielten den Atem an.
Auftritt einer Prinzessin in Graphit. Das Kleid wie auf den Leib geschneidert, die Federn schmeichelten dem feinen Schnitt ihres Gesichts. "Jetzt noch die Haare hochgesteckt", dachte ich und wollte schon eine Spange suchen.

Prinzessin aber zog die Nase kraus. Krausestes kraus.

"Ehrlich gesagt", sagte sie, "ist das nicht mein Stil."

"Okay". Ich machte auf unbekümmert, warf die Rechnung aus dem Handgelenk zurück in die Schachtel. "Kein Problem, ich schicke das zurück." Ein schiefes Lächeln sollte meine Enttäuschung zudecken. Prinzessin huschte auf Socken aus dem Raum. Ich sackte auf den Stuhl.

Mir war danach, zu meinem Mann zu sagen: "Guck, da gebe ich mir so viel Mühe für sie und dann ist es wieder nicht richtig. Bin ich nicht ein armes Hascherl?" Ich sagte es, etwas abgeschwächt, ohne Hascherl.

Mein Mann sagte: "Ist doch toll, dass sie so klare Vorstellungen hat."





In unserer Generation gilt es als Todsünde, seinen Stil, seine Erwartungen, seine Ziele auf das Kind zu projezieren. Wir haben einen Meter Bücher darüber gelesen. Manche waren in Therapie, haben von Sitzung zu Sitzung ihre verschüttete Persönlichkeit wieder ausgegraben. Wir haben die Erwartungen, die unsere Eltern an uns hatten, über Bord geworfen und sind fest entschlossen, niemals den Hauch einer Erwartung an unsere Kinder zu haben.

Und nun?

Die Erwartungen kommen durch die Hintertür wieder herein. Es sind neue Erwartungen, andere als die, die unsere Eltern an uns hatten, manchmal genau das Gegenteil von dem. Und doch sind es Erwartungen.

Für so ein Kleid mit Federkragen hätte ich als Elfjährige getötet.

Für meine Elfjährige ist es der Missgriff eines durchschnittlichen Designers.

Unsere Erwartungen kommen in einem anderen Kleid daher. Sie tragen nicht mehr Faltenrock und Mokassins, sie tragen verwegene Federn und schulterfrei, aber es sind Erwartungen.

Heute morgen unter der Dusche ist mir eingefallen, dass die Geschichte drei Aspekte hat und ich mir für 2013 Folgendes vornehme:

  • Ich mache mir kein Bild von meiner Tochter, sondern genieße sie so wunderbar, wie sie ist.
  • Ich höre auf, eine so überschießende Mutter zu sein. Jesper Juul nennt solche Eltern in seinem Pubertätsbuch "Zahnarzteltern". Kaum sehen sie irgendwo ein Loch, müssen sie es füllen. Und die Kinder kommen kaum dazu, ein Bedürfnis zu spüren und es selbst zu stillen.
  • Ich laste meinen Kindern nicht mehr die Anstrengungen an, die ich mir selbst auferlegt habe ("Ich habe mir doch so eine Mühe für dich gegeben!"). Prinzessin hatte gesagt, sie würde gerne mal wieder ein Kleid haben. Aber sie hatte den Wunsch weder dringlich gemacht, noch hatte sie mich gezwungen, mir dafür Arme und Beine auszureißen. Wie komme ich also dazu, sie dafür verantwortlich zu machen, dass ich das Kleid wieder zurück schicken muss? 

Prinzessin und ich haben gestern Abend noch einmal im Internet geguckt. Diesmal zusammen. Nach fünf Minuten hat sie ein Kleid gefunden, das ihr gefiel. Es gab noch ein Exemplar davon. Dieses Exemplar war in ihrer Traumfarbe und in ihrer Größe. Und mir gefällt es auch.

Für 2013 werde ich den Rat von Kronprinz (15) befolgen, der da lautet: "Chill' dein Leben, Mama!"

Ich wünsche euch ein fröhliches neues Jahr

Uta

Montag, 24. Dezember 2012

Weihnachtliche Familie

Ich wünsche allen meinen Lesern fröhliche Weihnachten und bedanke mich von Herzen für die vielen lieben Kommentare und Mails!

Uta


Samstag, 22. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 109: Die Schaffenskrise


Immer vor Weihnachten habe ich eine Schaffenskrise. Nicht so wie Künstler, die sich theatralisch an die hohe Stirn fassen.

Sondern ganz praktisch: Ich schaffe das alles nicht!

Die letzten drei Geschenke besorgen, die Haare tönen, der liebsten Freundin das originellste Weihnachts-Familien-Foto der Welt schicken, das Tiramisu diesmal selber machen, Tante Fine eine Karte schreiben, erotisch bleiben für meinen Mann, misslungene Kekse durch silberne Zuckerperlen aufwerten ...

Zu allem Übel lief mir gestern Rolf Zuckowski über den Weg. Wisst ihr der, der die ganzen Kinderlieder geschrieben hat ("Heut' ist dein Geburtstag", "In der Weihnachtsbäckerei" ...). Er wohnt bei uns im Stadtteil und stieg gerade mit einem seiner Enkel aus dem Auto.

Der Enkel hatte gerade laufen gelernt, wankte gegen meine Einkaufstaschen und sagte: "Mama."

(Soviel zu meiner erotischen Ausstrahlung, dass sogar die weltläufigen Zuckowski-Enkel sofort das Muttertier in mir wittern.)

"Ja, das ist vielleicht auch eine Mama", sagte Rolf Zuckowski und nahm den Jungen liebevoll an die Hand.

Bilder stiegen in mir auf. Die ganze Zuckowski-Familie unter der raumhohen Nordmann-Tanne. Oma, Opa, erwachsene Kinder mit Zuckowski-Nachwuchs in Maxi-Cosi-Schalen, kleine Mädchen in Flanellkleidern und Jungs, die so toben, dass "Tweety", Rolfs legendäre Gitarre, fast in die Krippe stürzt.

Und es wird gesungen, gesungen und gesungen. Altes Liedgut, neues Liedgut, Selbstkomponiertes mit Widmung und so viele Strophen "Tochter Zion", dass die Gans darüber knusprig wird.

Nach der Zuckowski-Begegnung erreichte meine Schaffenskrise ihren Höhepunkt.

Nicht geschafft, ein Lied einzuüben, nicht geschafft, das Weihnachtspapier mit selbst gemachten Moosgummi-Stempel zu bedrucken, nicht geschafft, die Rosenstöcke im Garten anzuhäufeln, nicht geschafft, immer fröhlich zu bleiben ...

Abrupt setzte ich beide Einkaufstüten in den Matsch. Schluss mit den Selbstgeißelungen.





Immer schön fröhlich sein, ab sofort, nicht erst Heiligabend

Uta

Dienstag, 18. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 108: In Gutmensch-Mission


Eine Bekannte beobachtete durch das Küchenfenster, wie ihr Sohn sein Schulbrot in einen Busch im Vorgarten stopfte, ehe er pfeifend zur Haustür hineinkam. Die Mutter fing ihn noch an der Garderobe ab, behielt sein nächstes Taschengeld ein und überwies es an "Brot für die Welt".

Als sie mir das erzählte, war ich nicht so begeistert, wie sie es erwartet hatte.

Diese offensive Art der Wertevermittlung ist nicht mein Ding.

Es gibt Eltern, die sich auf die Fahne geschrieben haben, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu kämpfen und deshalb permanent Klein-Krieg in der eigenen Hütte führen.
("Du musst dein Spielzeug mit anderen teilen", "Du musst die Weihnachts-Karte für die Lehrerin unterschreiben, ob du sie magst oder nicht", "Du musst das Brot aufessen, weil es Kinder gibt, die gar kein Brot haben ...")

Das kann es doch nicht sein, oder?

Das mit der Zwangsspende war nie mein Ding. Aber auch ich habe mit verschiedenen Aktionen versucht, mein Gewissen zu beruhigen und den Kindern ein Vorbild zu sein.

Als Kronprinz noch in die Grundschule ging, trafen meine Freundin Andrea und ich uns, um mit unseren Söhnen Weihnachtspakete für ein Waisenhaus in Rumänien zu packen.
Die Jungs sollten lernen, dass es anderen Kindern schlecht geht und uns das nicht irgendwo vorbei geht.

Die beiden lernten an diesem Nachmittag, die Bläschen in Luftpolsterfolie knallen zu lassen und das Wohnzimmer mit Holzwolle zu verwüsten. Deshalb schickten wir sie lieber ins Kinderzimmer und packten alleine weiter. Während oben Starwars-Gefechte tobten, wickelten Andrea und ich Zahncreme, Unterwäsche und Kartenspiele in Weihnachtspapier. Wir tranken Unmengen Kaffee und aßen so viele Kekse, dass wir bis Ostern keine Minute mehr unterzuckert waren.

An unsere Hilfsaktionen und ihren zweifelhaften Nutzen musste ich denken, als ich diese Woche aus der Postfiliale trat. Ein Obdachloser hockte vor dem Eingang.

Helfen kann so einfach sein, dachte ich.

Ich beugte mich zu dem Mann hinunter, was schon mal Verständnis symbolisierte, und fragte, ob er sich bei der bitteren Kälte nicht lieber in den Vorraum der Post setzen wolle.

"Nein, das lohnt sich hier nicht." Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Er meinte Schotter.

Ich richtete mich wieder auf, was diesmal eine leichte Brüskierung symbolisierte.

Der Mann ist zumindest ehrlich, dachte ich, beugte mich wieder runter und gab ihm Schotter.

"Aber wo verbringen Sie denn bei dieser Kälte die Nacht?" -

"In meiner Wohnung."


Ich zog weiter und dachte, wie pervers die Situation war. Ich hätte mich besser gefühlt, wenn es dem Mann richtig schlecht gegangen wäre und ich mich als sein Engel hätte aufspielen können.

Das mit den Paketen für die rumänischen Waisenkinder will ich nicht ins Lächerliche ziehen. Das sind Projekte, die wirklich helfen.

Aber mein Projekt habe ich noch nicht gefunden.

Sich verströmen, aus vollem Herzen und aus freien Stücken. Anderen nichts überstülpen und sich selbst nichts über sich beweisen müssen. Kein Kitt fürs Gewissen, kein moraltriefendes Sendungsbewusstsein. Ganz sachlich und doch Liebe pur.


Ich beneide die drei Weisen aus dem Morgenland. Sie hatten einen Stern, der ihnen den Weg wies. Sie wussten, wohin mit ihren Gaben. Ich nähe mir so lange einen.


Hauptsache verbissen fröhlich bleiben.

Ich geh dann mal die Welt retten

Uta

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 107: Strahlende Männeraugen


Neulich hatte ich wieder Cafeteria-Dienst in unserer Schule. Beim Aufräumen sagte eine der anderen Mütter: "Mein Mann und ich schenken uns schon lange nichts mehr zu Weihnachten." Die anderen nickten. "Es reicht schon der ganze Stress mit den Geschenken für die Kinder."

Ich schaute in den riesigen Topf, den ich gerade abtrocknete. "Nichts mehr zu Weihnachten... nichts mehr ..." Mir war, als hörte ich ein trauriges Echo vom Grund des Topfes. "Nichts mehr ..."

Wer seit November eine durch 24 teilbare Zahl von Päckchen für Söhne und Töchter geschnürt hat, wer für den Weihnachtsmarkt in der Schule gebacken und gebastelt hat, wer zum Nikolaus die Stiefel gefüllt hat und gleich wieder los muss für die persönlichen "Kleinigkeiten" für die Patentante, den Briefträger, den Zeitungsboten, den Saxophonlehrer, die Hip-Hop-Trainerin ...

.... ist irgendwann durch mit Weihnachten und mit der Liebe.

Dann hat es sich ausgeliebt, dann ist es ein Geschenk, wenn man mit dem Menschen, den man vor den Kindern und dem Labrador kannte, auf dem Sofa dösen darf.

Dann können wir so weiter machen, bis auf uns die Beschreibung passt, die Marie-Luise Scherer auf ihre Tanten gemünzt hat:
"Soweit ich meine Tanten überblicke, war jede eine Herrscherin, die ihren Mann mehr ertrug, als dass sie ihn liebte. Und wenn im Alter diese Männer nicht mehr aus der Küche wichen, nur noch im Wege saßen und ein Faktor der Unordnung waren, machten sie sich bald ans Sterben." (Die Journalistin Marie-Luise Scherer in einer Rede zit. in Hamburger Abendblatt vom 2.3.2012)
Können wir nicht bei den Kindern ein Geschenk streichen, dem Saxophon-Lehrer einmal warm die Hand drücken, die Kekse kaufen und der Liebe unseres Lebens zu Weihnachten eine echte Freude machen?

Neulich habe ich mich mit meiner Freundin Marie auf einen Kaffee getroffen. Mal wieder Herzausschütten in dem tobenden Trennungskampf mit ihrem Mann.

Rosenkrieg seit Monaten. Und vier Kinder kauern in den Schützengräben.

Ich hatte gerade Zucker auf den Cappuccino-Schaum rieseln lassen, als sie meinte: "Ich habe ja schon vor Wochen was Schönes für Hannes zu Weihnachten bestellt." -

"Gibt es einen neuen Hannes?" -

 "Nein, für den alten Hannes."

"Wir kennen uns so lange", meinte sie und schüttelte ihr Zuckerpäckchen. "Ich weiß doch, worüber er sich freut."

Hattet ihr schon mal Milchschaum in der Luftröhre? Der Horror.


Das Geschenkband gibt es im "Depot".


Weihnachten ist verrückt, oder?

Immer schön fröhlich den Liebsten beschenken


Eure Uta

Sonntag, 9. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 106: Was Sterbende bereuen


Die australische Krankenschwester Bronnie Ware hat über mehrere Jahre Sterbende in ihren letzten Wochen auf der Palliativstation betreut. Vor einiger Zeit hat sie ein Buch über ihre Gespräche mit diesen Menschen veröffentlicht. Darin hat sie aufgeschrieben, was die Sterbenden am meisten bereuten.  Fünf der am häufigsten genannten Gründe für Reue waren:

  1. Ich wünschte, ich hätte den Mut besessen, mein Leben so zu leben, wie es mir entspricht - und nicht so, wie andere es von mir erwarteten.
  2. Ich wünschte, ich hätte nicht so hart gearbeitet und die Kindheit meiner Kinder und die Nähe zu meinem Partner intensiver erlebt.
  3. Ich wünschte, ich hätte den Mut besessen, meine Gefühle auszudrücken, ich wünschte, ich hätte sie nicht um des lieben Friedens willen unterdrückt. 
  4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.
  5. Ich wünschte, ich hätte es zugelassen, einfach glücklicher zu sein. Ich begreife erst jetzt, dass ich mich bewusst dazu hätte entscheiden können, über vieles einfach zu lachen und ein paar Verrücktheiten zu tun.
(nach Thomas Frankenfeld, der im Hamburger Abendblatt am 6.12.2012 auf der Grundlage eines Artikels im Londoner "Guardian" über das Buch geschrieben hat)


Das Buch von Bronnie Ware soll im März auch auf Deutsch erscheinen.


"Winterdeko einer unbekannten Spinne",
das Foto hat meine Schwester Nr. 3 geschossen



Den Familienplaner hat Brigitte von "Amselgesang" gewonnen. 

Herzlichen Glückwunsch, Brigitte!

Bitte maile mir deine Adresse, damit ich den Kalender auf den Weg schicken kann.

Allen anderen Teilnehmern danke ich, dass ihr mir so nett geschrieben habt, was ihr für ein weihnachtliches Gefühl braucht. Ich fasse zusammen: Familie, Freunde, Ivan Rebroff, Lasagne, Frost und eine krumme Tanne aus dem Wald. 

Immer schön fröhlich leben, wie es euch entspricht

Uta

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 105: Noch eine Verlosung


Glücksspiel macht ja süchtig, auch wenn man selber den Topf schüttelt und andere beschenkt.

Und so begab es sich, dass Julia von Julias Innenwelten mir anbot, einen ihrer neuen Kalender zu verlosen. Julia macht wunderschöne Collagen. Und diesmal hat sie damit einen Familienplaner gestaltet.

Seht selbst.










Teilnahme-Bedingungen:

Bitte sendet mir einen Kommentar, in dem ihr mir schreibt, welche drei Dinge mindestens erfüllt sein müssen, damit für euch Weihnachten ist.

Teilnahme-Schluss ist am Sonntag um 10 Uhr.

Ich brauche für eine fröhliche Weihnacht:

  • Schnee oder zumindest Frost 
  • das lustige Spontan-Krippenspiel in unserer Kirche ("Du mit dem HSV-Schal, ja du, du bist der Oberhirte.")
  • an Heiligabend unser Büfett der Lieblingsspeisen aller Familienmitglieder  (Pizza, Tiramisu, Kartoffelsalat, Tannenbaum-Eis, Räucherlachs, Rote Grütze, Wiener Würstchen ...)

Liebe Julia, vielen Dank für den Kalender!

Immer fröhlich in den Lostopf springen

Uta


Montag, 3. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 104: Der Elternabend


Zusammen mit dem Vater von Lotta bin ich Elternvertreterin in der Klasse von Kronprinz (15). Das ist mein Comeback als Elternvertreterin. Fünf Jahre lang hatte ich kein Amt in der Schule.

Ich war Elternvertreterin im Kindergarten und Mitglied des Elternrats in der Grundschule. Aber weil man mich immer zum Protokollschreiben verdonnern wollte ("Du bist doch Journalistin.") habe ich lieber aufgehört. Meine Wiederwahl war sowieso gefährdet. Das mit den Wellnessgutscheinen zum Lehrergeburtstag lief bei mir etwas schleppend.

Nun muss man dazu sagen, dass Elternabende in unserer Gegend immer gut besucht sind:

Wenn Mutter beim Hatha-Yoga ist, kommt Vater.
Beim ersten Elternabend vom ersten Kind in der ersten Klasse kommen beide.
In den höheren Klassen kommen beide, wenn sie geschieden sind und das Vertrauen futsch ist, dass der andere die Kofferliste für die Skireise vernünftig mitschreiben kann.

Nicht nur die Präsens auch das Bildungsniveau ist hier sehr hoch. Ich habe Elternsprecherwahlen erlebt, bei denen alle fünf Posten bis runter zum Wart der Klassenkasse mit Promovierten besetzt werden konnten.

Das macht die Sache nicht leichter.

Der Mann meiner Cousine machte den Fehler, einen Elternabend in der Grundschule zu besuchen. Eine Mutter, promovierte Ärztin, ließ ein Einweckglas mit einer Laus herumgehen, die sie auf dem Kopf ihrer Tochter gefunden hatte. Sie machte den Elternabend zum Pro-Seminar über Schädlingsbefall. Und die anderen Erwachsenen saßen mit den Knien im Gesicht auf den Mini-Stühlen und hörten seitenlange Anweisungen, was nun zu tun sei.
Da meldete sich der Mann meiner Cousine zu Wort: "Entschuldigung, Frau Dr. Sowieso, wenn ich ihren Ausführungen richtig folgen konnte, ist es doch ihre Tochter allein, die Läuse hat. Wären Sie so freundlich, das Kind zu Hause zu lassen, bis Sie guten Gewissens ein Attest darüber ausstellen können, dass die Population ausgerottet wurde."

Seither geht meine Cousine zu den Elternabenden.

Elternabende in der Schule sind ja die Gladiatorenkämpfe der Neuzeit.

Schul-Brot und Spiele. 

Die Eltern haben sich in der Arena Klassenzimmer versammelt. Eine Tüte "Colorado" macht die Runde. Die junge Lehrerin, gerade der Referendarszeit entschlüpft, sucht Halt in der Tagesordnung, die sie mit zittriger Hand an die Tafel geschrieben hat.
Ende Zwanzig ist sie und steht Mittvierzigern im Zenit ihrer Karriere gegenüber. Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Lehrer, Medienmanager ... Und alle sitzen da, bereit, rhetorisch den Löwen aus dem Käfig zu lassen.

Die Lehrerin von Kronprinz ist von einer Schule in Berlin-Neukölln ganz frisch nach Hamburg gekommen. Kaum hatte sie die Kronprinz-Klasse übernommen, hatte sie die waghalsige Idee, dass sich die Schüler nach der großen Mittagspause fünf Minuten früher im Kunstraum einfinden sollten, um nach Bereitlegen der Materialien pünktlich mit dem Unterricht beginnen zu können.

Ein schwerer Fehler.

Ein Vater sprang auf und rief: "Wir sind hier ja nicht in Neu-Kölln!" Mehrere Eltern stimmten ein und meinten, die Lehrerin könne dankbar sein, eine so tolle Klasse führen zu dürfen. Und nun komme sie daher und zerstöre jegliche Motivation der Schüler.

Irgendwann trat der Katharsis-Effekt ein. Die Agression war verraucht, die Lehrerin einen Schritt weiter zum Burn-out, die Colorado-Tüte leer. Im Eilverfahren ernannte man Lottas Vater und mich zu Elternvertretern.

Lottas Vater ist die ideale Wahl. Er trägt weder einen Doktortitel noch einen Doppelnamen. Sein Computer hat ein E-Mail-Programm, das allzu empörte Elternbotschaften sofort als Spam identifiziert.
Und er fährt einen Kleinbus, der sich schon mehrfach bewährt hat, um Getränkekisten und Tapeziertische für das Klassenfest runter an die Elbe zu fahren.

Und ich gebe zu meinem Comeback folgendes Wahlversprechen:
  • Ich verspreche, keinen Elternstammtisch zu organisieren. Denn wenn man in der Klasse ein kleines Problem hat, ist es nach dem Stammtisch ein großes Problem.
  • Ich verspreche, erst eine Nacht darüber zu schlafen, wenn aufgeregte Eltern eine Beschwerde an mich herantragen. Und dann erst zu handeln ... oder auch nicht.
  • Ich spreche mit anderen Eltern oder einem Lehrer persönlich. Ich schreibe Mails nur, um mich zu einem Telefonat oder einem persönlichen Gespräch zu verabreden.
  • Ich spreche gut über andere Schüler und deren Eltern oder ich halte die Klappe.
  • Im Konfliktfall wenden Lottas Vater und ich ein mehrstufiges Verfahren an: Gespräch zuerst mit der Lehrerin, dann mit der Beratungslehrerin, in schweren Fällen auch noch mit der Stufen-Koordinatorin und zuletzt mit der Schulleiterin (Reihenfolge wichtig und vom Eskalationsgrad abhängig).
  • Ich organisiere mindestens ein Fest im Schuljahr. 

Der Elternrat unserer Schule, 
nein, leider nicht, sondern Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa, Oberhaupt des tibetisch-buddhistischen Drupka-Ordens  mit Nonnen, Mönchen und einer ins Bild geschummelten Bloggerin.



Immer schön fröhlich andere Eltern vertreten

Uta