Montag, 28. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 117: Verlosung in Herzhausen


Dies ist das Buch meiner Kindheit.


Hier die Aufschlagseite. Das Buch ist 1971 bei Oetinger in Hamburg erschienen.


Es ist ein dicker Band mit 33 Erzählungen von Astrid Lindgren.

Wenn ich einen Kugel-Baum sehe, plobbt in meinem Hirn die Geschichte "Klingt meine Linde" auf. Ich sehe Malin, deren Eltern an Schwindsucht gestorben sind, zwischen Jocke Kis und Hühner-Hilma im Armenhaus des Kirchspiels hocken. Malin findet eine Erbse, pflanzt sie in den Kartoffelacker und hofft und sehnt, daraus würde eine Linde wachsen. "Es dauert seine Zeit, dachte Malin, doch mit Glauben und Sehnen wird es gelingen."

*

Mit der Erzählung "Die Elfe mit dem Taschentuch" hat es zu tun, dass das weiße Taschentuch mit der Häkelspitze das einzige Taschentuch ist, das ich bügele. Das schulde ich Lena und der kleinen Elfe Muj.
Eines Nachts hört Lena ein Schluchzen von der Fensterbank in ihrem Zimmer. Eine kleine Elfe sitzt dort an die Scheibe gelehnt. Im blühenden Apfelbaum vor dem Fenster soll diese Nacht ein Ball stattfinden. Aber Muj, die kleine Elfe, war mit ihrem Kleid im Rosenbusch hängen geblieben. "Lena war es nicht gewohnt, nackte Elfen in ihrem Zimmer zu haben, und sie wusste auch nicht, wie man mit ihnen redet." Aber sie überlässt Muj das Taschentuch mit Hohlsaum und Spitze, das sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Das ist Mujs Rettung. Im Nu zaubert sie aus dem hauchdünnen Tuch ein Ballkleid und tanzt mit dem Elfenkönig in der Baumkrone.

*

Bei jedem Sommergewitter muss ich an Goldi denken. "Goldi - so wurde Eva immer von Mutti genannt. 'Klein Goldi', sagte sie, und dann bekam Eva einen Kuss in den Nacken." 
Eva muss bei ihrer Tante leben, weil ihre Mutter im Krankenhaus liegt und ihr Vater als Steuermann zur See fährt. Die Tante ist nicht gut zu Eva. Das Mädchen muss den Abwasch machen, während Cousine Berit draußen spielen darf. Überhaupt diese Berit. Sie zieht Evas Puppe Fia-Lisa an den Haaren und singt höhnisch "Dreckpuppe, Dreckpuppe". Eines Sommertages ruft die Tante nach Eva, damit sie in den Ort läuft, um Kartoffelmehl zu kaufen. Ja, hat sie denn nicht gesehen, was für dunkle Wolken schwer am Himmel hängen? Als Eva völlig durchnässt und dreckig zurückkehrt, sitzt ihre Tante mit Berit und einer weiteren Tante am Kaffeetisch. Die Sonne scheint wieder. Eva tritt an den Tisch und sagt ganz ruhig: "Hol euch der Teufel - euch alle drei!"

*

Ich liebe diese Geschichten. Sie bringen seelisch etwas in mir zum Schwingen.

Allein schon die Wörter: Gatterpfennig, Kirchspiel, Puppensamen, Limonadenzeit, Kuckuck Lustig, Herzhausen, Rosenbusch, Armenhäusler, Hohlsaum, Wanzen, Rosenbusch, Schweinsbär, rote Pelargonie, Käsekuchenklamm, Borkenschiffchen ...

Manche Sätze sind wie ein Mantra: Zum Beispiel "Spielt keine Rolle", sagte Herr Lilienstengel, "spielt gar keine Rolle im Land der Dämmerung."*

Als Kind war es mein Liebstes, mir auszumalen, wie ich in einem dieser kleinen Häuschen wohnen würde.

Die wunderbaren Illustrationen in dem Buch sind von der inzwischen 86jährigen Margret Rettich.


Und weil es mich als Kind so beglückt hat, verlose ich das Buch heute, damit es bei jemandem von euch die Kinder beglückt.

Mein eigenes Exemplar? Nur über meine Leiche.

Ich habe ein Gebrauchtes bestellt (neu gibt es das gar nicht mehr).

Anlass der Verlosung ist der einjährige Geburtstag meines Blogs vergangenen Donnerstag. Wegen einer dicken Erkältung war mir aber nicht so feierlich zumute. Das wird jetzt nachgeholt.

Wenn du an der Verlosung des Astrid-Lindgren-Erzählbandes teilnehmen möchtest, schreibe mir einfach in einem Kommentar, welches das Buch deiner Kindheit war und warum. Die Verlosung endet am Donnerstag, 31. Januar, um 18 Uhr.

Ich danke allen Lesern in den Kirchspielen im ganzen Land, dass sie mit ihren lieben Kommentaren, Mails und Anrufen so viel Freude in mein Herzhausen gebracht haben. Da muss ich fast in mein Hohlsaum-Tuch schniefen und mir mit Schweinsbär eine Limonadenzeit gönnen.

Immer schön fröhlich bleiben

eure Uta




* aus der Erzählung "Im Land der Dämmerung"

Mittwoch, 23. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 116: Ein guter Mensch reicht


Als ich ungefähr 18 Jahre alt war, kam ein Mitschüler von mir ins Gefängnis, weil er im Eifersuchtswahn seine Freundin erstochen hat. Eine ganz furchtbare Geschichte.

Natürlich haben wir zu Hause viel darüber gesprochen. Und irgendwann fragte ich meine Mutter, ob sie denken würde, dass die Mutter dieses Schülers ihren Sohn im Gefängnis besuchen würde.

"Bestimmt", sagte meine Mutter, "das würde ich auch tun."

Mich hat das damals tief beeindruckt.

Das hieß: Ich könnte das denkbar Schlimmste tun und trotzdem würden meine Eltern zu mir halten.

Das ist ein ganz warmes Gefühl tief in mir drin.

Es erinnert mich an das Ergebnis der Kauai-Studie.

Kauai ist eine Hawaii-Insel und Schauplatz einer spektakulären Langzeitstudie der Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner. Über einen Zeitraum von 40 Jahren hat sie die Entwicklung von 698 Kindern verfolgt, die 1955 geboren waren. Emmy Werner und ihr Forscherteam besuchten die Kinder und späteren Erwachsenen im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren und untersuchten ihren Entwicklungsstand und ihre Lebensumstände. 210 Teilnehmer der Studie waren sogenannte "Risiko-Kinder", die in schwierigen Verhältnissen aufwuchsen. Die Eltern lebten am Existenzminimum, waren arbeitslos, hatten zum Teil psychische Probleme oder waren drogenabhängig.

Trotzdem gelang es einem Drittel dieser "Risiko-Kinder" als Erwachsene selbstsicher, optimistisch und leistungsfähig zu werden. In dieser Gruppe gab es weniger Scheidungen, weniger Gesundheitsprobleme, weniger frühe Todesfälle.

Was machte diese Kinder so widerstandsfähig?

Das Ergebnis:

Es gab eine Person in ihrer Umgebung, zu der sie eine sichere Bindung aufgebaut hatten. Wenn es die Eltern nicht konnten, so war eine Großmutter eingesprungen oder ein älteres Geschwisterkind, eine Tante, eine liebevolle Lehrerin, ein Fußballtrainer, ...., irgendjemand, der an dieses Kind glaubte.

Schon ein guter Mensch, der an ein Kind und seine Fähigkeiten glaubt, kann reichen, um einem Kind eine gute Entwicklung zu ermöglichen.


Das Kissen ist von Reuberkind.


Immer fröhlich an das Kind glauben

Uta


PS: Wer sich für die Erforschung von Resilienz (=Widerstandskraft) interessiert, dem kann ich das Buch "Die Kraft der Ermutigung" von Jürg Frick dicht ans Herz legen. Eine spannend zu lesende Mischung aus Wissenschaft und Beispielen aus Geschichte und Gegenwart.

Freitag, 18. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 115: Das Beziehungskonto


Ich war in dieser Woche bei einer Elternratsversammlung unseres Gymnasiums mit dem Schwerpunktthema "Mittelstufe", also alle Belange der Klassen sieben bis 10.

Hätte ich nicht gewusst, was es war, hätte ich es für ein Treffen der "Selbsthilfegruppe Pubertät" gehalten.

"Unser Sohn ist in der achten Klasse. Und neuerdings ist es, als wäre der Kontakt zu ihm abgebrochen." - "Wir erfahren gar nicht mehr, was in der Schule läuft, ob er eine Klassenarbeit zurückbekommen hat oder nicht."- "Mein Sohn", so eine andere Mutter, "will überhaupt der Coolste von allen sein. Ich kann gar nicht mehr auf ihn einwirken, er findet mich nur nervig." - "Wir haben eigentlich nur noch Streit."

Kopfnicken, verdrehte Augen und solidarisches Lachen von den anderen Eltern.

Ich saß da und suchte in meinem Innersten, ob mir auch eine Klage einfiele.

Wenn man als Eltern Pubertät nicht als schwere Störung erlebt, fühlt man sich als Sonderling.

"Ich heiße Uta und habe eine gute Beziehung zu meinem Sohn."

Wäre ich aufgestanden und hätte einen solchen Satz gesagt, wäre ich wahrscheinlich mit Kulis beworfen worden.

Man hat in diesem Alter keine gute Beziehung zu seinem Kind, schon gar nicht zu Söhnen.

Die sind ja später und länger in der Pubertät, wie die Schulleiterin erklärte.

Die Schulleiterin ist Pubertäts-Veteranin. Sie hat zwei Söhne. Aber die sind längst erwachsen. Sie erzählt davon, als sei sie eine der wenigen Überlebenden dieser Zeit.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, setzt man auf Kontrolle.

Es wird von Lehrern in der Mittelstufe berichtet, die Eltern nicht nur die Liste der anstehenden Klassenarbeiten mailen, sondern auch immer ein Signal senden, wenn die Rückgabe einer Arbeit zu erwarten ist.

Das gefiel den versammelten Müttern und Vätern und man fragte, ob nicht alle Lehrer diesen Service bieten könnten.

Zum Glück hielt die Schulleiterin das für nicht praktikabel.

Auf dem Nachhauseweg fiel mir eine Erkenntnis ein, die mir in mehreren Erziehungsratgebern begegnet ist.

In der Pubertät bekommen die Eltern die Quittung für ihr 
Verhalten in den Jahren davor. 

Ja, aber was denn für ein Verhalten?

Mir hat ein Bild sehr geholfen, das der amerikanische Management-Berater und neunfache Vater Stephen R. Covey benutzt.

Covey sagt, es gibt "Einzahlungen und Abhebungen auf dem Beziehungskonto". Wenn wir viel einzahlen würden, bekämen wir später mit Zinsen zurück, was wir an Nähe und Zeit in unsere Kinder investiert haben.






Einzahlungen sind zum Beispiel:
  • körperliche Nähe vor allem zu Babys, etwas später: Vorlesen mit Körperkontakt, Kinder an der Hand halten, auch Jugendliche spontan in den Arm nehmen (nur nicht in der Öffentlichkeit oder vor Freunden), Kuscheln auf dem Sofa, anbieten, dass man den Rücken kratzt oder eincremt, die Beine massiert
  • regelmäßige Familienzeiten, gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten
  • gelegentlich eine schöne Zeit mit einem Kind allein
  • Respekt, z.B. ab dem Alter von 10 Jahren anklopfen an der Zimmertür, Kind nicht vor anderen bloß stellen, nicht zwingen, etwas zu essen oder anzuziehen
  • nicht immer das Kind optimieren wollen, sondern sich fragen: Liegt der Fehler vielleicht bei mir?

Pubertät ist eine wichtige Zeit der Abgrenzung von und der Auseinandersetzung mit den Eltern, aber es muss kein kriegerischer Ausnahmezustand werden.

Immer schön fröhlich einzahlen

Uta 

Montag, 14. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 114: Mein Jackpot




"Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens."


"Carpe diem."


"Es gibt keinen Weg zu Glück und Erfüllung, erfüllt und glücklich Sein ist der Weg."

  (Stephan u. Maria Craemer)



Mein Kopf ist voll von solchen Sprüchen.

Was zum Teufel hält mich ab, das umzusetzen? Was hält mich ab, vor Freude am Sein überzufließen und andere mitzureißen?

Bestimmt nicht die Umstände. Zum einen habe ich beste Bedingungen, Gesundheit, nette Familie und genügend Geld. Zum anderen weiß man, dass die Umstände einen viel geringeren Einfluss auf unser Glücksempfinden haben als wir denken.

In einer Studie, die inzwischen als Klassiker der Sozialforschung* gilt, wurden Lotteriegewinner gefragt, wie sich ihr Leben nach dem Millionengewinn verändert habe. Es zeigte sich, dass sie in den ersten Wochen nach dem Gewinn wie berauscht durchs Leben gingen, aber nach dem Abklingen des ersten Überschwangs genauso glücklich oder unglücklich waren wie vor dem Knacken des Jackpots.

Ein ähnliches Resultat zeigte die Befragung von Menschen, die nach einem schweren Unfall gelähmt im Rollstuhl sitzen mussten. Zwar betrauerten die Unfallopfer in den ersten Monaten nach dem schrecklichen Geschehen den Verlust ihrer Bewegungsfreiheit und mussten den Schock des Unfalls verarbeiten. Danach aber zeigte sich, dass die meisten Rollstuhlfahrer nach einer Zeit der Depression ihren alten Lebensmut fast vollständig wieder fanden und ihre Zufriedenheit im Durchschnitt nicht viel niedriger war als die von Gesunden. "Ob Unfallopfer oder Lotteriegewinner", schreibt Stefan Klein in seinem Buch "Die Glücksformel", "wer vorher mit seinem Leben einverstanden war, ist es jetzt auch. Und die Nörgler bleiben Nörgler."

Das Letzte, was ich sein möchte, ist eine Nörglerin. Und das Erste, was ich meinen Kindern mitgeben möchte, ist Lebensfreude.

Deshalb habe ich mich auch so gefreut, als ich diesen Zettel bei Kronprinz (15) an der Zimmertür entdeckte.




Ich kann meine Lebensfreude steigern durch:

  • Zahl der Termine pro Woche niedrig halten (für mich die Grundlage für alle folgenden Punkte)
  • Musik
  • Tanzen (mit Prinzessin nach dem Abendbrot im Wohnzimmer, da geht die Post ab)
  • Spaziergänge mit dem Soßenkönig
  • Blumen
  • Kerze anzünden
  • Prinzessin morgens beim Wecken jede Strähne einzeln aus dem Gesicht streichen
  • Kronprinz den Rücken kratzen
  • Zeit zum Lesen im Ohrensessel mit Lieblings-CD im Hintergrund
  • mit Hingabe kochen
  • Schreiben
  • Schneekristalle studieren

Wie könnt ihr eure Lebensfreude steigern?


Immer schön fröhlich sein

Uta


* Brickman, Coates und Janoff-Bulman 1978. Spätere Untersuchungen mit mehreren hundert Interviewpartnern bestätigten das Ergebnis.

Mittwoch, 9. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 113: Die Kärtchen-Methode


"Meine Schulzeit war schön", sagte meine Freundin Christiane neulich, "aber die eigenen Kinder als Eltern durch die Schule zu begleiten, ist Stress pur."

Man leide bei Misserfolgen mit und könne doch nicht helfen. Das mache einen fertig mit der Zeit.

Ich kann Christiane gut verstehen.

Täglich dieser Drahtseilakt.

Helfen oder nicht helfen? Kontrolle oder Vertrauen?

Pädagogen sagen ja immer, man solle die Kinder die Hausaufgaben alleine machen lassen, damit die Lehrer ein realistisches Bild vom Lernstand des einzelnen Schülers bekommen.

Manchmal wird ihnen das Bild dann zu realistisch.

Bei Tom zum Beispiel, der Sohn meiner anderen Freundin. Die Klassenlehrerin war nicht zufrieden mit seiner Leistung und bat meine Freundin zum Elterngespräch. Dort gab man ihr das Gefühl, sie sei eine Mutter, die sich nicht kümmere.

Wir Mütter hassen dieses Gefühl.

Jetzt sitzt meine Freundin fast jeden Nachmittag und guckt nach den Hausaufgaben, fragt Vokabeln ab, lernt mit Tom für die nächste Arbeit. Die Noten haben sich gleich verbessert. Und meine Freundin reibt sich die Augen, weil die beiden größeren Geschwister ihre Hilfe kaum gebraucht haben.

Jedes Kind ist anders, jede Mutter ist anders, jeder Lehrer ist anders, jeder Tag ist anders ...

Pluralität ist anstrengend.

Auch bei uns zu Hause.

Während ich Kronprinz (15) in Schulsachen alleine lasse, habe ich bei Prinzessin (12) ständig das Gefühl, ich müsste ihr auf den Fersen sein.
Ich will ihr Misserfolge ersparen, will, dass sie den Anschluss nicht verpasst, habe Sorge, dass sie völlig die Freude an der Schule (äh, welche Freude?) verliert.

Dabei sprechen wir von einem Kind, das sich im Alter von drei Jahren das Schleifebinden selber beigebracht hat, das allein Fahrradfahren gelernt hat, schon als Baby genau wusste, was es wollte.

Deshalb ist mein Vorsatz für 2013:

  • ich bespreche regelmäßig mit Prinzessin, ob und welche Hilfe sie möchte
  • ich achte darauf, dass es ihr und mir dabei gut geht
  • ich habe Vertrauen darauf, dass sie ihren Weg in der Schule geht










Die Kärtchen-Methode habe ich von John Izzo. Er rät, seinen wichtigsten Vorsatz (nicht mehrere!) prägnant und positiv auf ein Kärtchen zu schreiben, immer mit sich herum zu tragen und mehrmals am Tag bewusst an zu schauen.

Eine Studie belege, so Izzo, dass diese Methode des Bewusstmachens erfolgreicher sei als die Festlegung von Schritten zum Erreichen eines Ziels.

Was ist euer wichtigster Vorsatz für 2013?

Immer schön fröhlich keine Sorge, sondern ein Kärtchen mit sich herum tragen

Uta

Samstag, 5. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 112: Vampir-Schmacht in der Nacht


Prinzessin (fast 12) übernachtet heute bei einer Freundin. Ich fuhr sie eben im Auto hin.

Wir sprachen nichts.

Sie hatte sich vorher am Computer einen "Twilight"-Film angesehen. Jetzt war sie Bella und starrte ins Dunkel hinter der Windschutzscheibe.

Ich hätte ihr erzählen können, dass das jüngste Album von Adele das meist verkaufte Album des 21. Jahrhunderts ist (Man soll ja die Kinder thematisch da abholen, wo sie stehen.)

Aber wenn man Bella ist, hat man keine Mutter, die einem im Auto ein Ohr abkaut.

Wenn man Bella ist, hat man eine Mutter, die Tausende von Kilometern entfernt in einer neuen Beziehung lebt.

Ich will keine neue Beziehung. Ich könnte den tollsten Vampir treffen, ich würde trotzdem beim Soßenkönig bleiben und Äpfel achteln für mein Kind.

Mit so einer Mutter fährt man lieber schweigend durch den Januar-Abend.

Nirgendwo eine Klippe oder Felsen im Nebel. Nicht einmal Wald, nur rausgeworfene Weihnachtsbäume, Ampeln, Altglascontainer.

"Viel Spaß", rief ich in den Kofferraum, als sie Tasche und Schlafsack aus dem Heck zog.

"Ja, danke".

Ich setzte den Blinker und verfluchte die Erkenntnis, dass es die Hauptaufgabe von Eltern ist, sich mit der Zeit überflüssig zu machen.

In den Büchern, die ich lese, wird auch das Thema "Twilight" aufgegriffen. In "Jugendjahre" schreiben Remo Largo und Monika Czernin, dass diese Filme die Gefühlswelt Pubertierender sehr genau wider spiegeln. ("Jugendjahre" erscheint im Februar als Taschenbuch.)

Vampir Edward stehe für Bedrohung und Verführung, aber auch für Erlösung und Schutz. Bella suche nicht mehr bei den Eltern, sondern bei Edward Geborgenheit. "Ihre Liebe zu ihm ist so absolut wie einst ihre kindliche Liebe zu den Eltern."

Im Film gibt es Menschen, Vampire und Werwölfe. "Jede Gruppe hat ... gute und böse Qualitäten und Wertvorstellungen. In jeder Bande gilt unbedingte Loyalität zur Bande und Schutz vor anderen Cliquen." Die Cliquen, so schreiben Largo und Czernin weiter, seien Metaphern für die Gesellschaft. "Wo gehöre ich hin, wo finde ich soziale Akzeptanz und Anerkennung? ... Aber auch: Woher komme ich?"

Die seltsamen Landschaften von "Twilight", der unheimliche Wald, das weite Meer, die steilen Klippen stünden für eine fremde, bedrohliche Zukunft, die den Jugendlichen Angst mache. "Nur durch Liebe ist diese Welt zu bewältigen."

"Ja, genau, nur durch Liebe", ich schlage das Buch zu.

Darf es noch eine kleine Weile die Liebe von Papa und Mama sein?


Bei der nächsten Autofahrt bin ich gewappnet gegen Vampire.


Immer schön fröhlich lesen und verstehen, das tröstet

Uta

PS: Lieber Soßenkönig, der Papa von Bella ist Polizist. Und nicht einmal der kann sie beschützen.

Dienstag, 1. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 111: Geheimnis im Curry-Dip


Ich habe zu Weihnachten das Buch "Die fünf Geheimnisse, die Sie entdecken sollten, bevor Sie sterben" von John Izzo geschenkt bekommen. (Es scheint inhaltlich ähnlich zu sein wie das Buch von der australischen Hospizschwester, von dem ich hier geschrieben habe.)

Jetzt zucken wieder einige zusammen, weil Uta über das Sterben schreibt und alle was Fröhliches gebrauchen könnten, weil der Weihnachtsbaum nadelt und draußen ein grauer Regen die ausgeschossenen Raketen durchweicht.

Aber so etwas Existenzielles zu lesen, macht mich glücklich. Vielleicht kann ich euch einen Happen davon abgeben.

Izzo schreibt, es gebe zwei große Aufgaben im Leben eines Menschen:


sich selbst zu finden
 und

 sich selbst zu verlieren


Die ersten dreißig bis vierzig Jahre unseres Lebens finden wir heraus, wer wir sind.

Die zweiten dreißig bis vierzig Jahre haben wir damit zu tun, nicht zu wichtig zu nehmen, was wir über uns heraus gefunden haben.

Ich breche das jetzt mal runter auf meinen Alltag.

Den Curry-Dip gestern zum Fondue wollte ich selber machen. Mein Mann aber meinte, das sei unnötig. "Wir kaufen eine Curry-Soße."

Vor etwa fünf Jahren hätte ich darauf bestanden, den Curry-Dip selbst zu machen, um mir selbst treu zu bleiben.

Darüber hätte es eine Eintrübung im Leben der glücklichen Familie gegeben.

(Die Leute streiten sich über Sachen! Gestern waren wir vor dem Fondue in einem Musical und zwei Männer, die offensichtlich ein Paar waren, stritten erbittert darüber, welches die richtige Garderobenschlange sei.)

Aber zurück zum Dip.

Ich erkannte, dass mir glückliche Partnerschaft wichtiger ist als eine florierende Dip-Manufaktur, und setzte "Curry-Dip" auf unsere Einkaufsliste.

Wie so häufig erlebte ich, dass das Universum auch die kleinsten und banalsten Ansätze von Weisheit sofort belohnt.

Beim gemeinsamen Einkauf stellte mein Mann fest, dass Curry-Dip ausverkauft war. Spontan kaufte er Limetten, Balance-Mayonaise und Kurkuma und rührte zu Hause einen Dip, wie nur mein Soßenkönig ihn zaubern kann.

Was das mit dem "Sich-finden-und-verlieren" zu tun hat?

Man muss im Leben heraus finden, wer man ist und was einem wichtig ist. Und wenn man älter wird, muss man den Selbstverwirklichungskram wieder loslassen und das, was man herausgefunden hat, in den Dienst einer größeren Sache stellen: gute Partnerschaft zum Beispiel oder Weltfrieden.

Hat das jemand verstanden?

Immer schön fröhlich sich selber finden und verlieren

Uta