Freitag, 7. März 2014

Glückliche Familie Nr. 204: Keine kleinen Gandhis


Ich hatte ein paar Anfragen, von denen ich gerne die eine oder andere aufgreife. Zum Beispiel die von Anne.

Das Thema Streiten interessiert mich auch. Wir stoßen da grad an unsere Grenzen. Ich habe meinen Jungs jahrelang mühsam beigebracht, dass wir uns mit Worten wehren und uns nicht weh tun. Und jetzt ist der Große in der 1. Klasse und ich stelle fest, dass er damit nicht weiter kommt. Plötzlich brauchen wir neue Regeln und Methoden, um zu streiten, sich zu wehren, sich durchzusetzen, ernst genommen zu werden. Zurückhauen gehört definitiv dazu und zur Lehrerin/Erzieherin gehen definitiv nicht mehr. Eine richtige Idee habe ich da grad nicht. Du ja vielleicht? 
LG
Anne


"... dass wir uns mit Worten wehren"?

Liebe Anne, ich glaube sofort, dass es mühsam war, deinen Jungs beizubringen, sich mit Worten zu wehren. Denn das ist ganz gegen ihre Natur. Von klein auf sortieren sich Jungs in Rangordnungen. Jedes Spiel - egal ob Brettspiel oder Dosenkicken - hat für sie nur den Zweck, ihren Platz in der Hierarchie der Jungen zu finden. Und wenn diese kleinen Männer in eine neue soziale Gruppe kommen, was ja der Fall ist, wenn sie eingeschult werden, hat das Kämpfen und Konkurrieren Hochkonjunktur. 
Ich schreibe das nicht, weil ich alten Rollenklischees verhaftet bin, sondern stütze mich auf Studien aus dem Buch der Neurobiologin Louann Brizendine. Hier heißt es:
"Jungen raufen und verprügeln sich mit dem größten Vergnügen; sie streiten sich um Spielzeug und versuchen, sich gegenseitig unterzukriegen. Solche Spiele treiben sie sechsmal häufiger als Mädchen." (Louann Brizendine: Das männliche Gehirn. Hamburg 2010, S. 40)
"Bei Jungen in der ersten Schulklasse reagiert das Gehirn entzückt, wenn sie Stärke und Aggressionen zeigen können. Noch besser ist, wenn körperliche Kraft mit Beleidigungen einhergeht. ... Solche Spiele verschaffen ihrem Gehirn eine starke Wohlfühlbelohnung in Form eines Dopaminschubs." (ebd., S. 41) 



Wir Frauen machen gerne verächtliche Bemerkungen über die kleinen wilden Jungs anderer Eltern: "Der gibt hier wohl das Alpha-Männchen." Dabei wird meist verkannt, dass dieses Verhalten tatsächlich in ihrem Gehirn angelegt ist.

  • Jungen schadet es, wenn man ihnen das Kämpfen verbietet
  • sie brauchen dafür klare Regeln (z.B. Boxen und Rangeln ist erlaubt, aber kein Treten; keine Schläge unter die Gürtellinie; der Kampf hört auf, wenn der Gegner am Boden liegt ...)
  • ideal ist es, wenn ältere Jungs oder erwachsene Männer ihnen diese Regeln beibringen

Liebe Anne, du könntest mit deinen Jungs darüber sprechen, welche Form des Sich-Wehrens okay ist, und mal nachfragen, ob die Lehrerin Regeln dafür aufgestellt hat. Gut ist auch, wenn die Jungen einen Kampfsport lernen, denn da werden ihnen gesunde Grenzen für den Körpereinsatz vermittelt.

Immer fröhlich akzeptieren, dass man auf Schulhöfen keine kleinen Gandhis trifft

Eure Uta 

Montag, 3. März 2014

Glückliche Familie Nr. 203: Teilen müssen


Steven R. Covey beschreibt in seinem Buch über "Prinzipien für starke Familien", wie er nachmittags zu der Geburtstagsfeier seiner dreijährigen Tochter nach Hause kam. Viele große und kleine Gäste waren versammelt, aber die Stimmung war schlecht, weil das Geburtstagskind in einer Ecke saß und trotzig seine Geschenke umklammerte. Keines der anderen Kinder durfte damit spielen.

Covey hockte sich zu seinem Kind und sagte Sätze wie:

"Schatz, würdest du bitte das Spielzeug, das deine Freunde dir mitgebracht haben, mit ihnen teilen?" -

"Nein!" -

"Schatz, wenn du jetzt die anderen Kindern mit deinen Geschenken spielen lässt, darfst du sicher ein anderes Mal auch mit ihren Geschenken spielen."

"Nein!" -

Corveys Verlegenheit wuchs. Schließlich wussten alle, dass er an der Uni Kurse gab über das Gelingen zwischenmenschlicher Beziehungen und konnten nun erleben, wie er zu Hause versagte.

"Schatz", diesmal flüsterte er, "wenn du deine Sachen teilst, gebe ich dir einen Kaugummi."-

"Nein", schrie diesmal der Schatz, "ich will keinen Kaugummi."

Da Covey, der überzeugte Christ, den Wert des Miteinander-Teilens besonders hoch hielt, riss er seiner Tochter das Spielzeug aus der Hand und gab es den anderen Kindern. Später fiel ihm auf, dass er Gewalt-Verzicht, den anderen christlichen Wert, dafür missachtet hatte.

Später schrieb er: "Seit jener Geburtstagsfeier haben Sandra (seine Frau, Anmerkung der Bloggerin) und ich uns als Eltern weiterentwickelt. Heute verstehen wir besser, dass Kinder Entwicklungsphasen durchlaufen. Wir wissen jetzt, dass es nicht realistisch ist, diese Art des Teilens von Kindern unter fünf oder sechs Jahren zu erwarten. Und auch für ältere Kinder ist das Teilen manchmal gar nicht so einfach."

Ein paar Seiten später finde ich noch den Satz:

"Kinder haben das Bedürfnis, ihr Spielzeug zu besitzen, bevor sie bereit sind, es mit anderen zu teilen."

So wie Babys auch erst Worte hören müssen, ehe sie selbst welche bilden können, wie sie erst krabbeln können müssen, ehe sie laufen lernen.

Das ist einleuchtend, oder?

Trotzdem ist die Sache mit dem Teilen ein berüchtigter Stressfaktor für Eltern. Bei der großzügigen Ausgabe von Schaufel und Förmchen, beim Durchbrechen von Salzstangen und beim Verteilen von Gummibärchen sollen sie zum ersten Mal soziales Verhalten beweisen. Alle sitzen im Kreis bei den Tupperdosen und warten auf die wundersame Keksvermehrung.

Das ist das klassische Feld, auf dem Eltern einen guten Eindruck machen wollen. "Seht her, so sozial ist mein Kind." Die Leute versuchen, über ihre Kinder Anerkennung für sich selber zu bekommen. (Ich weiß das, weil ich ganz vorne mit dabei war.)

Und die anderen Eltern, die nicht einschreiten, wenn ihr Niklas-Joshua eine feindliche Übernahme in der Sandkiste startet, kreisen so sehr um ihren geliebten Nachwuchs, dass sie meinen, er müsste immer von der ganzen Welt alles sofort bekommen. Wenn dann die schüchterne Sofia weint, weil sie bestohlen wurde, blicken sie auf die Mutter herab und denken: "Dein Kind kann wohl nicht teilen."

"Das ist mein Kater, kapiert?" Prinzessin vor fünf Jahren am Rosenmontag.

Utas Schlussfolgerungen für Teilungs-Konflikte:

  • Verstehen und akzeptieren, wenn Kinder unter sechs Jahren noch nicht teilen können. Kein großes Aufheben darum machen.
  • Das eigene Kind zurückpfeifen, wenn es anderen Kindern gegen ihren Willen etwas wegnehmen will.
  • Verstehen, dass Kinder nicht teilen lernen, wenn man sie zwingt, etwas abzugeben.
  • Auf lange Sicht lernen Kinder teilen, wenn sie ihre Eltern als großzügig erleben.

Der letzte Punkt ist mir besonders wichtig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich großzügig werde, ist höher, wenn ich selber Großzügigkeit am eigenen Leib erfahren habe. Das zeigen auch Untersuchungen darüber, wie Mitgefühl entsteht. Katrin Bischl schreibt in "Psychologie Heute": 
"Je feinfühliger die Mütter mit ihren zweijährigen Kindern umgegangen waren, umso mehr Mitgefühl und prosoziales Verhalten zeigten diese im Alter von fünf Jahren." (Psychologie Heute, 9/2003, S. 17)
Wenn ich mein Kind zwinge, anderen etwas abzugeben, mag das auf Dauer auch funktionieren. Aber dann bringe ich meinem Kind bei, nicht auf das eigene Gefühl zu hören, sondern zu tun, was andere von ihm erwarten. 
Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass meine Kinder "aus-vollem-Herzen-Menschen" sind. Menschen, die aus vollem Herzen etwas schenken, teilen und auf andere eingehen. Alles andere hat doch keinen Wert, oder?

Immer fröhlich akzeptieren, wenn kleine Kinder noch nicht teilen können.

Eure Uta


PS 1: Es gibt ja auch die Kinder, die anderen immer alles kampflos überlassen. Ich hoffe, dazu fällt mir auch bald was ein.

PS2: Guckt mal hier gibt es eine spannend-komische Gespenster-Geschichte zum Vorlesen, ein richtiger Mut-Macher für kleine Mädchen. 

Freitag, 28. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 202: Cheerleading mit Klobürsten


Von Frieda (zwei Söhne 5 und 3 Jahre alt) habe ich folgende Anfrage bekommen:

"Ich wünsche mir von dir einen Post über den Umgang mit "Stresssituation mit Kleinkindern". Ich meine damit einfach Alltagssituationen, die der Rede nicht weiter Wert sein sollten, mich aber manchmal doch zum Überkochen bringen. Situationen, die man auch gut mit Humor regeln könnte. Das Typische: Trödeln, Rumwedeln mit der Toilettenbürste, Holzkugeln quer durch das Wohnzimmer werfen, was kleine Jungs eben so machen."


Ich denke, man muss unterscheiden:

a) Ist es Experimentierlust oder Bewegungsdrang?

b) Ist es ein Eltern-Grenzen-Test? Schräger Blick zu Mama/Papa: Wie weit kann ich es treiben, bis sie/er explodiert?

c) Ist es ein Beziehungsbedürfnis, der Wunsch, irgendwie mit Mama zu tun zu haben, selbst wenn es wie beim Schimpfen negativ ist?



zu a) Experimentierlust oder Bewegungsdrang

Machen lassen, wenn es die eigenen Grenzen nicht verletzt oder die Statik des Hauses gefährdet.
Bei Jungen beträgt der Anteil der Muskeln an der Körpermasse 40 Prozent, bei Mädchen sind es nur 24 Prozent (Vera Birkenbihl). Besonders Jungen im Vorschul- und Grundschulalter sind programmiert auf Bewegung. Tun sie es nicht, verkümmern ihre Muskeln. Und auch für Mädchen ist Bewegung natürlich wichtig.

Viel raus gehen, Garten, Hof, Spielplatz, Wald und toben lassen. Das ist schon die halbe Miete. Der Fünfjährige kann auch auf dem Balkon oder auf der Terrasse Nägel einschlagen in einen Baumstumpf. Das kann ihn richtig lange beschäftigen. Der Kleinere bekommt einen Plastikhammer, Beistiftstummel und ein dickes Stück Styropor und darf es dem Bruder gleich tun. Diese Aktion kann reichen für einen "Latte grande" und eine gepflegte Blog-Runde.

Für drinnen Softbälle in verschiedenen Größen bereit halten. Super auch: eine Tobe-Ecke mit den alten dreiteiligen Matratzen von früher (bekommt man gelegentlich noch bei Haushaltsauflösungen). Bei uns hatte die Oma sie schön überzogen und dann ging's los. Sie dienten als Trampolin, Höhlenwände, Treppenschlitten und hochkant als Pferde.

Und schließlich anerkennen, dass es einfach anstrengend ist mit Kindern (und besonders mit zwei Jungs) in dem Alter. Als ich Kind war, kam uns gelegentlich eine Tante von mir mit ihren sieben Kindern, davon fünf Jungen, besuchen. Wir mochten die ganze Familie sehr gerne, aber jeder Besuch war wie ein Tornado, von dem wir uns tagelang erholen mussten. (Außerdem war danach mindestens eines unserer Fahrräder platt.)

Also sich nicht runterziehen mit Sätzen wie: "Ich mache alles falsch" oder "Ich habe das einfach nicht im Griff." Diese Phase hinterlässt Spuren an Möbeln und Nervenkostüm. Das ist einfach so.

Kronprinz vor fünf Jahren im Nussbaum der Großeltern

zu b) Eltern-Grenzen-Test

Wenn der Nachwuchs so schräg aus dem Augenwinkel guckt, wie wir reagieren, ist eine klare Haltung gefragt.

Stufe 1: "Nein, Cheerleading mit Klobürsten mag ich nicht. Stell die Bürste zurück in die Halterung und komm von der Toilette weg."

(wenn das nicht reicht)

Stufe 2: Klobürste wegnehmen (möglichst cool bleiben, Kind nicht abwerten, am besten gar nichts sagen, aber Aktion wortlos durchziehen)

(wenn das nicht reicht und der jüngere Bruder zeitgleich mit Holzkugeln wirft)

Stufe 3: Kind aus dem Bad bringen, von innen abschließen und wahlweise mit Nagelfeile auf die Klopapierrolle einstechen oder sich in Embryonalhaltung in den Duschvorleger einrollen und fünf Minuten tsunami-mäßig heulen.

Wenn das mehrstufige Verfahren keine Wirkung zeigt, handelt es sich wahrscheinlich um ein übergroßes Bedürfnis nach Nähe zu Mama oder Papa


zu c) Beziehungsbedürfnis

Hier könnte das Ritual der Kekspause helfen, erfunden und erfolgreich praktiziert von meiner Elterntrainerkollegin Bettina. Jeden Nachmittag gab es bei ihr und ihrem Sohn eine solche Pause, in der sie etwas Leckeres aus dem Schrank holte und mit dem Jungen ein Buch anschaute oder etwas vorlas.

Kinder lieben Rituale. Und wenn sie mit Klobürsten wirbeln, kann man sagen: "Mach bitte noch eine kurze Zeit lang etwas hygienisch Bedenkenloses, dann haben wir auch gleich unsere Kekspause."

Wenn Kinder wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass es eine solche exklusive Zeit mit Mama oder Papa gibt, sind sie meist sehr kooperativ.

Manchmal klappt es, mit beiden Kindern eine solche Pause zu machen und zusammen das gleiche Buch anzuschauen. Es kann aber sein, dass es besser funktioniert, mit jedem Kind einzeln etwas zu machen. (Gucke, dass das etwas ist, was dir auch Freude macht, sonst ist selbst die Kekspause anstrengend. Ein Kind bekommt sofort mit, wenn man sich selber quält oder langweilt.)

Anstatt ein Buch anzuschauen, könnte man auch zusammen etwas mit Bauklötzen bauen, eine geheime Leidenschaft von mir. Besonders toll finde ich die Kapla-Steine. Ich behaupte mal kühn und ohne dass ich Provision bekomme, dass Kinder kaum etwas anderes brauchen, wenn sie eine solche Kiste mit schlichten Holz-Bausteinen haben.


Liebe Frieda, ich weiß nicht, ob meine Anregungen zu deiner Lebenssituation passen. Die Zeit mit Kindern im Vorschulalter kann wahnsinnig schön, aber auch wahnsinnig anstrengend sein. Mir hat immer sehr geholfen, einmal die Woche zum Stepptanzen zu gehen. Nicht immer verständnisvoll und geduldig sein zu müssen, sondern zu stampfen und zu klappern, was die Eisen unter den Schuhen hergaben und als Mama auch mal laut sein zu dürfen. Das tat und tut so gut. Eltern brauchen eine solche Kraftquelle. Was ist es für dich?


Von einem unserer kleinen Auftritte.

In dieser Woche habe ich in der Schule einen Vortrag von Professor Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) gehört. Auf die Frage, was Eltern tun können, um ihre Kinder vor Drogenabhängigkeit zu bewahren, sagte er: "Der beste Schutz ist ein gutes Familienklima in den ersten Jahren." 

Und das braucht einfach Zeit und Zugewandtheit. Alles andere ist Selbstbetrug. 

Immer fröhlich Zeit haben für Kekspausen und die eigenen Kraftquellen

Eure Uta


PS: Mögt ihr diese Art von Post oder ist das zu viel Text? Ich freue mich über Rückmeldungen.

Dienstag, 25. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 201: Aufklärung in Brandenburg


Meine Kinder sind ja nicht mehr im Bullerbü-Alter. Mit 13 und 16einhalb lässt man keine Borkenschiffchen mehr schwimmen oder liest dem blinden Großvater aus der Zeitung vor.

Als Eltern hat man sich mit so Themen wie Alkohol, Rauchen und erste sexuelle Erfahrungen zu befassen. Themen, bei denen ich mich gerne locker gebe, es aber absolut nicht bin.

Kleiner Beispiel-Dialog mit Prinzessin, nachdem ich mir vorgenommen hatte, etwas Heikles anzusprechen:

"Was guckst du so komisch?"-
"Ich gucke komisch?" -
"Ja, du ziehst die Augenbrauen mega-hoch und darüber ist alles voller Falten."-

 Uta kneift sich in die Wangen, lässt das ganze Gesicht schwabbeln und grunzt ein paar Urlaute.

"Besser?"-
"Na, ja."

Meistens bin ich dann so aus dem Konzept, dass ich das heikle Thema lieber fallen lasse.

Neulich aber war ich sehr erleichtert. Da habe ich von Remo Largo, dem Leiter der Abteilung "Wachstum und Entwicklung" am Kinderspital Zürich, Folgendes gelesen:
"Eltern spielen für ihre Söhne und Töchter mit ihrem partnerschaftlichen Verhalten und dem Austausch von Zärtlichkeiten als Vorbilder eine wichtige Rolle. ... Ich bin aber nicht der Meinung, dass die Eltern in der Aufklärung die Hauptrolle spielen sollten, auch wenn sie sich kompetent fühlen und der Ansicht sind, dass sie diese Aufgabe gut erfüllen können." Remo H. Largo, Monika Czernin: Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten. München 2011, S. 55) 
Lieber Remo Largo, ich bin sowas von Ihrer Meinung. Danke! Außerdem bin ich überhaupt nicht der Ansicht, dass ich diese Aufgabe gut erfüllen könnte. Dieses Zitat hänge ich in den nächsten Shabby-Bilderrahmen, der mir unter die Finger kommt. So ein kleiner Freibrief gleich im Flur.

Denn ich bin nicht so kühn wie meine Freundin Britta, die beim Abendessen mit ihren beiden Kindern nicht nur über Aids sprach, sondern auch über die drohende Unfruchtbarkeit (Verkleben der Eierstöcke) durch eine Chlamydieninfektion bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Chapeau, Britta!

Oder wie unser Freund Jochen, der im Auftrag seiner Frau und Mutter seiner bald erwachsenen Kinder zwei Packungen Kondome kaufte und jedem eines in die Hand drückte als wären es Überraschungseier.

Oder wie Bettina, die mit ihrer Tochter im Auto durch Brandenburg fuhr und so leidenschaftlich darüber referierte, wie wichtig es sei, mit dem "ersten Mal" zu warten, bis man sich gut kennt und vertraut, dass sie richtig Gas gab und ein Knöllchen bekam.

Oder wie Claudia, die sich ihren 16jährigen Sohn zur Brust nahm und ihm einschärfte, nie, aber auch wirklich nie ein Mädel anzufassen, das alkoholisiert ist.


Hatte gerade kein Chlamydien-Foto :-)


Aus dem, was ich bei Largo gelesen und von unseren Freunden gehört habe, ergeben sich für mich folgende Erkenntnisse:

  • Jugendliche ziehen beim Thema Sexualität vor allem die beste Freundin oder den besten Freund ins Vertrauen. "Sexualität ist ... Teil des Erwachsenenseins und gehört nicht mehr in das gemeinsame Familienleben. Eltern berichten ihrem Sohn am Frühstückstisch auch nicht, dass sie vergangene Nacht miteinander geschlafen haben." (Largo, Czernin, S. 55)
  • Die Aufgabe von Eltern ist es eher, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen eine gute Beratung bekommen, zum Beispiel von einer verständnisvollen Frauenärztin. Kronprinz (16) habe ich gerade zu einem Check-Up bei unserem Hausarzt angemeldet, weil dieser in einem Gespräch mit meinem Mann angeboten hatte, auch sexuelle Fragen mit dem Prinzen zu besprechen. So eine Vertrauensperson außerhalb der Familie eignet sich viel besser dazu als Mama oder Papa. 
  • Die Kondome werden in unserem Haus beizeiten neben den Wattestäbchen im Bad stehen.
  • Hier ist ein guter Artikel über Chlamydieninfektionen und wie Jugendliche sich davor schützen können. Ich werde den Artikel ausdrucken und ins Gäste-WC hängen. Dort wird früher oder später alles gelesen. (Die Klo-Lektüre wird als erzieherisches Medium häufig unterschätzt.)
  • Maßnahmen wie Verbote, Kontrollen und Strafen gehen bei Jugendlichen meist nach hinten los. Das heißt aber nicht, dass Eltern sich gar nicht um das Thema kümmern sollten. Jesper Juul zufolge brauchen Kinder in der Pubertät ihre Eltern als "Sparringspartner". Sie wollen kein Wischiwaschi oder - noch schlimmer - Desinteresse, sondern Erwachsene, die einen klaren Standpunkt haben und dafür einstehen. Dann können die Jugendlicher selber gucken: Wer will ich in Bezug auf diesen Standpunkt sein? 
  • In eine gute Beziehung zum Kind investieren und in irgendeiner Form immer in Kontakt bleiben. Meine Freundin Lisa erzählte, dass häufig gute Gespräche entstehen, wenn sie ihren 17jährigen Sohn vom Schlagzeugunterricht abholt. Im Auto neben einander zu sitzen, habe so etwas entspannt Beiläufiges. Außerdem meinte sie, dass das Musikmachen seine Gehirnhälften besser vernetze. 

Noch ein Zitat von Largo, das ich so schön fand (wo kriege ich bloß die ganzen Shabby-Rahmen her?):
"Oft kommen mir Jugendliche mit ihren Ansprüchen, die sie etwa bezüglich Treue und gegenseitiger Unterstützung an sich selbst und ihren Partner stellen, moralischer vor als viele Erwachsene."

Immer fröhlich bei der Aufklärung im Hintergrund präsent sein

Eure Uta

Mittwoch, 19. Februar 2014

Gastbeitrag


Heute bin ich zu Gast auf dem wertvollen Blog von Sonja.

Ich freue mich sehr, liebe Sonja, dass ich bei deiner Interview-Reihe dabei bin.

Immer fröhlich dem Link folgen

Eure Uta

Dienstag, 18. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 200: Raum lassen


In dem Post "Der Elternautomat" habe ich einmal dieses Zitat gebracht:


"Es gibt einen Raum zwischen Reiz und Reaktion."

Diesen Satz entdeckte Stephen R. Covey, als er als Student in der Bibliothek in einem Buch blätterte, und der ihn wie ein Blitz traf. In seinem Hörbuch "Der Weg zum Wesentlichen" beschreibt Covey, wie bedeutsam der Satz in seinem Leben geworden ist.

Im Umgang mit den Kindern ist mir der Raum zwischen Reiz und Reaktion auch sehr wichtig.

Als meine Eltern im vergangenen Sommer zu Besuch waren, saßen wir auf der Terrasse bei Kaffee und Kuchen. Ich brachte noch Zucker und Milch hinaus und fand an der Tafel nur noch einen Platz in der prallen Sonne, während seine Durchlaucht, der Kronprinz (da noch 15), unter dem großen Schirm im Schatten trohnte. 

Unmut regte sich über den Kuchenstreuseln. 

Meinen Eltern war anzusehen, dass sie vom Prinzen einen Platztausch erwarteten. Und meine Schwester fing an, ihren Sohn zu bearbeiten, damit er seinen Schattenplatz für die Tante räume. 

Meine erste Reaktion war Unwohlsein. 

Wenn der eigene Sohn paschamäßig im Schattenwurf des Schirmes sitzt und keine Anzeichen macht, auf den sozialen Druck von allen Seiten der Kaffeetafel zu reagieren, fällt zwar weiterhin viel Sonne auf Mutter, aber kein gutes Licht auf mich als Elterntrainerin. 

Zum Glück hielt ich dieses kleine Unwohlsein aus (= Raum).

Der Wunsch, mein Sohn möge sich als höflich erweisen und ich würde als Tochter und Schwester dafür Anerkennung bekommen (=Reiz), wurde von mir ausgesessen (= Raum).

So hatte ich Zeit zu spüren, dass die Sonne mir tatsächlich wohl tat und ich gar nicht mit den halbwüchsigen Schattenmännern tauschen wollte, und bestand schließlich darauf, dass Sohn und Neffe  sitzen blieben (= Reaktion).


Mit Prinzessin und Kronprinz auf dem Dach des Gasometer in Oberhausen.


Berufs- und persönlichkeitsbedingt habe ich noch weiter drüber nachgedacht. 

War ich wieder zu nachgiebig?

Hat Kronprinz vielleicht zu wenig Empathie?

Die Fragen beantworteten sich wenig später von selbst.

Als Kronprinz und ich am Abend über seine Pläne für das Wochenende sprachen, meinte er plötzlich: 

"Ach, da hast du doch den Termin, auf den du dich so freust."

Tage war es her, dass ich den Termin erwähnt hatte, deshalb war ich so beglückt, dass er sich daran erinnerte, meine Gefühle wahr genommen hatte und auf meine Pläne Rücksicht nahm. 

Und mir wurde wieder klar,

  • dass entscheidend ist, wie wir mit einander sind (Jesper Juul), diese Stimmung erzieht, nicht die Einzelmaßnahme. 
  • dass wir mit unseren Kindern manchmal Dressurnummern vorführen, um als Eltern besser da zu stehen
  • dass es immer wieder hilft, inne zu halten und einen Raum zu lassen, zwischen dem ersten Reiz und der Reaktion


Immer fröhlich den Schattenmännern vertrauen. In ihnen ist so viel Licht!

Eure Uta

Mittwoch, 12. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 199: Einfach zu lau


Leser dieses Blogs wissen, dass meine Fußpflegerin eine besondere Frau ist. Gestern war sie wieder da und sagte:

"Frau A., Sie sind einfach zu lau." -

"Ich bin zu lau?" -

"Ja."

Ich würde mich häufig mit dem zurückhalten, was ich denke. Und dann würde ich auch zuviel denken, anstatt beherzt zu sagen und zu tun, wovon ich wirklich überzeugt sei.

Sie hielt einen kleinen Vortrag über den Verstand, der direkt vom Ego gesteuert sei, und landete schließlich bei der Wahrheit des Herzens.

Der Motor von der elektrischen Nagelfeile brummte. Aber sie war noch nicht fertig mit ihrem Vortrag.

Wenn ich Familien wirklich helfen wollte, dann müsste ich auch bereit sein, schmerzhafte Wahrheiten auszusprechen und bis an meine Grenzen zu gehen. Mit "positivem Denken" allein sei niemandem geholfen. "Sie brauchen den Mut, den Finger auch mal in die Wunde zu legen. Und ich weiß, dass Sie diesen Mut haben."

Sie drückte meinen Fuß mit dem entzündeten Zeh, der bei ihr auf dem Schoß lag. Das war sehr anschaulich, was Wunde und Schmerz angeht.

Wir sind dann wegen der Wahrheit des Herzens mit den Füßen kaum mehr fertig geworden (die rechte Ferse blieb ungehobelt), aber sie musste zur nächsten Kundin. Und ich stürzte zu den Lernentwicklungsgesprächen mit Kronprinz (16) und Prinzessin (13) in die Schule.

Die Gespräche waren gut, davon möchte ich gar nicht schreiben.

Ich möchte von der ganz persönlichen Wahrheit schreiben, die wir alle in uns tragen, und davon, dass wir oft nicht den Mut haben, sie zu leben.

Gar nicht lau - Prinzessin (13) beim Kartfahren.

In Erziehungsfragen zum Beispiel.

Was lassen wir uns verunsichern?!

Fruchtzwerge, ja oder nein?
Früh einschulen?
Hausaufgaben vor dem Spielen oder danach?
Druck ausüben beim Klavierüben?
Helmpflicht beim Radfahren?
Plastikspielzeug oder nicht?

Dabei hat jeder Themen, bei denen ist er oder sie glasklar.

Bei mir war immer glasklar:
  • Toben auf dem neuen Sofa geht gar nicht (erlaubt auf den alten Matratzen)
  • mit Schuhen ins obere Stockwerk ist verboten
  • Hauen kann ich noch durchgehen lassen, aber Treten kann ich nicht akzeptieren
  • außerdem habe ich eine persönliche Abneigung dagegen, dass Kinder andere Kinder auf den Helm hauen, wenn sie ihn auf dem Kopf tragen; ich weiß, es passiert nichts, aber da musste ich immer einschreiten
  • dafür war mir ein fröhliches Essen immer wichtiger als gefeilte Tischmanieren
  • Kreativität hat für mich Priorität vor Ordnung
  • Gesundheit und Fröhlichkeit hat für mich Vorrang vor guten Schulnoten

Für mich. 

Für euch werden andere Punkte gelten.

Ich habe oft an meinen Durchsetzungsfähigkeiten gezweifelt, bis mir klar wurde, dass ich die Dinge, die mir wirklich wichtig sind, problemlos durchsetzen kann. Und die anderen sind mir dann offensichtlich nicht so wichtig. Da muss ich mir dann auch keinen Kopf machen, Versagensängste haben oder mich anderen Eltern gegenüber schlecht fühlen.

Mögt ihr mir schreiben, welche Dinge ihr problemlos durchsetzen könnt (... und welche in Folge dessen wohl die wirklich wichtigen Dinge für euch sind)?

Hört auf, lau und lasch zu sein, und lebt fröhlich und mutig eure ganz persönliche Wahrheit

Uta