Freitag, 7. März 2014

Glückliche Familie Nr. 204: Keine kleinen Gandhis


Ich hatte ein paar Anfragen, von denen ich gerne die eine oder andere aufgreife. Zum Beispiel die von Anne.

Das Thema Streiten interessiert mich auch. Wir stoßen da grad an unsere Grenzen. Ich habe meinen Jungs jahrelang mühsam beigebracht, dass wir uns mit Worten wehren und uns nicht weh tun. Und jetzt ist der Große in der 1. Klasse und ich stelle fest, dass er damit nicht weiter kommt. Plötzlich brauchen wir neue Regeln und Methoden, um zu streiten, sich zu wehren, sich durchzusetzen, ernst genommen zu werden. Zurückhauen gehört definitiv dazu und zur Lehrerin/Erzieherin gehen definitiv nicht mehr. Eine richtige Idee habe ich da grad nicht. Du ja vielleicht? 
LG
Anne


"... dass wir uns mit Worten wehren"?

Liebe Anne, ich glaube sofort, dass es mühsam war, deinen Jungs beizubringen, sich mit Worten zu wehren. Denn das ist ganz gegen ihre Natur. Von klein auf sortieren sich Jungs in Rangordnungen. Jedes Spiel - egal ob Brettspiel oder Dosenkicken - hat für sie nur den Zweck, ihren Platz in der Hierarchie der Jungen zu finden. Und wenn diese kleinen Männer in eine neue soziale Gruppe kommen, was ja der Fall ist, wenn sie eingeschult werden, hat das Kämpfen und Konkurrieren Hochkonjunktur. 
Ich schreibe das nicht, weil ich alten Rollenklischees verhaftet bin, sondern stütze mich auf Studien aus dem Buch der Neurobiologin Louann Brizendine. Hier heißt es:
"Jungen raufen und verprügeln sich mit dem größten Vergnügen; sie streiten sich um Spielzeug und versuchen, sich gegenseitig unterzukriegen. Solche Spiele treiben sie sechsmal häufiger als Mädchen." (Louann Brizendine: Das männliche Gehirn. Hamburg 2010, S. 40)
"Bei Jungen in der ersten Schulklasse reagiert das Gehirn entzückt, wenn sie Stärke und Aggressionen zeigen können. Noch besser ist, wenn körperliche Kraft mit Beleidigungen einhergeht. ... Solche Spiele verschaffen ihrem Gehirn eine starke Wohlfühlbelohnung in Form eines Dopaminschubs." (ebd., S. 41) 



Wir Frauen machen gerne verächtliche Bemerkungen über die kleinen wilden Jungs anderer Eltern: "Der gibt hier wohl das Alpha-Männchen." Dabei wird meist verkannt, dass dieses Verhalten tatsächlich in ihrem Gehirn angelegt ist.

  • Jungen schadet es, wenn man ihnen das Kämpfen verbietet
  • sie brauchen dafür klare Regeln (z.B. Boxen und Rangeln ist erlaubt, aber kein Treten; keine Schläge unter die Gürtellinie; der Kampf hört auf, wenn der Gegner am Boden liegt ...)
  • ideal ist es, wenn ältere Jungs oder erwachsene Männer ihnen diese Regeln beibringen

Liebe Anne, du könntest mit deinen Jungs darüber sprechen, welche Form des Sich-Wehrens okay ist, und mal nachfragen, ob die Lehrerin Regeln dafür aufgestellt hat. Gut ist auch, wenn die Jungen einen Kampfsport lernen, denn da werden ihnen gesunde Grenzen für den Körpereinsatz vermittelt.

Immer fröhlich akzeptieren, dass man auf Schulhöfen keine kleinen Gandhis trifft

Eure Uta