Freitag, 28. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 202: Cheerleading mit Klobürsten


Von Frieda (zwei Söhne 5 und 3 Jahre alt) habe ich folgende Anfrage bekommen:

"Ich wünsche mir von dir einen Post über den Umgang mit "Stresssituation mit Kleinkindern". Ich meine damit einfach Alltagssituationen, die der Rede nicht weiter Wert sein sollten, mich aber manchmal doch zum Überkochen bringen. Situationen, die man auch gut mit Humor regeln könnte. Das Typische: Trödeln, Rumwedeln mit der Toilettenbürste, Holzkugeln quer durch das Wohnzimmer werfen, was kleine Jungs eben so machen."


Ich denke, man muss unterscheiden:

a) Ist es Experimentierlust oder Bewegungsdrang?

b) Ist es ein Eltern-Grenzen-Test? Schräger Blick zu Mama/Papa: Wie weit kann ich es treiben, bis sie/er explodiert?

c) Ist es ein Beziehungsbedürfnis, der Wunsch, irgendwie mit Mama zu tun zu haben, selbst wenn es wie beim Schimpfen negativ ist?



zu a) Experimentierlust oder Bewegungsdrang

Machen lassen, wenn es die eigenen Grenzen nicht verletzt oder die Statik des Hauses gefährdet.
Bei Jungen beträgt der Anteil der Muskeln an der Körpermasse 40 Prozent, bei Mädchen sind es nur 24 Prozent (Vera Birkenbihl). Besonders Jungen im Vorschul- und Grundschulalter sind programmiert auf Bewegung. Tun sie es nicht, verkümmern ihre Muskeln. Und auch für Mädchen ist Bewegung natürlich wichtig.

Viel raus gehen, Garten, Hof, Spielplatz, Wald und toben lassen. Das ist schon die halbe Miete. Der Fünfjährige kann auch auf dem Balkon oder auf der Terrasse Nägel einschlagen in einen Baumstumpf. Das kann ihn richtig lange beschäftigen. Der Kleinere bekommt einen Plastikhammer, Beistiftstummel und ein dickes Stück Styropor und darf es dem Bruder gleich tun. Diese Aktion kann reichen für einen "Latte grande" und eine gepflegte Blog-Runde.

Für drinnen Softbälle in verschiedenen Größen bereit halten. Super auch: eine Tobe-Ecke mit den alten dreiteiligen Matratzen von früher (bekommt man gelegentlich noch bei Haushaltsauflösungen). Bei uns hatte die Oma sie schön überzogen und dann ging's los. Sie dienten als Trampolin, Höhlenwände, Treppenschlitten und hochkant als Pferde.

Und schließlich anerkennen, dass es einfach anstrengend ist mit Kindern (und besonders mit zwei Jungs) in dem Alter. Als ich Kind war, kam uns gelegentlich eine Tante von mir mit ihren sieben Kindern, davon fünf Jungen, besuchen. Wir mochten die ganze Familie sehr gerne, aber jeder Besuch war wie ein Tornado, von dem wir uns tagelang erholen mussten. (Außerdem war danach mindestens eines unserer Fahrräder platt.)

Also sich nicht runterziehen mit Sätzen wie: "Ich mache alles falsch" oder "Ich habe das einfach nicht im Griff." Diese Phase hinterlässt Spuren an Möbeln und Nervenkostüm. Das ist einfach so.

Kronprinz vor fünf Jahren im Nussbaum der Großeltern

zu b) Eltern-Grenzen-Test

Wenn der Nachwuchs so schräg aus dem Augenwinkel guckt, wie wir reagieren, ist eine klare Haltung gefragt.

Stufe 1: "Nein, Cheerleading mit Klobürsten mag ich nicht. Stell die Bürste zurück in die Halterung und komm von der Toilette weg."

(wenn das nicht reicht)

Stufe 2: Klobürste wegnehmen (möglichst cool bleiben, Kind nicht abwerten, am besten gar nichts sagen, aber Aktion wortlos durchziehen)

(wenn das nicht reicht und der jüngere Bruder zeitgleich mit Holzkugeln wirft)

Stufe 3: Kind aus dem Bad bringen, von innen abschließen und wahlweise mit Nagelfeile auf die Klopapierrolle einstechen oder sich in Embryonalhaltung in den Duschvorleger einrollen und fünf Minuten tsunami-mäßig heulen.

Wenn das mehrstufige Verfahren keine Wirkung zeigt, handelt es sich wahrscheinlich um ein übergroßes Bedürfnis nach Nähe zu Mama oder Papa


zu c) Beziehungsbedürfnis

Hier könnte das Ritual der Kekspause helfen, erfunden und erfolgreich praktiziert von meiner Elterntrainerkollegin Bettina. Jeden Nachmittag gab es bei ihr und ihrem Sohn eine solche Pause, in der sie etwas Leckeres aus dem Schrank holte und mit dem Jungen ein Buch anschaute oder etwas vorlas.

Kinder lieben Rituale. Und wenn sie mit Klobürsten wirbeln, kann man sagen: "Mach bitte noch eine kurze Zeit lang etwas hygienisch Bedenkenloses, dann haben wir auch gleich unsere Kekspause."

Wenn Kinder wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass es eine solche exklusive Zeit mit Mama oder Papa gibt, sind sie meist sehr kooperativ.

Manchmal klappt es, mit beiden Kindern eine solche Pause zu machen und zusammen das gleiche Buch anzuschauen. Es kann aber sein, dass es besser funktioniert, mit jedem Kind einzeln etwas zu machen. (Gucke, dass das etwas ist, was dir auch Freude macht, sonst ist selbst die Kekspause anstrengend. Ein Kind bekommt sofort mit, wenn man sich selber quält oder langweilt.)

Anstatt ein Buch anzuschauen, könnte man auch zusammen etwas mit Bauklötzen bauen, eine geheime Leidenschaft von mir. Besonders toll finde ich die Kapla-Steine. Ich behaupte mal kühn und ohne dass ich Provision bekomme, dass Kinder kaum etwas anderes brauchen, wenn sie eine solche Kiste mit schlichten Holz-Bausteinen haben.


Liebe Frieda, ich weiß nicht, ob meine Anregungen zu deiner Lebenssituation passen. Die Zeit mit Kindern im Vorschulalter kann wahnsinnig schön, aber auch wahnsinnig anstrengend sein. Mir hat immer sehr geholfen, einmal die Woche zum Stepptanzen zu gehen. Nicht immer verständnisvoll und geduldig sein zu müssen, sondern zu stampfen und zu klappern, was die Eisen unter den Schuhen hergaben und als Mama auch mal laut sein zu dürfen. Das tat und tut so gut. Eltern brauchen eine solche Kraftquelle. Was ist es für dich?


Von einem unserer kleinen Auftritte.

In dieser Woche habe ich in der Schule einen Vortrag von Professor Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) gehört. Auf die Frage, was Eltern tun können, um ihre Kinder vor Drogenabhängigkeit zu bewahren, sagte er: "Der beste Schutz ist ein gutes Familienklima in den ersten Jahren." 

Und das braucht einfach Zeit und Zugewandtheit. Alles andere ist Selbstbetrug. 

Immer fröhlich Zeit haben für Kekspausen und die eigenen Kraftquellen

Eure Uta


PS: Mögt ihr diese Art von Post oder ist das zu viel Text? Ich freue mich über Rückmeldungen.