Montag, 9. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 187: Sog der alten Elternrolle


Bei Familie Klatzenklo läuft ja ein Experiment mit Freiheit und Vertrauen. Viele Wochen hat es mich jetzt schon entlastet, dass ich Prinzessin (12) nicht mehr im Nacken sitze und sie antreibe, das iPad wegzulegen, Hausaufgaben zu machen, Vokabeln zu lernen "oder wenigstens mal an die frische Luft zu gehen".

Schulische Abstürze gab es nicht. Und doch hatte ich am Samstag eine Krise, eine Freiheits- und Vertrauenskrise.

Ich schreibe mal auf, welche Gedanken so in mir aufstiegen, als ich den Leucht-Stern, den ich vor Orkan "Xaver" in den Keller gerettet hatte, wieder in den Gartenhaus-Giebel hängen wollte. Die Gedanken wurden übrigens nicht besser, als ich den Nagel in der Fuge zwischen den Platten verlor, es anfing zu regnen, das Kabel sich im Lavendel verhedderte und nicht mehr bis zur Steckdose am Haus reichen wollte.

Also die Gedanken:
  • Prinzessin mag zwar jetzt noch in der Schule zurechtkommen, aber irgendwann werden ihr die Grundlagen fehlen und ich bin schuld, weil ich pädagogisch so weichgespült bin.
  • Bei vielen Kindern ist heute alles so passiv: ein You-Tube-Video nach dem anderen sehen, nur konsumieren, statt selber etwas zu machen, eigene Weihnachtsgeschichten zu schreiben, Fröbel-Sterne zu falten ...
Ja, wenn ich auf einer Leiter im abklingenden "Xaver" stehe und mit klammen Fingern an einem Stern herumfummele, können schlimme Werte-Debatten in mir toben. 
  • Kann ich es verantworten, dass Prinzessin schulisch nicht zeigt, was sie eigentlich drauf hat? Vertun wir wichtige Chancen? Liegt es vielleicht einfach daran, dass ich mal wieder zu konfliktscheu bin? 
  • Seit Beginn der neuen Freiheit stieg die Küsschen-für-Mama-Quote zwar exponentiell, aber zeigt das nicht bloß, dass ich mich damit zu dem Kumpel-Typ gemacht habe, den Experten wie Bernhard Bueb und Michael Winterhoff so verabscheuen?

Eine weichgeregnete Kumpel-Mama trat ins Haus, die Brille beschlug, die Leiter-Füße hinterließen ein Dreck-Graffiti an der Wand im Flur. 

Vergangene Woche hatte Prinzessin mich gefragt, ob wir zusammen Mathe üben könnten. Klar, sagte ich, ließ die diebische Freude über die Frage nicht so durchscheinen, blieb ganz cool. Ich spitzte Bleistifte, holte zwei Kilo Schmierpapier, stellte Nüsse auf den Tisch für die Synapsenölung.

Eine Stunde haben wir gerechnet. Und es lief immer besser. Weil die Mathe-Arbeit am nächsten Tag wegen sturmfrei ausfiel, frohlockte ich: Jetzt würden wir jede Menge Zeit haben, weiter zu üben. "Nur eine halbe Stunde jeden Tag und sie könnte es schaffen, eine richtig gute Note zu schreiben.

Uta hatte Lunte gerochen und geriet in den Sog der alten Elternrolle.

"Ich kann dir anbieten, dass wir heute wieder eine halbe Stunde Mathe üben", sagte ich am Freitag.

"Gut, können wir machen", sagte Prinzessin und machte sich einen schönen Freitag.

"Ich kann dir anbieten, dass wir am Wochenende zusammen für die Arbeiten nächste Woche lernen. Du musst einfach nur auf mich zukommen", sagte ich am Samstag.

"Gut, können wir machen", sagte Prinzessin und machte sich einen schönen Samstag.

Voller Frust, dass die neue Freiheit vielleicht doch nicht funktioniert, bin ich dann lieber gegangen, um den Stern aufzuhängen. Siehe oben.


Jetzt leuchtet er wieder.

Erst am Sonntagmorgen kam ich wieder zur Besinnung. In Jesper Juuls Pubertäts-Buch las ich, was der Däne zu den Kämpfen sagt, die so viele Eltern fechten wegen der Schule und der Medien. Er beschreibt, wie wir uns abstrampeln, um unsere Kinder zu unterstützen. Und wie wir, die Eltern und die Kinder, dabei einander verfehlen.

"Man fühlt sich als Eltern nicht wertvoll, ist aber auch nicht wertvoll, und als Kind fühlt man sich auch irgendwie falsch oder alleine." (Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht, München 2010, S. 178)


Jetzt fühlte ich mich wieder wertvoll und sagte zu Prinzessin
  • dass er wieder in mir angesprungen sei, dieser Ehrgeiz, den ich als Schülerin hatte, immer und überall überdurchschnittlich zu sein
  • dass ich endlich kapiert habe, dass sie anders ist als ich und dass das seelisch auch viel gesünder sei
  • dass ich verstehe, dass sie die Wochenenden wirklich frei haben wolle
  • dass ich als Mutter aber zur Verfügung stehen würde, wenn sie meine Unterstützung möchte

Wir waren beide ganz erleichtert.

Immer fröhlich forschen, was eigene Erwartungen sind und was der andere wirklich braucht

Eure Uta