Dienstag, 3. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 185: Welche Schule für mein Kind?


Als ich beim Nikolaus-Markt in unserem Gymnasium die vielen Eltern sah, die sich die Schule anguckten, weil sie ihr Kind im Januar vielleicht dort anmelden möchten, beschloss ich, etwas über Schul-Wahl zu schreiben.

Wie entscheide ich mich für die richtige Schule für mein Kind?

Jetzt merke ich, dass das eine große Frage ist. Da kann einen in diesen Tagen ganz schön der Nikolaus-Stiefel drücken.

Wegen eines Wechsels haben wir uns schon sechsmal für oder gegen eine Schule entscheiden müssen. Das sollte mir eine gewisse Kompetenz in dieser Frage geben.

Aber ich bemühe erst einmal die Wissenschaft. Die Hettie-Studie* ist ja in aller Munde. Der Neuseeländer John Hettie hat in 15jähriger Fleißarbeit tausende internationale Studien** ausgewertet, die sich unter verschiedenen Aspekten mit der Frage befassen: Was sind die entscheidenden Faktoren für den Lernerfolg?

Das Ergebnis: Der entscheidende Faktor ist der Lehrer. Der Lehrer und nochmals der Lehrer. Seine fachliche Kompetenz, seine Persönlichkeit. Dann kommt lange nichts.

Der Meta-Studie zufolge spielen so gut wie keine Rolle
  • die Klassengröße
  • die Art der Schule, ob privat oder staatlich
  • die finanzielle Ausstattung der Schule
  • ob man jahrgangsübergreifend lernt oder nicht
  • ob es offenen Unterricht (im Gegensatz zur klassischen Frontal-Methode) gibt oder nicht

Hetties Forschungen haben gezeigt, dass die Leistungs-Unterschiede zwischen zwei Parallelklassen ein und derselben Schule größer sein können (bis zu einer Klassenstufe) als zwischen gleichaltrigen Schülern verschiedener Schulen. Der einzelne Lehrer ist also entscheidend, nicht die Schule. 

Und was macht laut Hettie den guten Lehrer aus? 
  • stringente Klassenführung
  • Mischung aus Strenge und Humor
  • Klarheit (dass die Schüler verstehen, was er oder sie von ihnen in der Stunde erwartet)
  • breites Repertoire an Unterrichtsstilen (sowohl frontalen als auch offenen Unterricht beherrschen) 
  • kleine Tests zwischendurch, um prüfen zu können, ob die Methoden bei den Schülern greifen
  • sich und seine Arbeit selber in Frage stellen können; den Unterricht aus der Sicht des Schülers reflektieren können
  • ausbleibende Lernerfolge zunächst sich selber zuschreiben, nicht dem Schüler, dem Elternhaus, dem Medienkonsum ...
  • Schüler systematisch rückmelden lassen, ob sie den Stoff verstehen, sich konzentrieren können ... 
  • Warmherzigkeit; am einzelnen Kind und seiner Weiterentwicklung interessiert sein
  • Begeisterung fürs Fach

Aber wie finden wir als Eltern solche Lehrer für unser Kind?

Wir können uns ja nur die Schule aussuchen. Und selbst wenn wir wissen sollten, dass ein guter Lehrer eine neue erste oder fünfte Klasse übernimmt, wird kein Schulleiter bereit sein, uns zu garantieren, dass unser Kind genau in diese Klasse kommt. 

Jetzt starre ich schon eine ganze Weile auf das Zicklein, das im Moos neben der Adventskerze No. 1 weidet, und weiß nicht, welchen Rat ich euch geben soll.




Immer fröhlich alle Tage der offenen Tür an den Schulen ignorieren und beim Bleigießen an Sylvester eine Entscheidung treffen?

Jenseits von Hettie und seinen Auswertungen fallen mir als Mutter noch mehr Faktoren ein:
  • besonders für Grundschüler ist es gut, wenn die Schule so nah ist, dass sie hinlaufen können (gibt es wenig Verkehr, wenig Straßen, die zu überqueren sind, wunderbare Pfützen, in die man hineinspringen kann, Sträucher mit Knallerbsen, Mauern zum Balancieren ...?)
  • auch Jugendliche sollten (wenn man denn die Wahl hat) nicht stundenlang mit Bus oder Bahnen fahren müssen. In der heute fast überall verdichteten Schulzeit bis zu den Abschlüssen ist die Freizeit so knapp, dass sie nicht auf der Strecke bleiben sollte.
  • Was höre ich über die Atmosphäre im Kollegium? Ist der Krankenstand hoch? Finden gute Lehrer auch gute Bedingungen vor oder werden sie zurechtgestutzt?
  • Hängt in den Fluren Kinder-Kunst oder sieht man Null-acht-fünfzehn-Schablonen-Werke?

Der Hirnforscher Manfred Spitzer sagte mal in einem Vortrag, dass es kein Bauchgefühl gebe. In der Körpermitte sei weder ein emotionales Schaltzentrum noch eine einzige Hirnzelle zu finden. Und doch wissen wir alle, was gemeint ist, wenn wir von "Bauchgefühl" sprechen.

Und auf dieses sollten wir hören, wenn wir eine Schule für unser Kind suchen. Wir sollten uns nicht blenden lassen von Hochglanzflyern, von klangvollen Sprach-Angeboten, hochgerüsteten Computer-Räumen oder Hüpfburgen an Tagen der offenen Türen, sondern mit den Menschen reden, die dort arbeiten, die Atmosphäre schnuppern und auf unser Bauchgefühl achten.

Lasst euch wegen einer Schulentscheidung nicht verrückt machen und trefft fröhlich eine Wahl, die man - wie ich euch das nächste Mal erzählen werde - auch wieder ändern kann

Uta

* Meinen Informationen über die Hettie-Studie liegt der Artikel "Ich bin superwichtig! Kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist: Der Lehrer, die Lehrerin ..." von Martin Spiewak auf ZEIT-online zugrunde.

**ausschließlich englischsprachige Studien; nicht alles lässt sich eins zu eins auf das deutsche Schulsystem übertragen