Montag, 27. August 2012

Glückliche Familie Nr. 74: Gespräch mit Flüssigkeit


Von einer Freundin hörte ich folgenden Spruch: In der Pubertät verpuppt sich das Kind wie eine Raupe  und wird danach ein Schmetterling. Und in diesem Kokon, was ist da drin? - Nur Flüssigkeit.

Ein vernünftiges Gespräch führen mit Sohn oder Tochter in der Pubertät? Fehlanzeige.
Ein aktiver Verstand? Nein, nur Flüssigkeit.

Man sieht auch Karikaturen: ein jugendlicher Kopf und ein großes Schild dran: "Wegen Umbau geschlossen."

Wenn wir schon bei Sprüchen sind. Mir gefällt der von meiner Freundin Isa viel besser:



"Pubertät ist, wenn sich das Kind weiterentwickelt 

und die Eltern nicht."


Das Kind entfernt sich von den Eltern, um erwachsen zu werden. Die alte Geborgenheit wird aufgegeben, um neue bei Gleichaltrigen zu finden. Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung.

Es war am vergangenen Samstag um 22 Uhr 15, als Kronprinz (14) fragte, ob er noch zu einem Freund radeln dürfe. Es sei so gegen Mitternacht zurück.

22 Uhr 15 in unserer Straße


Mein Mann und ich saßen auf dem Sofa und hatten gedanklich die Zugbrücke zu unserer familiären Festung hochgezogen.

"Jetzt noch? Weißt du, wie spät es ist?"

 Ja, das sei doch kein Problem und er sei immerhin fast 15.

"Ja, schon, aber das muss doch nicht sein. Ihr könnt nächstes Wochenende zusammen übernachten."

"Ha, in deinem Blog lässt du dich immer über 'overprotecting' Mamas aus, aber selber ...". 

Kronprinz stand breitbeinig in der Wohnzimmertür. Seine braunen Augen blitzten mich kampflustig an.

Von wegen nur Flüssigkeit in der Birne.

"Viele Eltern da draußen sind 'overprotecting'", sagte ich, "ich bin nur 'protecting' und das ist der Job von Eltern. Wir wollen, dass du überlebst." 

"Aber ich fahre mit dem Fahrrad. Was soll denn da passieren?"

"Wahrscheinlich nichts. Aber du könntest einen Platten haben und musst das Fahrrad dann alleine durch die Nacht schieben, da habe ich Angst um dich und kann nicht schlafen."

"Ja, es könnte einem auch ein Meteroit auf den Kopf fallen."

Dass solche Gespräche bei uns bisher glimpflich verlaufen, verdanke ich Jesper Juuls Werk "Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht". Von Zeit zu Zeit brauche ich ein paar Seiten daraus. Das ist, als würde ich am Tropf liegen und eine Nährlösung aus Geduld, Verständnis, Liebe und Fairness würde in meine Adern tropfen. 

Auf den Seiten 28 und 29 findet sich ein beispielhafter Dialog zwischen Eltern und ihrem schulmüden Sohn. Ich weiß noch, dass ich ihn zum ersten Mal im Freibad auf einer Liege las und mich inmitten des Geschreis von der Wasserrutsche ein tiefer Frieden erfüllte. 
Welche Wellen die Pubertät bei uns auch schlagen mochte, ich würde zuhören und diese guten Fragen stellen. 

Mir fällt häufig auf, dass Eltern zum einen nicht richtig zuhören und zum anderen unnötig konfrontativ mit ihren Kindern sprechen. Dabei sind Pubertierende nicht dumm wie Raupen, aber so dünnhäutig wie ein Schmetterling. Eine große Hilfe ist es, als Mutter oder Vater Ich-Botschaften zu verwenden.


Nicht:

"Tom, du räumst jetzt die Spülmaschine aus. Du hast die ganze Woche noch nichts getan." (Jeder, der sich in der Pubertät befindet, hört nicht die Aufgabe, sondern nur die Abwertung).

Besser:

"Ich habe diese Woche viele Termine und brauche dringend Hilfe im Haushalt. Wer könnte welche Aufgaben übernehmen?" (oder bei nur einem Kind) "Welche Aufgabe könntest du übernehmen?" (besprechen, Gesprächsergebnis aufschreiben und zur Erinnerung an die Zimmertür hängen)



Bei meinem nächtlichen Gespräch mit Kronprinz stellte sich heraus, dass es ihm nicht wichtig war, den Freund zu treffen, sondern sich draußen auszutoben (in der Pubertät verschiebt sich der Schlaf-Wach-Rhythmus um eineinhalb Stunden nach hinten, aus: Largo/Czernin: Jugendjahre).

Schließlich schlug er vor, mit dem Kick-Roller auf unserer Straße Slalom auf der gestrichelten Mittellinie zu fahren. Nach einer Viertelstunde kam er davon zurück und ich konnte selig schlafen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta