Mittwoch, 8. August 2012

Glückliche Familie Nr. 69: Die Vereinbarkeits-Lüge


Gestern las ich in der Zeitung einen Artikel über eine Frau, die zusammen mit ihrem Mann eine Immobilienfirma besitzt. Beide sind voll berufstätig. Er kümmert sich um "Strategie und Marketing", sie um das "operative Geschäft". Das Paar lebt mit seinen drei Söhnen vor den Toren Hamburgs. Die beiden Jüngsten, Zwillinge, reiten gerne und tun dies auf dem hauseigenen Parcours. Als die Kinder ganz klein waren, beschäftigte die Familie ein Au-Pair-Mädchen aus Guatemala. "Drei Kinder kommen innerhalb von zwei Jahren auf die Welt", heißt es in dem Artikel. "Eine Pause vom Beruf hat Kirsten D. nie eingelegt. Sie schafft seit Jahren den Spagat zwischen Karriere und Familie."

Ich finde es total wichtig, dass wir Frauen uns nicht gegenseitig niedermachen. Karrierefrau gegen Hausmütterchen - pah, völlig überholt dieser Konflikt. Stutenbissigkeit war nie mein Ding. (Bleck die Zähne!)

Wir sollten zulassen, dass jede von uns anders tickt. Dafür haben wir schließlich die Postmoderne.

Und Neid? Neidisch auf eine Frau, die sich mit ihrem Jil-Sander-Blazer abends erschöpft, aber glücklich an das Pony-Gatter lehnt und ihren Immenhof-Buben zuwinkt?

Ich doch nicht.

Das Blut der Himbeere spritzt an den Rand der Müsli-Schale. So heftig habe ich meinen Löffel in die Schüssel gestoßen.



Jetzt mal ehrlich, bin ich wirklich neidisch?

Ein bisschen. Schließlich sieht die Karriere-Kirsten auf dem Foto gut aus, nett, sogar warmherzig, könnte eine Freundin sein. Sie lehnt sich in ihrem schicken Büro in einen sandfarbenen Designsessel. Und sie hat bei all dem auch noch ein Kind mehr als ich. Grrrrrrrrrrrrrrrrr.

Übrigens musste ich vor fünf Zeilen das Schreiben unterbrechen, weil unser Kater sein Frühstück in den Flur erbrochen hatte.
Jetzt müsst ihr noch einmal warten, weil ich Wäsche aufhängen muss. Die wird nämlich- wie ich neulich las - zum Bakterien-Treffpunkt, wenn ich sie noch länger nass in der Waschmaschine liegen lasse.

Hat Kirsten D. in ihrem sandfarbenen Sessel auch solche Unterbrechungen?

Nein, hat sie nicht, weil sie den Haushalt und die Kinderbetreuung, weil sie das Kümmern und Sorgen, das Präsentsein und Einspringen deligiert hat an andere Menschen.

Eine Familie mit zwei voll berufstätigen Eltern, drei Kindern, eigenem Haus und Ponys braucht
  • einen gut funktionieren Hort oder eine Ganztagsschule mit warmem Mittagstisch
  • eine Haushälterin oder mindestens eine Putzhilfe, die mehrmals pro Woche kommt
  • am besten noch ein oder zwei Omas oder eine wohlmeinende Nachbarin
  • auf jeden Fall jemanden, der die Kinder zum Fußball-Training oder zum Kieferorthopäden fahren kann, wenn es aus Kübeln gießt
  • jemanden, der von jetzt auf gleich bei einem Kind bleiben kann, wenn es krank ist
  • jemanden, der wartet, bis der Tierarzt kommt, weil eines der Ponys eine Kolik hat
  • jemanden, der wartet, bis der Handwerker vorfährt, weil die Heizung nicht anspringt, ein Abfluss  verstopft ist, das Dachfenster nicht schließt
  • jemanden, der bei den Hausaufgaben helfen kann
  • einen Nachhilfelehrer
  • jemanden, der ein Fahrrad reparieren oder es zur Reparatur bringen kann
  • einen Gärtner für das Gröbste
  • andere Mütter und Väter, die ehrenamtlich in Schulkantinen, Sportvereinen, als Schülerlotsen oder Chauffeur eines Kindertaxis arbeiten

Von all dem in dem Artikel kein Wort.

Erwähnt wurde nur
  • das guatemaltekische Aupair-Mädchen (so jemand bleibt nur ein Jahr und hat den halben Tag Sprachunterricht) 

Es ist diese Verschleierung von Arbeit, die mich auf die Himbeere einstechen ließ. 

Es ist die Vereinbarkeits-Lüge, die mich auf die Palme bringt. 

Lasst uns doch ehrlich sagen, wie viel Arbeit es macht, wenn Kinder gut betreut werden sollen und was es kostet, wenn man es deligiert.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta