Dienstag, 16. September 2014

Glückliche Familie Nr. 241: Nicht mehr bei der Eltern-Polizei


Vor mehr als einem Jahr habe ich darüber berichtet, dass wir Prinzessin (jetzt 13) nicht mehr kontrollieren bei den Hausaufgaben und beim Medienkonsum (hier und hier).

Die neue Freiheit ist Gewohnheit geworden, schöne Gewohnheit. Wenn Prinzessin Hilfe braucht, fragt sie uns gelegentlich. Und weil sie es dann ist, die die Initiative ergriffen hat, ist die Stimmung gleich ganz anders.

Schulisch hat sich kaum etwas verändert. Ohne unsere Kontrolle läuft es genauso wie vorher mit Kontrolle. Nur dass wir es zu Hause viel schöner haben.

Ich finde es wunderbar, nicht mehr bei der Eltern-Polizei zu sein. Ich kenne so viele Mütter und Väter, deren Verhalten gegenüber ihren Schulkindern durchtränkt ist von der Haltung: "Ohne mich läuft das nicht für Marie/Lukas/Carl/Leopold ... in der Schule." - "Wenn ich nicht den Turnbeutel packe, fehlt wieder die Hälfte." - "Wenn ich nicht ans Vokabel-Lernen erinnern würde, würde mein Kind in Englisch völlig absacken." "Wenn ich nicht ..." Um wen geht es hier eigentlich?

Auf Elternabenden selbst von Teenagern erlebt man Eltern, deren Wortbeiträge verraten, dass sie genau im Bilde sind, welches Buch in Englisch oder Geschichte gerade verwendet wird.
Je gebildeter die Eltern sind, desto schlimmer, weil sie fachlich dann erst abgehängt werden, wenn wir uns dem Abitur nähern.

Oder es endet früher, wenn man gesunde Kinder hat, die irgendwann bockig werden wegen ihrer  übergriffigen Eltern. "Da habe ich für Tim alles herausgesucht über die Pharaonen und die Grabbeilagen und was ist der Dank dafür? Pampig wurde er, weil er meine Schrift nicht lesen konnte."

Das mit dem Helfen ist ja verständlich. Laut einer Bertelsmann-Umfrage helfen 80 Prozent der Eltern in Deutschland ihren Kindern beim Lernen für die Schule. Jeder hat Angst, dass das eigene Kind abhängt würde, wenn man nicht hilft. Weil ja alle helfen ...

Gegen helfen spricht ja auch nichts. Wenn man sein Kind irgendwie unterstützen kann, ist das doch schön. Das machen wir - auf Anfrage - auch. Ich möchte aber nicht wissen, wie viel Stress und Streit es in Millionen Familien wegen der Schule gibt.

Jemand Kluges hat mal gesagt, es gibt nur zwei Gefühle: Liebe und Angst.


Pastorales Schmuckbild. 


Wenn also die Angst (vor der nächsten Prüfung, vor schlechten Noten ...) alles bestimmt, kann es gleichzeitig keine Liebe geben.

Amen.

Ehe das Pastorale mit mir durchgeht, schreibe ich mal auf, was mir geholfen hat, bei Schulsachen loszulassen:

  • Bei Kindern über 12 Jahren nur helfen, wenn sie darum bitten.
  • Fragen, welche Form von Unterstützung sie möchten.
  • Jüngeren Schulkindern helfen, den richtigen Ort, die richtige Zeit und Dauer für Hausaufgaben zu finden.
  • Wenn man hilft, dann den Humor dabei nicht verlieren. Wenn es zu verbissen wird, unbedingt Quatsch machen zwischendurch (Stift quer im Mund und singen, ablästern über die Leute auf den Schulbuchfotos, englische Texte in katastrophaler Ausprache lesen, philosophieren über den tieferen Unsinn mathematischer Textaufgaben ... )  
  • Lern-Ende und Belohnung vereinbaren (ich meine jetzt keine Rolex und keinen Zirkusbesuch, sondern einen Keks, eine Runde tanzen, eine Massage, eine halbe Stunde Chatten)
  • Wenn mehrere Klassenarbeiten bevorstehen, macht Prinzessin einen Wochenplan, in dem sie sich einträgt, an welchem Tag sie für welches Fach lernen will. Oft besteht die einzige Unterstützung, nach der sie fragt, darin: "Machst du mit mir einen Wochenplan?" Ich bin nämlich bekannt dafür, dass ich freie Zeit, Erholung und Spaß großzügig schraffiere. 
  • In der Grundschulzeit vom Kronprinzen (heute 16) habe ich mir großen Stress gemacht, weil er kaum stillsitzen konnte und sich das Rechnen von zwei Mathepäckchen über Stunden hinziehen konnte. Im Rückblick würde ich sagen, dass ich das viel zu wichtig genommen habe und der Bursche genau wusste, dass er mit diesem Thema meine Aufmerksamkeit bekommt, leider negative Aufmerksamkeit. 
  • Daraus habe ich gelernt: Wenn ein Grundschulkind seine Hausaufgaben nachmittags zu Hause macht und es läuft nicht, muss ich als Eltern eine Zeit dafür festlegen und ein klares Ende setzen. 
  • Der Lerneffekt von Hausaufgaben in der Grundschule ist höchst umstritten. Die große Studie über Unterrichtsqualität des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie hat gezeigt, dass Hausaufgaben in der Grundschule wenig bringen und erst in höheren Klassen den Lernerfolg fördern. (Martin Spiewak: "Hettie-Studie: Ich bin superwichtig!",  ZEIT-online, 14.1.2013). Also ruhig Blut in der Grundschul-Zeit. 
  • Mir hat geholfen, mit der Lehrerin von Kronprinz zu sprechen und ihr unseren Stress zu schildern. Sie war eine sehr erfahrene und mütterliche Lehrerin, die ihre letzte Klasse vor der Pensionierung hatte, und sie meinte: "Sie sorgen dafür, dass er sich eine halbe Stunde hinsetzt und seine Aufgaben macht. Und was er nicht schafft, schafft er nicht. Dann schreiben sie einfach eine Notiz ins Heft: 'heute ging einfach nicht mehr, das Wetter war zu schön, die Freunde klingelten, es hatte plötzlich geschneit, was auch immer." Das hat uns total entlastet. Danach ging es besser. 

Immer fröhlich darauf achten, dass man als Mama oder Papa kein ängstlicher Lern-Polizist wird.

Eure Uta

PS: Ich möchte euch dringend in der aktuellen ZEIT den Artikel "Wir sind keine Sorgenkinder! Schulstress, Bewegungsmangel, Computersucht - und dann noch überforderte Eltern: Ist es wirklich so furchtbar in Deutschland aufzuwachsen? Keineswegs. Den Kindern geht es so gut wie nie zuvor" von Martin Spiewak ans Herz legen. Ganz, ganz spannend, wie wir Deutschen die Kinder und die Eltern schlecht reden.

Meine Lieblingsstelle: "Die Flut der Erziehungsratgeber wird stets als Ausdruck einer Verunsicherung der Eltern interpretiert. Man kann aber auch sagen: Eltern halten Erziehung für wichtig. Sie sind lernbereit. Es gibt seit Jahren eine Flut von Kochbüchern. Niemand würde sie als Zeichen für den Verfall der Kochkünste anführen. "