Mich hat wieder eine Frage erreicht und Britta hat mir erlaubt, unseren Austausch zu posten.
Liebe Uta,
ich bin Mama von zwei
Kindern (Oskar: 27 Monate, Lisann: 9 Wochen) und habe eine Frage an dich.
Mein Sohn kann für sein
Alter sehr gut sprechen, aber was er auch gut kann, ist in den höchsten
Tönen quieken, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist so laut, dass schon
einmal der Nachbar geklingelt hat. Er macht das nicht erst, seit seine
Schwester da ist, sondern auch schon vorher. Er quiekt ohne ersichtlichen
Grund. Dieses Quieken geht ganz schön auf die Nerven. Seit einiger Zeit bringen
wir ihn in sein Zimmer und sagen, dass er dort quieken darf (denn er muss
ja irgendwohin mit seinem Gefühl). Aber mir gefällt diese Lösung, die wir uns
von Freunden abgeguckt haben, gar nicht, denn es wirkt für mich eher wie
eine Strafe.
Meine Frage ist nun, wie reagiert man kompetent darauf?
Meine Frage ist nun, wie reagiert man kompetent darauf?
Liebe Britta,
wie wäre
es, wenn du Tagebuch führen und mal aufschreiben würdest, in welchen
Situationen er das macht? Wie ist sein Gesichtsausdruck dabei? Hat er Spaß oder
ist das ein verzweifeltes Quieken? Macht er das für sich selber (oh,toll, was
ich für Geräusche machen kann!) oder geht es ihm um eure Reaktion? Wie reagiert
er, wenn ihr gar nicht reagiert (ich weiß, das ist viel verlangt, weil Quieken
wirklich Ohren-Folter ist). Vielleicht kannst du das beobachten und mir noch einmal schreiben.
Liebe Uta
danke für deine schnelle
Antwort. Ich habe heute angefangen, das Tagebuch zu schreiben, habe aber auch
am Wochenende schon einmal beobachtet, wann und wie Oskar das macht. Wir haben
versucht, den ganzen Samstag nicht zu reagieren, weil er oft in Situationen
quiekte, wo er einfach seinen Willen nicht bekam. Er quiekte dann weiter, aber
irgendwann war Ruhe.
Gestern waren wir wandern.
Als sich der Weg gabelte, wollte Oskar einen anderen Weg gehen als wir. Wir
dachten uns "warum eigentlich nicht" und gingen den Weg, der aber
nach wenigen Metern endete (das wussten wir nicht). Also haben wir Oskar das
erklärt und er ging problemlos mit uns zurück. Aber auf dem ursprünglichen Weg
angekommen, quiekte er los. Und das war nun ein verzweifeltes Quieken. Wir
wussten aber nicht weshalb.
Heute morgen quiekte er
schon viermal, dabei ist es erst 10:30 Uhr. Zweimal waren es Situationen, in
denen ich mit seiner Schwester zu tun hatte (stillen und sie beruhigen). Ich
denke, da will er Aufmerksamkeit, er ist schließlich auch erst zwei Jahre alt.
Einmal quiekte er, um meine Reaktion zu testen am Frühstückstisch, da habe ich
auch gar nicht reagiert. Das letzte Mal quiekte er, weil ich ihm verbot, gegen
den Laptop zu treten, der noch auf dem Sofa stand. Ich erklärte ihm, dass er
kaputt ginge und wir nicht mehr mit der Oma skypen könnten. Er trat nochmals
dagegen und ich nahm den Laptop weg. Da kam das Quieken. Ich bin leider laut
geworden und habe sehr geschimpft. Ich fühle mich nach dem Schimpfen immer so
schlecht. Ich weiß grad einfach nicht weiter. Oder besser wir wissen nicht
weiter.
Oft erlebt Oskar uns wegen
des Quiekens schimpfend und wütend. Ich habe Angst, dass er später irgendetwas
davon zurück behält. Ich will nicht, dass er mal eine Therapie machen muss,
weil seine Eltern nicht mit dem Quieken klar kamen.
Im Übrigen sagt er häufig
"Mama, ich höre jetzt damit auf", um nahezu direkt hinten dran zu
hängen "Mama, ich hör jetzt damit doch nicht auf".
Das klingt jetzt alles so
negativ. Oskar ist ein ganz lieber und wunderbarer Junge. Einzig das Quieken
nervt. Wir sagen ihm auch täglich, dass wir ihn lieben. So wie er ist.
Puh, das war jetzt viel.
Ich danke dir sehr.
Herzliche Grüße
Britta
Liebe
Britta,
ich lese
heraus, dass du sehr hin und her gerissen bist und Angst hast, mit Oskar etwas
falsch zu machen. Das finde ich sehr rührend, aber für Oskar ist deine Reaktion
nicht Fisch und nicht Fleisch. Deshalb hier meine Ideen:
- Nimm eine klare Haltung ein! Das
Quieken muss aufhören, basta!
- Höre auf, dich dabei schlecht zu
fühlen.
- Du kannst sagen: "Oskar, das
Quieken hört sofort auf, stopp!"
- Wenn er weiter macht, Oskar
möglichst beiläufig in sein Zimmer bringen,
- aber innehalten, sobald das
Geräusch aufhört: „Ach, das Quieken ist weg, dann kannst du ja doch bei
uns bleiben.“ Alles andere wäre tatsächlich eine Strafe und kontraproduktiv.
- Wichtig ist, dass er mit dem Quieken
so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erreicht.
- Dafür bekommt er gezielt
Aufmerksamkeit, wenn er nicht
quiekt (kuscheln, kitzeln, auf den Schoß nehmen, an die Hand nehmen,
zusammen etwas angucken ...)
Das
durchzuziehen, wird eine Zeit lang sehr anstrengend sein, zumal du dich ja auch
noch um die Kleine kümmern musst. Sieh zu, dass dich irgendjemand entlastet, du
mal schlafen, in die Sauna, mit einer Freundin einen Kaffee trinken kannst.
Achte gut auf dich.
Außerdem
braucht Oskar exklusive Zeit mit dir. Gibt es eine Oma oder Nachbarin, die mal
mit der Kleinen spazieren gehen kann, während du dir eine schöne Zeit nur mit Oskar
machst?
Das muss keine große Sache
sein. Man kann ja nicht jede Woche in den Zirkus gehen. Auch hier eher
beiläufig. Viel Körperkontakt, auf dem Schoß ein Buch angucken, ihn bei der
Arbeit einbeziehen und sagen, wie froh man ist, dass er schon helfen kann.
Für die Person, die am
meisten Zeit mit Oskar verbringt, ist eine Haltung wichtig, die Ausdruck in
folgenden Sätzen findet:
„Für uns beide ist es ganz
schön anstrengend mit einem so kleinen Wurm, oder?“
„Wie froh bin ich, dass du
schon laufen (reden, hüpfen, alleine spielen, Türme bauen, helfen ...) kannst.“
„Wir beide haben heute aber
wirklich viel Arbeit.“
Oskar wird dieses Gefühl
der Grundsolidarität mit Mama (oder Papa) sehr gut tun.
Aber nochmal zum Quieken:
Wenn du dich sehr ärgerst
und mit den Nerven fertig bist, ist es wichtig, dass du Oskar gegenüber
Ich-Botschaften verwendest: "Ich halte das nicht aus." -
"Davon bekomme ich schlimme Ohrenschmerzen."
"Das Quieken macht mich ganz aggressiv."
Ihr könnt
mit dem Fuß aufstampfen und brüllen: "Ich halte das nicht mehr
aus!!!" Das wird Oskar nicht schaden. Ihr solltet ihn nur nicht
niedermachen mit verletzenden Du-Botschaften wie "du gehst mir
so auf die Nerven", "du bist ein böser Junge, wenn du
quiekst", aber das brauche ich nicht zu schreiben. Das machst du sicher
nicht.
Die
ambivalente Haltung, die ihr jetzt zeigt, ist schlechter für Oskar als das
Schimpfen. Er merkt, dass seine Eltern herumeiern, und wird euch so lange mit
dem Quieken provozieren, bis ihr eine klare Haltung einnehmt.
Ihr seid
Menschen aus Fleisch und Blut und jeden Menschen bringen hochfrequente Töne an den
Rand des Wahnsinns. Oskar will wissen, wer ihr seid. Ihr solltet nicht die
Rolle der immer sanften Eltern spielen, die mal für sein Quieken eine
psychologische Entschuldigung finden, aber dann nicht mehr können, ausrasten
und ihn runterputzen.
Der
dänische Familientherapeut Jesper Juul vertritt die Theorie, dass Kinder mit
ihrem Verhalten ihren Eltern immer eine gut gemeinte Botschaft senden wollen.
Unbewusst natürlich.
Mein
Eindruck ist, dass Oskar sich erstens mit dem Quieken Aufmerksamkeit holen will und zweitens euch dazu bringen möchte, Position zu beziehen und ihm gegenüber die
Führung in der Familie zu übernehmen.
Du schreibst
mehrfach, dass du Oskar dies oder jenes erklärt hast. Kindern alles zu erklären
und sie damit zur Einsicht zu bringen, war lange Zeit populär, ist aber nicht
das, was Kinder - besonders in Oskars Alter - brauchen. Einen Zweijährigen
überfordern und verunsichern die Erklärungen der Erwachsenen. Er muss
nicht verstehen, warum man diesen oder jenen Weg im Wald geht.
Oskar braucht die Sicherheit, dass Mama und Papa wissen, wo es lang geht.
Fertig. Mit dieser Sicherheit kann er friedlich den Wald erkunden, auf
umgefallene Baumstämme krabbeln, Zapfen sammeln ...
Und dass
er gegen den Laptop tritt, willst du nicht. Fertig. Mehr ist dazu nicht zu
sagen. Du bist der Chef. Und Oskar will einen Chef.
In ein
oder zwei Jahren kommt das Alter der vielen Fragen. Und wenn er etwas wissen
will, kannst du es ihm erklären, aber nicht ungefragt und nicht als Mittel der
Durchsetzung.
War das
jetzt konfus? Ich will es noch einmal bündeln:
- klares Stopp für das Quieken, ihn ohne viel Aufhebens in sein Zimmer führen oder sich selbst entfernen, aber wirklich nur so lange das Quieken anhält, nicht als Strafe
- zwischendurch Zeit exklusiv mit ihm verbringen, viel Körperkontakt
- Bündnis schmieden: Mama (Papa) und ihr (sein) großer Helfer Oskar bei der Arbeit mit dem Baby und im Haushalt
- klare Führung; lieber handeln, statt viele Worte zu machen; lieber bestimmen und Sicherheit geben, statt mit Erklärungen zu verunsichern
Auf jeden
Fall wünsche ich dir, dass du nicht zu schnell denkst, irgendetwas falsch zu
machen. Die Phase mit zwei so kleinen Kindern ist einfach mega-anstrengend. Und
dass du dir so viele Gedanken machst, darin steckt schon so viel Liebe ...
Ganz
herzliche Grüße
Uta
PS:
Vielleicht magst du mir in ein paar Wochen eine Rückmeldung geben, ob es
geholfen hat. Das würde mich sehr freuen.