Montag, 18. März 2013

Glückliche Familie Nr. 131: Tiefstes Vertrauen ins Kind


Heute wollte ich in die Koreastraße fahren, um das Hongkong-Objektiv abzuholen.

Aber hat schon mal jemand eine Rikscha mit Schneeketten gesehen?

Heute morgen, halb zehn Uhr in Hamburg, kein "Knoppers", sondern Schnee.

Gulliver will rein.


Das Treiben der Flocken da draußen schenkt mir die Zeit, über schlechte Noten zu schreiben.

Es gibt Lehrer, die verteilen schon in der Grundschule 'vieren' und 'fünfen'.

Wollt ihr meine Meinung dazu hören?

Hier versagt nicht das Kind, hier versagt der Lehrer, hier versagt das System.

Einen guten Lehrer erkenne ich daran, dass er gute Schüler hervorbringt. Und wenn ein Kind in einem Fach total abbaut, muss ich mich als Lehrer fragen 'warum'? Ich kann nicht den schwarzen Peter an das Kind oder an die Eltern weiter reichen. Ich muss mich fragen: "Was ist mit dem Kind los?" oder "Was stimmt nicht mit meinen Methoden?"

Als einmal der Reformpädagoge und ehemalige Leiter der Bodenseeschule* Alfred Hinz zu Besuch in Hamburg war, habe ich ihn zusammen mit einer Freundin interviewt. Uns interessierten seine Methoden und seine Einstellung zum Kind.

O-Ton Alfred Hinz:

"Ich beobachte jedes Kind genau: Warum drückt es sich sechs Wochen lang vor Mathe? Wenn es in dieser Zeit aber eine tolle Arbeit über einen toten Igel gemacht hat, ist das ein Äquivalent für mich. Danach gehe ich zu dem Kind und schließe einen Vertrag mit ihm: 'Nach dem Igel ist Mathe dran.' Das Kind wird zwei Wochen Mathe machen und die sechs Wochen nachholen.
Sie müssen dieses tiefste Vertrauen in das Kind haben."

Ich will hier kein Fass für Lehrer-Schelte aufmachen (bitte schreibt mir keine Kommentare in diese Richtung!).

Meistens haben Lehrer weder die Ausbildung noch die Bedingungen, um ihren Schülern dieses "tiefste Vertrauen" zu schenken.

Lehrer werden heute von allen Seiten beschossen.
  • Da sind die Eltern, die immer anspruchsvoller werden und die widersprüchlichsten Erwartungen an Lehrer stellen. Die einen wollen den Lehrer alter Schule, die anderen erwarten den Reformpädagogen par excellence. Die einen kreisen ständig über ihrem Kind, wieder andere kümmern sich gar nicht und erwarten, dass die Lehrerin sich sogar um Schulbrot und vollständiges Federmäppchen sorgt.
  • Auch die Schulbehörde stellt immer höhere Ansprüche an die Lehrer. Statt sie zu stärken für ihr "Kern-Geschäft", das Unterrichten, müssen sie eine Reform nach der anderen umsetzen, sich mit neuen Lehrplänen befassen, Berichte schreiben, sich für Evaluationen zur Verfügung stellen, in Konferenzen sitzen, die Schule nach außen "verkaufen". 

Ja, es gibt viel zu verbessern, besonders an der Auswahl von Lehrern und an ihrer Ausbildung (das ist für mich der eigentliche Grund der Misere). 

Aber unsere Kinder sind jetzt in der Schule. Sie haben mal gute und mal schlechte Lehrer.

Wie wir früher auch.

Lamentieren oder "teacher-hunting" hilft uns und unseren Kindern keinen Millimeter weiter.

Aber was können wir Eltern tun?

Wenn unser Grundschulkind mit einer 'vier' oder sogar 'fünf' nach Hause kommt, dürfen wir auf keinen Fall in die gleiche Kerbe hauen, wie der Lehrer, der dieses Urteil über ein Kind verhängt hat.

Wir dürfen nicht den Druck erhöhen.

Wenn schon nicht der Lehrer, dann müssen wir Eltern dieses "tiefste Vertrauen" in unser Kind haben.

Das ist unser Kerngeschäft.

Wir sollten
  • kein Drama daraus machen ("Oh Gott, wenn Mama und Papa das schlimm finden, dann ist es wirklich eine Katastrophe.")
  • die Gelegenheit suchen, dem Lehrer eine Rückmeldung zu geben, wie sich solch eine Note auf das Kind auswirkt (keine Vorwürfe, nur Feedback: "Thea war ganz niedergeschlagen, als sie nach Hause kam." Die meisten Lehrer wollen das nicht und machen sich endlich Gedanken über die Folgen ihres Handelns.)
  • wir sollten selbst begeisterte Schüler auf allen Gebieten des Lebens sein und unsere Kinder damit anstecken (viel wichtiger als der ganze Noten- und Gymnasial-Empfehlungs-Quatsch)
  • für ein buntes Leben sorgen, in dem Schule nicht der Nabel der Welt ist

Wir sollten unser Kind wieder sehen lernen, so wie es die Lehrerin, Autorin und Uni-Dozentin Fee Czisch in ihrem wunderbaren Buch "Kinder können mehr. Anders lernen in der Grundschule" beschrieben hat:
"Ein Mädchen in meinem Innenhof macht Drehübungen am Geländer zur Kellertreppe: sie hält sich mit einer Hand an der Stange fest und dreht sich unentwegt im Kreis um diese herum. Dabei ruft sie ständig nach ihrem Vater, der sich mit jemandem unterhält: 'Papa, schau!' So lange, bis der endlich 'schön' sagt. Sofort setzt sie ihre Übungen fort mit dem Ruf: 'Jetzt üb ich, bis ich es ganz gut kann!' Und will immer wieder von ihrem Vater gelobt werden. Glücklich und erschöpft hüpft sie schließlich zu ihrem Fahrrad und übt Kurvenfahren. Sie entdeckt ein Übungsfeld, experimentiert, übt, braucht Anerkennung, übt weiter, bis sie 'es' richtig kann. ...
Diese Neugierde, Lebendigkeit und Ausdauer, dieses Interesse und diese Freude an Experiment und Meisterschaft will ich in meinem Klassenzimmer haben!" (S. 39/40)"

Und diese Lernfreude putzt man mit schlechten Noten herunter?

Da dürfen wir Eltern nicht mitmachen.

Immer fröhlich das "tiefste Vertrauen ins Kind" üben

Uta


*Die Bodenseeschule ist eine katholische Privatschule, in der Elemente der Montessori-Pädagogik wie zum Beispiel freie Stillarbeit eine große Rolle spielen.