Freitag, 18. Januar 2013

Glückliche Familie Nr. 115: Das Beziehungskonto


Ich war in dieser Woche bei einer Elternratsversammlung unseres Gymnasiums mit dem Schwerpunktthema "Mittelstufe", also alle Belange der Klassen sieben bis 10.

Hätte ich nicht gewusst, was es war, hätte ich es für ein Treffen der "Selbsthilfegruppe Pubertät" gehalten.

"Unser Sohn ist in der achten Klasse. Und neuerdings ist es, als wäre der Kontakt zu ihm abgebrochen." - "Wir erfahren gar nicht mehr, was in der Schule läuft, ob er eine Klassenarbeit zurückbekommen hat oder nicht."- "Mein Sohn", so eine andere Mutter, "will überhaupt der Coolste von allen sein. Ich kann gar nicht mehr auf ihn einwirken, er findet mich nur nervig." - "Wir haben eigentlich nur noch Streit."

Kopfnicken, verdrehte Augen und solidarisches Lachen von den anderen Eltern.

Ich saß da und suchte in meinem Innersten, ob mir auch eine Klage einfiele.

Wenn man als Eltern Pubertät nicht als schwere Störung erlebt, fühlt man sich als Sonderling.

"Ich heiße Uta und habe eine gute Beziehung zu meinem Sohn."

Wäre ich aufgestanden und hätte einen solchen Satz gesagt, wäre ich wahrscheinlich mit Kulis beworfen worden.

Man hat in diesem Alter keine gute Beziehung zu seinem Kind, schon gar nicht zu Söhnen.

Die sind ja später und länger in der Pubertät, wie die Schulleiterin erklärte.

Die Schulleiterin ist Pubertäts-Veteranin. Sie hat zwei Söhne. Aber die sind längst erwachsen. Sie erzählt davon, als sei sie eine der wenigen Überlebenden dieser Zeit.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, setzt man auf Kontrolle.

Es wird von Lehrern in der Mittelstufe berichtet, die Eltern nicht nur die Liste der anstehenden Klassenarbeiten mailen, sondern auch immer ein Signal senden, wenn die Rückgabe einer Arbeit zu erwarten ist.

Das gefiel den versammelten Müttern und Vätern und man fragte, ob nicht alle Lehrer diesen Service bieten könnten.

Zum Glück hielt die Schulleiterin das für nicht praktikabel.

Auf dem Nachhauseweg fiel mir eine Erkenntnis ein, die mir in mehreren Erziehungsratgebern begegnet ist.

In der Pubertät bekommen die Eltern die Quittung für ihr 
Verhalten in den Jahren davor. 

Ja, aber was denn für ein Verhalten?

Mir hat ein Bild sehr geholfen, das der amerikanische Management-Berater und neunfache Vater Stephen R. Covey benutzt.

Covey sagt, es gibt "Einzahlungen und Abhebungen auf dem Beziehungskonto". Wenn wir viel einzahlen würden, bekämen wir später mit Zinsen zurück, was wir an Nähe und Zeit in unsere Kinder investiert haben.






Einzahlungen sind zum Beispiel:
  • körperliche Nähe vor allem zu Babys, etwas später: Vorlesen mit Körperkontakt, Kinder an der Hand halten, auch Jugendliche spontan in den Arm nehmen (nur nicht in der Öffentlichkeit oder vor Freunden), Kuscheln auf dem Sofa, anbieten, dass man den Rücken kratzt oder eincremt, die Beine massiert
  • regelmäßige Familienzeiten, gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten
  • gelegentlich eine schöne Zeit mit einem Kind allein
  • Respekt, z.B. ab dem Alter von 10 Jahren anklopfen an der Zimmertür, Kind nicht vor anderen bloß stellen, nicht zwingen, etwas zu essen oder anzuziehen
  • nicht immer das Kind optimieren wollen, sondern sich fragen: Liegt der Fehler vielleicht bei mir?

Pubertät ist eine wichtige Zeit der Abgrenzung von und der Auseinandersetzung mit den Eltern, aber es muss kein kriegerischer Ausnahmezustand werden.

Immer schön fröhlich einzahlen

Uta