Mittwoch, 14. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 262: Die Gefühls-Keule


Beim Italiener saß am Nebentisch eine Frau mit ihrem vierjährigen Sohn. Theo hatte vom Kellner Papier und Buntstifte bekommen, verlor aber bald die Lust am Malen und kletterte auf dem Schoß seiner Mutter herum. Er zog an dem Kragen ihrer Bluse und verdrehte die Kette.

"Hör bitte auf damit." Mutter konnte sich kaum noch mit der Freundin unterhalten, sprach rotgesichtig unter Theos Arm hindurch und gelangte nur unter großen Verrenkungen an Olivenöl und Brot. Theo verschärfte sein Programm, zog an ihrem Ohr, kniff sie in den Hals.

"Du schimpfst gar nicht." Der Junge ließ die Kette los und schaute seine Mutter groß an. "Ich mag Schimpfen nicht", sagte die Frau, "wir wollen doch lieb zu einander sein. Aber es macht mich traurig, wenn du mir weh tust."

Diese Frau meint es unheimlich gut. Sie will nicht grob sein, ihr Kind nicht einschränken in seinen Freiheiten, schenkt ihm körperliche Nähe und erträgt - vermeintlich für Theo -, was an Folter grenzt.

Und Theo will es wissen. Ist meine Mama ein selbstbewusster Mensch aus Fleisch und Blut oder ein Dummy für meine Experimente?

Ich glaube, dass die breite Psychologisierung unserer Gesellschaft seit dem Psychoboom der 70er Jahre uns einen leichten Knacks verpasst hat. Wir lehnen Autorität ab und halten Macht für eine gefährliche Sache. Wir schlagen und demütigen unsere Kinder nicht mehr. Gott sei dank! Aber irgendwie sind viele von uns (ich eingeschlossen) auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Wir glauben, alles mit erklären, verstehen, reden, sich über Gefühle austauschen ... lösen zu können. Und wenn das dann nicht funktioniert, sind wir so verunsichert, dass unsere persönliche Autorität verloren geht. Leider spüren Kinder das sehr genau.

Eltern trauen sich nicht mehr zu sagen: "Ich will das nicht" oder das Kind zu nehmen und ohne große Worte auf den Boden zu setzen.

Manche Eltern trauen sich nicht mehr, ungebremst sie selber zu sein.




Stattdessen setzt Theos Mutter die "Gefühls-Keule"ein. "Es macht mich traurig, wenn du mir weh tust."
Als wäre Theo verantwortlich für die Gefühle seiner Mutter. Nicht Theo macht sie traurig. Sie fühlt sich schlecht, weil sie nicht eingetreten ist für ihre eigenen Grenzen. Das kann sie nicht dem Vierjährigen in die Schuhe schieben.

Wenn man das ständig so macht (gerne genommen wird auch "ich bin enttäuscht von dir" oder umgekehrt "Es macht mich glücklich, dass du eine 1 in Mathe hast"), erzieht man Kinder dazu, sich verantwortlich zu fühlen für die Gefühle ihrer Eltern und anderer Menschen. Eine unglaubliche Bürde.

Ich weiß, das ist ein sehr schmaler Grat. Auch ich habe schon geschrieben, man solle authentisch sein und Ich-Botschaften senden. Aber authentisch wäre in Theos Fall zu sagen: Stufe 1: "Hör auf damit, ich will das nicht." Stufe 2: "Ihn zu nehmen und wieder auf seinen Stuhl zu setzen." Und nicht: "Ich bin traurig, wütend, enttäuscht ...".

Eine solche Reaktion ist gut für das Selbstgefühl des Kindes. In den Eltern hat es dann Vorbilder, wie man klar für seine Bedürfnisse eintritt, statt aus eigener Schwäche andere mit seinen Gefühlen zu erpressen.

Was lässt sich daraus folgern:
  • Entschieden einstehen für seine eigenen Grenzen. "Ich will das nicht!"
  • Die eigenen Gefühle nicht als Hebel in der Erziehung einsetzen.
  • Wenn ich ein verheultes Gesicht habe und die Kinder fragen "warum?", erkläre ich natürlich, dass ich traurig bin, weil zum Beispiel ein guter Freund so schwer erkrankt ist, aber ich setze meine Gefühle nicht als Druckmittel gegenüber den Kindern ein.

Immer fröhlich "Ich will"-Sätze bilden und bloß nicht die Gefühls-Keule schwingen.

Eure Uta