Donnerstag, 10. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 230: Wie heißt das Zauberwort?


Als die Fußball-Weltermeisterschaft begann, hat Kronprinz (16) mit ein paar Freunden ein Deutschland-Spiel bei uns im Wohnzimmer angesehen und zwischendurch auf der Terrasse gegrillt. "Wir gehen dann mal", rief ich meinem Sohn zu, denn Soßenkönig und ich waren in der Nachbarschaft eingeladen. "Also, dann tschüss." Ich reckte mich ein wenig, um zu sehen, wer sich draußen eingefunden hatte. "Wir sind jetzt also wirklich weg." Ich grüßte wie Queen Mum bei Paraden und drehte mich zur Haustür, als zwei der Jungs schnell ins Wohnzimmer liefen. Sie begrüßten uns, bedankten sich für die Einladung und wünschten uns einen schönen Abend. Das klingt nach einstudierter Höflichkeit, aber die beiden traten selbstbewusst auf, waren locker und ungezwungen.

Ich bin ja nicht für Dressur-Nummern, aber das war einfach schön. Der Soßenkönig empfand es auch so.

Am nächsten Morgen beim Frühstück sagten wir dem Kronprinzen, dass wir uns sehr über diese Geste von Jasper und Paul gefreut hätten und wagten zu fragen, ob sich der eigene Nachwuchs bei anderen Leuten auch so verhalte.

Unverständliches Grummeln über den Brötchen.

Wir wurden kühn und legten noch nach. "Wir fänden es schön, wenn ihr das bei anderen Leuten auch machtet, also hallo sagen und sich kurz vorstellen."

Nachher dachte ich darüber nach, ob es nicht zu weit ging, das zu sagen. Wünsche ich mir nicht, dass meine Kinder aus sich heraus herzlich sind? Will ich, dass sie es tun, weil ihre Eltern es erwarten oder sie einer Konvention folgen? Sollten sie nicht authentisch sein?

Der größte Verfechter von Authentizität ist Jesper Juul. In dem Büchlein "Wir sind für dich da. 10 Tipps für authentische Eltern" ist ein Kapitel überschrieben "Authentisch statt höflich sein". Wenn Juul mal Familien auf der Straße trifft, die er kennt, und diese bringen ihre Kinder dazu, ihm die Hand zu geben, ist ihm das unangenehm. Ihm genüge der Blickkontakt zum Kind und darin könne er lesen, ob das Kind sich freue, ihn zu sehen oder nicht. Ihn südlichen Ländern würden die Eltern ihre Kinder sogar dazu nötigen, ihn zu küssen. Dann würde er sagen, dass er das nicht wolle.
(Mich wollen in südlichen Ländern auch immer alle küssen. Ich kenne das Problem.)

Das Eintreten für Authentizität durchzieht sämtliche Bücher von Juul. Wir Eltern sollen das Rollenspiel sein lassen, nicht tun und sagen, was andere erwarten, uns persönlich ausdrücken, keine floskelhafte Höflichkeit, sondern uns und unseren Kindern erlauben, zu zeigen, wer wir wirklich sind.

Das klingt gut und ich halte das auch für sehr wichtig.

Aber wenn ich zum Grillen und Fußballgucken eingeladen bin, sage ich nur dann "hallo" und "danke", wenn mir in jeder Faser meines Herzens danach ist?

Man kann das mit der Authentizität übertreiben. Es gibt Leute, die sind so authentisch, dass sie schwer für andere und sich selbst zu ertragen sind.

Was ist denn authentisch? Immer das, was ich gerade fühle? Dann sind die Gefühle der Chef und steuern mich.

Gefühle sind wichtige Signale, aber sie dürfen uns nicht komplett in der Gewalt haben.

Bei Juul fehlt mir ein Aspekt und jetzt kommt eine wirkliche Sensation: Dass ich etwas tun kann, wonach mir eigentlich nicht ist, und dass die Tat mich und meine Gefühle verändert.

Ich kann mir angewöhnen, häufiger anzuerkennen, was andere Menschen für mich tun, und die Resonanz darauf gibt auch mir ein besseres Gefühl. Wir heben uns damit gemeinsam auf ein anderes Atmosphäre-Level. Wenn meine Kinder das lernen, wird ihr Leben einfach besser funktionieren.


Raus aus der Hängematte, wenn Authentizität zum Vorwand wird, sich nicht zu verändern.


Und was will uns die Erziehungsberaterin damit sagen?

  • Dankbarkeit als Haltung leben und mit Jugendlichen darüber reden. Damit sie nicht auf die Idee kommen, die Welt sei darauf ausgerichtet, sie glücklich zu machen. Damit sie selber einen Beitrag leisten in der Welt und die Beiträge anderer anerkennen.
  • Mich auch bei meinem Kind bedanken und nicht alles selbstverständlich nehmen. So wie ich nur mitfühlend werden kann, wenn ich Mitgefühl für mich selber erlebt habe, kann ich auch nur dankbar werden, wenn ich die Freude dankbarer Anerkennung am eigenen Leib erfahren habe.
  • Als Erwachsene respektvoll miteinander umgehen. Dann können Kinder auf lange Sicht gar nicht anders, als es zu übernehmen.
  • Bei Geschenken für kleinere Kinder kann man ruhig mal sagen  "Wie heißt das Zauberwort?" oder "Was sagt man?" Das tun Erwachsene gefühlt seit dem Kaiserreich. Aber bitte nicht zu verbissen und Kinder nicht nötigen, das erlösende Wort zu sagen.
  • Allerdings finde ich es in Ordnung zu erinnern: "Wolltest du dich nicht noch bei Tim für das Geschenk bedanken?", aber locker bleiben. Einüben, ja, zwingen, nein.
  • Wenn vom Kind kein "danke" oder keine Begrüßung kommt, kann man einfach lachen und sagen: "Dann bedanke ich mich mal im Namen meiner Tochter" oder "Dann sage ich mal für uns alle 'hallo'". Aus dem Thema Umgangsformen keinen Kampf machen, aber ruhig vormachen, wie es geht. 
  • Ein "Hallo" oder "Guten Tag, ich bin der Franz" ist mitteleuropäischer Standard und zu beherrschen wie Zähneputzen. Aber ob ein Kind Oma küssen möchte oder Onkel Frank umarmen möchte, sollte es selbst entscheiden dürfen. 

Immer fröhlich und ohne Zwang die mitteleuropäischen Standards vorleben

Eure Uta