Dienstag, 10. Juni 2014

Glückliche Familie Nr. 224: "Du ahnst es nicht."


Eine Freundin hat mir erzählt, dass ihr Sohn (11) in letzter Zeit freche Antworten gibt und sich sehr respektlos verhält.

Eine andere Freundin klagte über ihre Tochter (15), die unbedingt mit Kick-Boxen beginnen wollte, jetzt aber unter fadenscheinigen Gründen häufig das Training ausfallen lasse.

Als ich beim Ausgraben einer Rose über beide Gespräche nachdachte, fiel mir auf, dass offensichtlich niemand die Frage nach dem 'warum' gestellt hatte.

Das ist ja eine ganz schlichte Sache, wird von uns Erziehungsberechtigten aber gerne vergessen.

Sich Zeit nehmen, sich hinsetzen, Hirn von Vorurteilen befreien und sagen: "In letzter Zeit fühle ich mich von dir so respektlos behandelt. Ich bin sauer und ratlos. Gibt es dafür einen Grund, den ich nicht ahne."

"Du ahnst es nicht!" ist ein geflügeltes Wort bei Prinzessin (13). Ich glaube, sie hat recht. Wir Erwachsenen ahnen häufig nicht, was in ihnen vorgeht und machen uns nicht die Mühe, es zu ergründen.

Hat meine Freundin die Tochter gefragt, warum ihr beim Kickboxen die Begeisterung abhanden gekommen ist? Hat der Trainer eine blöde Bemerkung gemacht? Fühlt sie sich nicht wohl in der Trainingsgruppe? Hatte sie andere Vorstellungen von dem Sport?

In seinem Buch über Prinzipien für starke Familien erzählt Stephen R. Covey von einem kleinen Jungen, der nie im Haus seines Freundes spielten wollte, bis die Mutter ergründete warum: Der Junge hatte Angst, sich in die Hose zu machen, weil er nicht wusste, wo sich dort im Haus die Toilette befand.

Covey berichtet auch von einem guten Freund, der Probleme mit seinem pubertierenden Sohn hatte. Der Freund behauptete, genau zu wissen, was in dem Jungen vorgehe, bis Covey sagte:

"Du solltest einmal davon ausgehen, dass du gar nichts über den Jungen weißt! Fang noch einmal ganz von vorne an: Hör ihm einfach zu, ohne ihn zu beurteilen oder zu bewerten." (Stephen R. Covey: Die 7 Wege zur Effektivität für Familien. Prinzipien für starke Familien. Offenbach 2007, S. 25)
"Solange wir in der Rolle des Richters verharren, haben wir so gut wie nie den Einfluss, den wir uns wünschen." (ebd. S. 262

Was wohl in ihm vorgeht? Kronprinz (16) am Nordseestrand. 

In der Pubertät, heißt es, ist das Gehirn so stark im Wandel, dass man ein Schild an die Stirn des Jugendlichen heften könne: "Wegen Umbau geschlossen."
Wenn Eltern von "Pubertieren" sich auf Partys unterhalten, kann man die Feigen im Speckmantel darauf verwetten, dass irgendeiner so einen Spruch bringt.
Ich finde das billig. Ich will auch nicht, dass mich jemand mal in eine Wechseljahres-Schublade steckt oder mir sonst irgendein Schild anhängt.

Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich einer Gruppe von anderen Menschen zugehörig zu fühlen. Jeder Mensch, egal in welchem Alter.

Jeder sucht jemanden, der ihn versteht, ohne ihm ein Schild anzuhängen.

Wer kein Gehör findet bei seinen Freunden und nicht einmal bei seinen Eltern, verschafft sich Gehör (z.B. durch Leistungsverweigerung, Nicht-Kooperieren, Krankheit) oder zappt sich mit Drogen das Bewusstsein weg.

Hattet ihr schon einmal die Situation, dass euch ein Licht aufging und ihr ein Problem auflösen konntet, weil es euch endlich gelang, gut zuzuhören? Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir eine solche Situation beschreiben könntet.

Immer fröhlich nach dem 'warum' fragen und gut zuhören.

Eure Uta