Freitag, 9. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 218: Verachtung im Blick


Heute ist bei mir der Tag des Mannes, des großen und des kleinen Mannes.

Ich fange mal mit dem großen Mann an.

Im Urlaub wagte er es, in den Supermarkt zu gehen, ohne die Korbtasche mitzunehmen, die ich für diesen Zweck eingepackt hatte. Er hatte die Kinder dabei und kehrte mit vollen Plastiktüten wieder, in denen sich neben Riesenflaschen mit Softdrinks ("böse,böse") Weingummi-Beutel ("Zucker pur") und eingeschweißte Fleischstücke ("bestimmt aus der Massentierhaltung") befanden.

Ihn traf natürlich "der Blick". Dieser Blick ist wie ein Giftpfeil und meine beiden Männer hassen ihn. Ich könnte besser rumbrüllen oder sie in die Korbtasche schubsen, aber "der Blick" ist tödlich. Er ist voller weiblicher Verachtung und in meinen klaren Momenten verstehe ich, dass sie sich damit elend fühlen.

Weil ich mich von klein auf hauptsächlich um die Kinder gekümmert habe, gibt es eine Ecke tief in mir drin, die sich für den sozialeren Menschen hält, wie wir Frauen doch überhaupt, oder? ... (Dass der Soßenkönig derjenige ist, der hauptsächlich das Geld erarbeitet, damit ich die stylische Korbtasche mit dem Peace-Zeichen, das Fleisch vom Bio-Schlachter und den fair gehandelten Kaffee kaufen kann, ist ein sehr lästiges Detail. Und er will einfach nicht einsehen, dass ich mich beruflich auch nicht so durchgesetzt habe, weil ich Macht und Geld irgendwie ablehne, denn ich bin ja so sozial, siehe oben).

Als wir aus dem Urlaub heimkehrten, hat der Kronprinz (16) die Polster von seinem Schreibtisch-Stuhl absaugen müssen, weil die Katzen in den Ferien wohl die ganze Zeit vor dem Computer gesessen haben. Die Spezialbürste wollte danach nicht mehr in das Fach im Staubsauger passen und der Kronprinz schlug ärgerlich den Deckel zu. "Doch nicht mit Gewalt," schrie ich entsetzt und dachte in der gleichen Hundertstel-Sekunde: "Na, ich weiß ja, von wem er das Aufbrausende geerbt hat." Vor längerer Zeit hat der Soßenkönig ein Fach im Gefrierschrank geschrottet, weil die Schublade es wagte, sich ihm zu widersetzen. Damals war es - glaube ich - Lichtgeschwindigkeit, in der ich dachte: "Mein Vater hätte so etwas nie getan."

Mein Vater. Mein Vater ist so etwas wie der Gandhi des Haushalts. Zum Beispiel kann niemand so liebevoll einen Kofferraum packen wie er. Da wird der Regenmantel auf links gewendet, zusammen gelegt und als Puffer zwischen Reservereifen und Koffer geschoben. Der Hohlraum neben der Reisetasche ist dem Knirps vorbehalten, der sich quetschfrei einfügt. Wenn meine Mutter in letzter Sekunde kommt und will in dieses perfekte 3-d-Puzzle, das den Kofferrauminhalt darstellt, die Kastenform mit dem Rührkuchen unterbringen, atmet mein Vater tief durch, sehr tief. Er tritt nicht gegen die Stoßstange (undenkbar), er brüllt meine Mutter nicht an (noch undenkbarer), er hebt einmal resignierend die Hände, wickelt die Alufolie noch perfekter um den Kuchen und schiebt die Form sachte neben den Beutel mit den Hausschuhen unter den Vordersitz. Passt.

Mein Vater zeigt auch für Haushaltsgeräte und besonders für Werkzeug immer eine besondere Achtsamkeit. Schon immer. Wenn ein Ding das Funktionieren verweigerte, hörten wir Schwestern sofort den Satz: "Nicht mit Gewalt!" Vielleicht haben mich deshalb die ganz raren Momente beeindruckt, in denen dieser Mann mal die Beherrschung verlor. So wie bei irgendeinem Fußball-Finale, als die deutschen Mannschaft das entscheidende Tor schoss, mein Vater hochsprang und mit hochgerissenen Armen die Deckenlampe zerschlug. Oder wie bei dem Handballspiel, bei dem mein Vater (mein Vater!) wegen Foulspiel des Platzes verwiesen wurde. Den Bericht darüber in der Lokalzeitung habe ich als Kind immer und immer wieder lesen müssen.

Mein Vater ist wunderbar. Mein Mann ist wunderbar. Mein Mann ist anders als mein Vater. Vielleicht hat er mich auch deshalb so angezogen damals.

Auf jeden Fall tue ich gut daran, das wahr zu nehmen und die beiden nicht zu vergleichen.

Ron Smothermon schreibt:
"Nun, ganz gleich, wie befriedigend Ihre Beziehung zu Ihren Eltern war oder ist: Wenn Sie sich nicht bewusst werden, mit wem Sie jetzt zusammen sind, sind Sie in ganz schönen  Schwierigkeiten. Ich garantiere Ihnen, dass die Person, mit der Sie derzeit zusammen sind, anders ist und möchte, dass Sie das merken. Wenn Sie sich ihm oder ihr gegenüber quasi automatisch verhalten, laufen Sie Gefahr, die besondere Qualität der Beziehung einzubüßen, wenn nicht sogar die Beziehung überhaupt." (Ron Smothermon: Drehbuch für Meisterschaft im Leben. Bielefeld 2007, 20. Auflage, S. 18) 

Und jetzt noch schnell zu den kleinen Männern. Meine Freundin hat mir einen Link zu einem wunderbaren Artikel von Wolfgang Bergmann über Jungs im Kindergarten geschickt. Er macht auf einzigartige Weise deutlich, warum Jungen heute immer verhaltensauffälliger werden und angeblich immer häufiger eine Therapie brauchen. Ich möchte euch ganz dringend ans Herz legen, den Artikel zu lesen. Einmal bitte hier entlang.

Darf Männlichkeit noch sein? - Kronprinz (7) mit Kaugummi-Zigarette

Immer fröhlich sehen, wer der Partner wirklich ist, und ein neues Verständnis entwickeln für die kleinen Männer.

Eure Uta