Mittwoch, 22. Januar 2014

Glückliche Familie Nr.194: Wenn der Zwerg das Sagen hat


Mir war es von Anfang an wichtig, Kinder nicht zu behandeln, als wären sie unfertige Halbmenschen, die es zu disziplinieren und zu formen gilt.

Jahre später habe ich erkannt: Diese Überzeugung darf nicht dazu führen, dass man vor lauter Ehrfurcht vor diesen kleinen neuen Menschen in eine Verantwortungsstarre fällt und der Zwerg das Sagen hat, kaum dass er die ersten Worte dafür hat.

Wenn man Eltern wird, muss man bereit sein zu führen.

Ich war das anfangs nicht.

Ich war so begeistert von dieser Schöpfung mit den Speckbeinchen und den braunen Smarties-Augen, dass ich meinen ganzen Tag nach dem kleinen Kronprinzen ausrichtete, meine eigenen Bedürfnisse total zurückstellte und sofort am Bettchen stand, wenn er auch nur einen Muckser von sich gab.

Im Alter von etwa einem dreiviertel Jahr liebte es seine Durchlaucht, Treppen hochzukrabbeln. So konnte man uns beide in dem Haus, in dem wir damals unsere erste Wohnung hatten, im Flur antreffen, beide auf allen Vieren auf der Treppe.

"Das ist gut für die motorische Entwicklung", erklärte ich der Mülltüte, mit der ich plötzlich auf Augenhöhe war. Unser Nachbar von oben hielt sie in der Hand und betrachtete nachdenklich Mutter und Sohn, die nebeneinander auf allen Vieren die Treppe bezwangen. Der ältere Herr schien nur noch zu überlegen, ob er mich in der Psychiatrie oder in der Hundeschule anmelden sollte.

Das Treppenkrabbeln bereue ich nicht. Das hat Spaß gemacht. Aber es gab Phasen, in denen wir gar nicht aus dem Haus kamen, weil ich nicht wagte einzuschreiten, wenn er partout alle seine 23 Autos in die Taschen vom Schneeanzug stopfen wollte.

Das führt zu Baby-Burn-out. Nicht beim Baby, sondern bei seiner Mutter. Meinen Job vorher als Zeitschriften-Redakteurin fand ich vergleichsweise erholsam.




Wenn ich heute noch einmal ein Kleinkind hätte, würde ich so gerne Folgendes ausprobieren.
  • Ich würde versuchen, es (fast) immer in meiner Nähe zu haben, aber dabei mehr mein Ding zu machen. Bei den Kleinen ist Nähe, Ansprache und Einbeziehen wichtig, nicht unbedingt Bespielen und Bespaßen.
  • Ich würde mir in den schönsten Schriften den Satz "Ich bin und bleibe hier der Chef" ausdrucken und überall in die Wohnung hängen. (Wahlweise auch "Papa und ich sind hier die Chefs.")
  • Ich würde mir einen Korb mit Deckel in den Wohnraum stellen und darin die verschiedensten Gegenstände sammeln: Schneebesen, Holzlöffel, kleine Trommel, Schlüsselbund, ein Stück Fell,  Ball, Zipfeltuch, verschiedenste Rasseln, damit immer etwas zum Entdecken und Spielen greifbar ist, aber auch schnell wieder verschwinden kann. (So einen Korb bzw. Schublade hatte ich tatsächlich und es war wunderbar. Es dürfen natürlich keine verschluckbaren Teile dabei sein, aber gerne die verschiedensten Materialien und unbedingt Sachen, die Lärm machen.)
  • Ich würde die körperlichen Bedürfnisse des Kindes (Hunger, Schlaf, Wach-Sein, Wärme, Kälte) von Anfang an achten und zum Beispiel kein Essen aufdrängen, aber wann wir den Spielplatz verlassen, ob es ein Eis gibt und welche Schuhe wir kaufen, bestimme natürlich ich. 

Immer fröhlich bereit sein zu führen

Eure Uta