Montag, 3. Juni 2013

Glückliche Familie 148: Geträufeltes Gift


Wenn ich etwas mit diesem Blog erreichen möchte, dann

  • dass eure und meine Kinder mit dem Gefühl aufwachsen, sie sind richtig, so wie sie sind
  • dass wir zusammen, ihr, meine lieben Leser, und ich, jeden Tag in dem Wissen leben, dass an unserer Person nichts hinzugefügt oder verändert werden muss, um bis in jede Pore liebenswert zu sein
  • dass wir erkennen, wo wir selber dieses "Du-bist-nicht-gut-genug"-Gift in unsere Kinder träufeln, weitergegeben von Generation zu Generation

Mal wieder Jesper Juul zu dem Thema:
"Das Fundament des Selbstgefühls lässt sich vielleicht am besten beschreiben, wenn man an das Erlebnis frisch gebackener Eltern denkt, die zum ersten Mal ihr schlafendes Baby betrachten. Sie sind durchdrungen von dem Gefühl, dass dieser neue Mensch, allein durch seine Existenz, etwas Wunderbares und Wertvolles ist. Die meisten Eltern bewahren sich dieses Gefühl einige Wochen lang, bevor sie sich bemüßigt fühlen, in dieses Werk der Schöpfung 'korrigierend' einzugreifen." (Jesper Juul: Dein kompetentes Kind. Hamburg 2010, S. 98)

Ja, sollen wir denn gar nicht eingreifen?

Kinder - so heißt es doch immer - brauchen Grenzen. Stimmt das denn nicht?

Ich behaupte: Menschen brauchen Regeln, weil ihre unterschiedlichen Bedürfnisse im Zusammenleben in Konflikt geraten. Das Ganze funktioniert besser, wenn große wie kleine Menschen lernen, sich an Regeln zu halten.
Dass aber Kinder im Besonderen Grenzen brauchen, ist eine Theorie aus dem Giftschrank.

Prinzessin (12) kam am Freitagabend vom Hip-Hop zurück, holte ein knappes Kilo Süßigkeiten aus dem Schrank (vom Taschengeld selbst gekauft), knallte sich damit auf das Sofa, um eine Aufzeichnung von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" zu sehen. Als sie die Beine übereinander schlug, sah ich, dass sie Waden und Oberschenkel mit Sprüchen beschriftet hatte.

In meinem Inneren führte ich folgende Diskussion mit mir selber:
"Wie furchtbar, das ist ja das komplette Trash-Programm: geistloses Fernsehen, Süßkram und Kugelschreiber-Hautverunreinigung. Kann sie sich nicht mit Oma und Opa unterhalten, die gerade zu Besuch sind?"-
"Komm, Uta, reiße dich zusammen. Sie ist gerade erst nach Hause gekommen. Willst du zur Begrüßung gleich an ihr herummeckern?" -
 "Ja, aber ich muss dem Kind doch Werte vermitteln, erklären, dass Kugelschreiber-Tatoos nicht gut sind für die Haut, dass man den Großeltern Respekt zollt, dass GZSZ was für Gehirnamputierte ist, dass ... -
"Uta, entspanne dich. Sie weiß diese Dinge selber, möchte sich jetzt aber ein wenig ausruhen. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes. Nur weil sie Trash futtert oder guckt, wird sie nicht selber zum Trash."

Schließlich handelte ich mit ihr aus, dass sie nach 20 Minuten den Fernseher ausschaltete, weil ich es nicht mag, bei der Arbeit in der Küche die Zickendialoge aus dem Fernseher anhören zu müssen. Außerdem bat ich sie, keine weiteren Süßigkeiten zu essen, weil es mich ärgert, wenn ich mir Mühe gebe, ein gesundes Abendbrot zu machen, und sie schon satt ist von der Tüte Weingummi.

Hier haben wir also wieder unsere Frau Mustermann, die für ihre eigenen Grenzen eintritt, statt das Kind abzuwerten und ihm irgendwelche künstlichen Grenzen zu setzen (weil Fernsehen schädlich ist, Zucker die Zähne angreift ...)

Das Kind zeigte sich kooperativ (vielleicht wegen dem fetten "PEACE" auf dem Oberschenkel).

Oma und Opa zeigten sich auch kooperativ (sogar ohne Tatoos auf den Oberschenkeln) und spielten Rommé mit dem Kind.

Und mir ist klar geworden, was die wichtigste Forschungsfrage dieses Blogs ist:

Wie kommen so viele kleine Menschen, die am Anfang ihres Lebens keine Frage dazu hatten, ob sie ausreichend sind, im Laufe ihres Großwerdens dazu, immer mehr zu denken: 
"Ich bin nicht gut genug" und wie können wir Eltern vermeiden, dass dieser Gedanke sich in ihrem Kopf festsetzt?


Immer schön fröhlich dich selbst und dein Kind "gut genug" finden

Uta