Montag, 29. September 2014

Glückliche Familie Nr. 243: Synchron-Schlafen


Jemand aus unserer Familie durfte aus medizinischen Gründen zwei Tage lang nichts essen. Als diese vorbei waren, sollte es eine Feier der Völlerei geben und ich bin zum Griechen gefahren, um für alle "Gyros-komplett" zu holen. Gut, dass ich zufällig "Kinder verstehen" von Herbert Renz-Polster dabei hatte, denn ich musste lange warten. So saß ich zwischen aufgeklebten Tempel-Säulen im Knoblauch-Dunst und vertiefte mich in die Kapitel über den Baby-Schlaf.

Was ich dort las, war so herzerwärmend, dass ich den Wein und die ganzen Ouzos, die man mir anbot, nicht brauchte, um die Wartezeit zu verkürzen.

Wusstet ihr, dass die Körper von Mutter und Kind miteinander korrespondieren, wenn das Baby bei der Mutter im Bett schläft?
Körpertemperatur und Schlafphasen gleichen sich an, so dass bei Mutter und Kind die Phasen flachen und tiefen Schlafs parallel verlaufen. Und nicht nur das: Videos aus dem Schlaflabor von schlafenden Mamas zeigen, dass sie sogar im Schlaf die Position des Babys korrigieren, es also zum Beispiel von der Bauchlage auf den Rücken drehen, was ja ein geringeres Risiko bezüglich des plötzlichen Kindstodes birgt. (Herbert Renz-Polster: Kinder verstehen, Seite 127) Folglich kannst du von den Bahamas träumen und mit den Surfbrett die nächste Welle nehmen, während du das kleine Bündel neben dir wieder in die richtige Position bringst. Mitten im Schlaf. Ist doch irre, oder?

"Videoaufnahmen mit Infrarotkameras zeigen zudem, dass selbst die Bewegungen von Mutter und Kind unbewusst aufeinander abgestimmt sind. Die meisten beobachteten Mutter-Kind-Paare liegen sich fast die ganze Nacht Gesicht zu Gesicht gegenüber. Dabei werden immer wieder schützende oder 'ordnende' Eingriffe der Mutter beobachtet." (nach Richard u.a. 1996 beschrieben von H. Renz-Polster, ebd., Seite 127) 

Demzufolge werden Babys, die gestillt werden und im Bett der Eltern schlafen, zwar häufiger wach, schlafen aber auch schneller wieder ein. Und wegen der synchronisierten Schlafphasen wird die Mutter auch nicht aus dem Tiefschlaf gerissen. Die Experimente aus dem Schlaflabor zeigten, dass die Versuchsmütter mit dem Baby im Bett erholsamer schliefen, als wenn ihr Baby im Nebenzimmer nächtigte.

Das ist doch genial. Warum sagt einem das denn keiner?

Die Untersuchung, die Renz-Polster beschreibt, ist von 1996. Der Kronprinz ist 1997 geboren. Das hätte ich doch auf jeden Fall ausprobiert.

Jetzt fällt mir auf, dass Renz-Polster gar nichts über die Väter geschrieben hat. Werden die gleich mit synchronisiert, wenn der Nachwuchs mit im großen Bett liegt? Und klappt das auch, wenn der Säugling in einem Bettchen liegt, das man an das große Bett dranhängen kann? Welche Reichweite haben die elterlichen Schlafsignale? Wie klappt das bei Flaschen-Kindern?

Fragen über Fragen.

Bei Renz-Polster gefällt mir gut, dass er in seinem Buch keine religionsartigen Kriege für die eine oder andere Einschlaf-Methode oder für oder gegen das Stillen führt. Er weiß, das ist für Mütter ein vermintes Feld. Und für jede Familie ruckelt sich zurecht, was gut zu den jeweiligen Menschen und ihrem Leben passt.

Er schreibt, dass sich die segensreichen Wirkungen des gemeinsamen Übernachtens auch nur entfalten, wenn alle Beteiligten solchen gemeinsamen nächtlichen Happenings zustimmen können. Seine Majestät der Soßenkönig, sonst ein großer Freund des Kuschelns, hatte immer Bedenken, er würde unser Kind im Schlaf unter sich begraben (hier fehlten uns noch die Kenntnisse der Schlaf-Synchronisation, denn wahrscheinlich hätte ich ihm Tiefschlaf einen rechten Haken verpasst, das Baby gerettet und alle hätten weiter geschlummert.)

Auf jeden Fall gibt es wohl keine Belege dafür, dass es der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes schaden würde, wenn es in einem anderen Zimmer übernachtet. Und umgekehrt werden Kinder auch nicht weniger selbstständig, wenn sie als Baby bei ihren Eltern schlafen dürfen.

Was man aber auf keinen Fall machen sollte, ist die Methode aus dem einstigen Bestseller "Jedes Kind kann schlafen lernen". Dort wurde empfohlen, das Baby durch immer längere Phasen des Alleinseins im eigenen Zimmer an selbstständiges Einschlafen zu gewöhnen. Nicht machen! Damit erreicht man ein gestresstes Resignieren, aber kein friedliches Einschlummern.




Aus dem Schlaf-Kapitel habe ich mitgenommen:
  • Mit dem Baby zusammen im großen Bett zu schlafen, kann segensreiche Wirkungen entfalten.
  • Die Natur ist genial.
  • Wenn Kleinkinder nicht einschlafen können, weil sie im Dunkeln Angst vor Monstern haben, kann es helfen, ein Licht brennen zu lassen. Aber auf keinen Fall die ganze Nacht, weil selbst schwaches Licht die Bildung des "Rhythmushormons" Melatonin im Gehirn stört. Am besten Zeitschaltuhr verwenden.
  • Sich das Einschlafritual, das man einführen möchte, gut überlegen. Wenn Kinder nachts aufwachen, brauchen sie das gleiche Ritual wie am Abend, weil es für sie wie eine "Brücke" in den Schlaf ist. Wer also eine Geschichte liest, singt, über den Kopf streicht und den Bauch fönt (Familie Katzenklo in ihren Anfängen), wird damit leben müssen, dass das Kind in der Nacht das gleiche Programm einfordert. 
  • Großen Kindern kann man einige spannende Fakten über den Schlaf erzählen: das für das Wachstum wichtige Hormon wird hauptsächlich nachts ausgeschüttet - im Schlaf werden Reperaturarbeiten an den Körperzellen durchgeführt - nachts produziert der schlafende Körper besonders viele Immunstoffe und schützt einen so vor Krankheiten - im Schlaf sortiert sich das Gehirn neu und funktioniert morgens wieder besser (das sieht man daran, dass Insekten und Würmer keinen Schlaf brauchen, denn da ist kaum was zu sortieren) 

Immer fröhlich auf gutes Schlafen achten und mal ausprobieren, ob es auch gemeinsam im großen Bett klappt.

Eure Uta


PS: So begeistert ich auch davon bin, Babys bei sich schlafen zu lassen, würde ich Kleinkinder so ab eineinhalb oder zwei Jahren aus dem Elternschlafzimmer ausquartieren. Dann ist es - auch für die Kinder - wichtig, dass Mama und Papa wieder mehr ein Paar sein dürfen. Wenn ein großes Kind krank ist, Albträume hat oder eine schwere Zeit durchmacht, kann man Ausnahmen machen.
Aber ich habe den Eindruck, dass viele Mütter es übertreiben und das gemeinsame Übernachten bis in Schulzeiten hinein der Einstieg dafür sein kann, den Mann und Vater an den Rand der Familie zu drängen. 

Dienstag, 23. September 2014

Glückliche Familie Nr. 242: Zu viel Nähe?


Neulich gingen wir ein paar Schritte und Prinzessin (13) hakte sich bei mir unter. Außerdem wird bei uns viel umarmt, der Rücken gekratzt, auf dem Schoß gesessen.

Wahrscheinlich haben wir zu viel Nähe, dachte ich. Man sollte mit seinen Kindern nicht befreundet sein. Ich bin die Mutter, der Soßenkönig ist der Vater. Wichtige Entscheidungen müssen wir fällen. Wir müssen auch mal unbequem sein und streng und doof und peinlich.

Okay, das machen wir alles. Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung oder zumindest nur manchmal, wenn wir es wieder so genießen mit unseren Kindern und keine Lust haben, bis in die letzte Faser konsequent zu sein.

Aber wenn es wieder so eine kuschelige Phase gibt mit den "Pubertieren", habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Wahrscheinlich bin ich eine von den Müttern, die der Kinderpsychiater Michael Winterhoff und Buchautor ("Warum unsere Kinder Tyrannen werden. ...") so gerne an den Pranger stellt. So eine Mutter, die den gleichen Nagellack benutzt wie ihre Tochter und in symbiotischer Beziehung mit ihren Kindern lebt, weil sie von ihnen die Bestätigung braucht, die sie woanders nicht bekommt. So eine Mutter, die aus eigenem Mangel heraus die Kinder an sich kettet. Eine, die in ihrem übergroßen Harmoniebedürfnis nicht durchgreifen kann, die ihre Kinder mit falsch verstandener Liebe erdrückt, die einfach zu schwach ist.

(Bis auf den Nagellack hat der Soßenkönig die gleiche Schwäche.)

Ich habe dieses Verhalten untersucht, bei uns und bei anderen, und komme zu anderen Schlüssen als Winterhoff und Konsorten.

Ich bin stark, habe (meistens) keinen Mangel und kann (wenn es drauf ankommt) sehr wohl durchgreifen. Der Soßenkönig und ich genießen es nur einfach sehr, Eltern zu sein.




Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist einfach enger geworden als noch vor einer Generation.  Am Elternsprechtag kam mir eine Mutter Hand in Hand mit ihrer 15jährigen Tochter entgegen. Bei einem Vortrag über berufliche Perspektiven in der zehnten Klasse sah ich mehrere Halbwüchsige, die ihren Kopf auf Vaters oder Mutters Schulter legten.
"Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen sagen heute, sie verstünden sich gut mit ihren Eltern. Drei Viertel der Befragten würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie selbst erzogen wurden." 
Das schreibt ZEIT-Redakteur Martin Spiewak in der Ausgabe vom 11. September und bezieht sich dabei auf die Shell-Jugendstudie. Spiewak sieht ferner eine "Entspannung im Verhältnis der Generationen".

Am vergangenen Wochenende bin ich in meine alte Heimat zum Treffen meines Abitur-Jahrgangs gefahren. Bis tief in die Nacht habe ich mit alten Schulfreunden gesprochen. Viele haben Familie, manche nicht, Alleinerziehende, Patchwork, alles ist dabei.

Mein Schulfreund Klaus ist seit drei Jahren von seiner Frau getrennt. Nach seinem Auszug hat er sich eine Wohnung gesucht, die nahe bei der Schule seiner beiden Kinder liegt. "Dann können sie häufiger bei mir übernachten und ich kann vor der Arbeit mit ihnen frühstücken", erzählt Klaus. Sein Sohn steht kurz vor dem Abitur. "Der will ja nicht mehr viel von mir wissen, aber ich hole ihn immer vom Fechttraining ab. Dann habe ich ein paar Minuten mit ihm zusammen." Damit Klaus nicht sieht, wie gerührt ich bin, sortiere ich im Nudelsalat auf meinem Teller die Erbsen heraus. Er bestellt sich noch ein Bier.
Seine Tochter ist jetzt 15 und macht gerade ein Auslandsjahr in Costa Rica. Um Kontakt mit ihr zu halten, hat Klaus neuerdings ein Smartphone ("das war vorher nicht so mein Ding") und skypen kann er auch, darf er aber nicht mehr. "Sie sagt, sie will nicht mehr so viel mit mir telefonieren, weil ihr Spanisch sonst nicht besser wird." Klaus ist stolz, dass seine Tochter das durchzieht. Aber unter der Trennung von Louisa leidet er wie ein Hund.

Eine oder zwei Generationen früher hätte Klaus' Ehe vielleicht gehalten. Aber eine oder zwei Generationen früher hatten Väter und Mütter nicht so viel Nähe zu ihren Kindern wie viele Eltern heute.

Es ist nicht unbedingt besser oder schlechter. Es ist einfach anders.

Noch einmal ZEIT-Redakteur Martin Spiewak:

"... hat ein Jugendlicher, der mit 15 Jahren schon zum Austauschjahr nach, sagen wir: Argentinien geht, das Rebellieren zum Selbstständigwerden nötig?"

Jugendliche heute müssen nicht mehr unbedingt ausbrechen aus erstarrten Strukturen, weil die Strukturen weicher, die Hierarchien zu Hause flacher geworden sind. Kaum jemand muss noch gegen einen übermächtigen Vater ankämpfen. Der Hausarrest gehört ins Familienmuseum. "Solange du deine Füße noch unter unseren Tisch stellst, ..." - dieser Satz hat heute einen anderen Context. Eltern und Kinder sind heute froh, wenn es ein familiäres Füßeln unterm Tisch gibt. Wahrscheinlich suchen Heranwachsende heute eher Halt und Nähe, als dass sie unbedingt aus einer häuslichen Enge ausbrechen wollen.

Wenn ihr auch so gerne mit den Halbwüchsigen kuschelt und sie mit euch, müsst ihr nicht denken, dass ihr schon wieder etwas falsch macht. (Die Eltern, mit denen ich zu tun habe, haben sowieso jede Minute das Gefühl, etwas falsch zu machen.) Schaltet die Talkshows aus mit all den warnenden "Experten", pfeffert die Bücher in die Ecke von den ewigen Bedenkenträgern und kostet - wie mein Schulfreund Klaus - die Zeit mit euren Kindern aus.

Immer fröhlich die Nähe genießen und sich von niemandem ein Haar in die Suppe werfen lassen.

Eure Uta

Dienstag, 16. September 2014

Glückliche Familie Nr. 241: Nicht mehr bei der Eltern-Polizei


Vor mehr als einem Jahr habe ich darüber berichtet, dass wir Prinzessin (jetzt 13) nicht mehr kontrollieren bei den Hausaufgaben und beim Medienkonsum (hier und hier).

Die neue Freiheit ist Gewohnheit geworden, schöne Gewohnheit. Wenn Prinzessin Hilfe braucht, fragt sie uns gelegentlich. Und weil sie es dann ist, die die Initiative ergriffen hat, ist die Stimmung gleich ganz anders.

Schulisch hat sich kaum etwas verändert. Ohne unsere Kontrolle läuft es genauso wie vorher mit Kontrolle. Nur dass wir es zu Hause viel schöner haben.

Ich finde es wunderbar, nicht mehr bei der Eltern-Polizei zu sein. Ich kenne so viele Mütter und Väter, deren Verhalten gegenüber ihren Schulkindern durchtränkt ist von der Haltung: "Ohne mich läuft das nicht für Marie/Lukas/Carl/Leopold ... in der Schule." - "Wenn ich nicht den Turnbeutel packe, fehlt wieder die Hälfte." - "Wenn ich nicht ans Vokabel-Lernen erinnern würde, würde mein Kind in Englisch völlig absacken." "Wenn ich nicht ..." Um wen geht es hier eigentlich?

Auf Elternabenden selbst von Teenagern erlebt man Eltern, deren Wortbeiträge verraten, dass sie genau im Bilde sind, welches Buch in Englisch oder Geschichte gerade verwendet wird.
Je gebildeter die Eltern sind, desto schlimmer, weil sie fachlich dann erst abgehängt werden, wenn wir uns dem Abitur nähern.

Oder es endet früher, wenn man gesunde Kinder hat, die irgendwann bockig werden wegen ihrer  übergriffigen Eltern. "Da habe ich für Tim alles herausgesucht über die Pharaonen und die Grabbeilagen und was ist der Dank dafür? Pampig wurde er, weil er meine Schrift nicht lesen konnte."

Das mit dem Helfen ist ja verständlich. Laut einer Bertelsmann-Umfrage helfen 80 Prozent der Eltern in Deutschland ihren Kindern beim Lernen für die Schule. Jeder hat Angst, dass das eigene Kind abhängt würde, wenn man nicht hilft. Weil ja alle helfen ...

Gegen helfen spricht ja auch nichts. Wenn man sein Kind irgendwie unterstützen kann, ist das doch schön. Das machen wir - auf Anfrage - auch. Ich möchte aber nicht wissen, wie viel Stress und Streit es in Millionen Familien wegen der Schule gibt.

Jemand Kluges hat mal gesagt, es gibt nur zwei Gefühle: Liebe und Angst.


Pastorales Schmuckbild. 


Wenn also die Angst (vor der nächsten Prüfung, vor schlechten Noten ...) alles bestimmt, kann es gleichzeitig keine Liebe geben.

Amen.

Ehe das Pastorale mit mir durchgeht, schreibe ich mal auf, was mir geholfen hat, bei Schulsachen loszulassen:

  • Bei Kindern über 12 Jahren nur helfen, wenn sie darum bitten.
  • Fragen, welche Form von Unterstützung sie möchten.
  • Jüngeren Schulkindern helfen, den richtigen Ort, die richtige Zeit und Dauer für Hausaufgaben zu finden.
  • Wenn man hilft, dann den Humor dabei nicht verlieren. Wenn es zu verbissen wird, unbedingt Quatsch machen zwischendurch (Stift quer im Mund und singen, ablästern über die Leute auf den Schulbuchfotos, englische Texte in katastrophaler Ausprache lesen, philosophieren über den tieferen Unsinn mathematischer Textaufgaben ... )  
  • Lern-Ende und Belohnung vereinbaren (ich meine jetzt keine Rolex und keinen Zirkusbesuch, sondern einen Keks, eine Runde tanzen, eine Massage, eine halbe Stunde Chatten)
  • Wenn mehrere Klassenarbeiten bevorstehen, macht Prinzessin einen Wochenplan, in dem sie sich einträgt, an welchem Tag sie für welches Fach lernen will. Oft besteht die einzige Unterstützung, nach der sie fragt, darin: "Machst du mit mir einen Wochenplan?" Ich bin nämlich bekannt dafür, dass ich freie Zeit, Erholung und Spaß großzügig schraffiere. 
  • In der Grundschulzeit vom Kronprinzen (heute 16) habe ich mir großen Stress gemacht, weil er kaum stillsitzen konnte und sich das Rechnen von zwei Mathepäckchen über Stunden hinziehen konnte. Im Rückblick würde ich sagen, dass ich das viel zu wichtig genommen habe und der Bursche genau wusste, dass er mit diesem Thema meine Aufmerksamkeit bekommt, leider negative Aufmerksamkeit. 
  • Daraus habe ich gelernt: Wenn ein Grundschulkind seine Hausaufgaben nachmittags zu Hause macht und es läuft nicht, muss ich als Eltern eine Zeit dafür festlegen und ein klares Ende setzen. 
  • Der Lerneffekt von Hausaufgaben in der Grundschule ist höchst umstritten. Die große Studie über Unterrichtsqualität des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie hat gezeigt, dass Hausaufgaben in der Grundschule wenig bringen und erst in höheren Klassen den Lernerfolg fördern. (Martin Spiewak: "Hettie-Studie: Ich bin superwichtig!",  ZEIT-online, 14.1.2013). Also ruhig Blut in der Grundschul-Zeit. 
  • Mir hat geholfen, mit der Lehrerin von Kronprinz zu sprechen und ihr unseren Stress zu schildern. Sie war eine sehr erfahrene und mütterliche Lehrerin, die ihre letzte Klasse vor der Pensionierung hatte, und sie meinte: "Sie sorgen dafür, dass er sich eine halbe Stunde hinsetzt und seine Aufgaben macht. Und was er nicht schafft, schafft er nicht. Dann schreiben sie einfach eine Notiz ins Heft: 'heute ging einfach nicht mehr, das Wetter war zu schön, die Freunde klingelten, es hatte plötzlich geschneit, was auch immer." Das hat uns total entlastet. Danach ging es besser. 

Immer fröhlich darauf achten, dass man als Mama oder Papa kein ängstlicher Lern-Polizist wird.

Eure Uta

PS: Ich möchte euch dringend in der aktuellen ZEIT den Artikel "Wir sind keine Sorgenkinder! Schulstress, Bewegungsmangel, Computersucht - und dann noch überforderte Eltern: Ist es wirklich so furchtbar in Deutschland aufzuwachsen? Keineswegs. Den Kindern geht es so gut wie nie zuvor" von Martin Spiewak ans Herz legen. Ganz, ganz spannend, wie wir Deutschen die Kinder und die Eltern schlecht reden.

Meine Lieblingsstelle: "Die Flut der Erziehungsratgeber wird stets als Ausdruck einer Verunsicherung der Eltern interpretiert. Man kann aber auch sagen: Eltern halten Erziehung für wichtig. Sie sind lernbereit. Es gibt seit Jahren eine Flut von Kochbüchern. Niemand würde sie als Zeichen für den Verfall der Kochkünste anführen. "

Dienstag, 9. September 2014

Glückliche Familie Nr. 240: Die Liste


Auf einem Zettel in der Küche notiere ich seit einiger Zeit, welche Punkte ich am wichtigsten finde bei der ganzen Erzieherei.

Hier sind sie: persönlich und professionell, eine Mischung aus Wissenschaft und eigenen Studien, nicht jedermanns Sache, aber mein Herzensanliegen:

Bei einigen Punkten verlinke ich die dazugehörigen Posts.

Los geht's:
  • Wenn ich ein Baby habe, lasse ich es nicht schreien. Natürlich schreit es mal, auch stundenlang. Und ich bin fertig und verzweifelt, weil ich nicht weiß warum. Aber ich erhebe das Schreienlassen nicht zur Methode, so nach dem Motto: "Das härtet ab", sondern suche mir Unterstützung, wenn ich nicht weiter weiß. Feinfühligkeit bei Kleinkindern
  • Was hilft, ist für jeden etwas anderes. (Vergangene Woche unterhielt ich mich mit einem Osteopathen. Der erinnerte sich mit Schrecken an die Dreimonats-Koliken seiner kleinen Tochter. Was schließlich half, waren Fußreflexzonenmassagen.) Aber es darf bei Babys kein Alleinlassen oder Ignorieren sein.
  • Ich reagiere feinfühlig und prompt auf mein Baby. Ich achte auf seine Signale. Wann hat es Hunger? Wann braucht es Trost? Wann will es spielen? Feinfühligkeit bei Kleinkindern
  • Körperliche Nähe gibt es im Überfluss: Auf dem Arm halten, streicheln, kuscheln, zusammen lachen, kitzeln, sich Zeit nehmen beim Wickeln ...  bei älteren Kinder den Rücken kratzen, massieren oder die Beine eincremen. (Die moderne Bindungsforschung ist sich gar nicht so sicher, welche Faktoren es braucht, damit Bindung entsteht, aber eines ist unstrittig: körperliche Nähe.) 
  • Wenn ich mein Kind in eine Krippe geben möchte, achte ich darauf, dass es mindestens ein Jahr alt ist. Ich suche eine Krippe aus, die standardmäßig eine vier- bis sechswöchige Eingewöhnung anbietet, ich also jeden Tag in diesen Wochen einige Stunden dabei bleiben kann. (Quelle: Interview mit Bindungsforscherin Fabienne Becker-Stoll, faz-net, 11.8.2014)
  • Wenn ich bei dieser Eingewöhnungszeit merke, dass die Atmosphäre nicht stimmt, die Erzieher weder ihren Beruf noch die Kinder lieben, weinende Kinder nicht getröstet werden, die Kleinen nicht angelächelt werden, nehme ich mein Kind und wir beide suchen das Weite oder eine andere Krippe.
  • Wenn ich mich entschieden habe, bei meinen Kindern zu Hause zu bleiben oder wieder in den Beruf zu gehen, lasse ich mich von anderen nicht abwerten für diese Entscheidung, egal wie sie ausfällt. 
  • Erziehungskunst besteht letztlich darin, dass ich erkennen kann, wann braucht mein Kind Hilfe/Nähe/Schutz, wann braucht es Freiraum/Selbständigkeit/Zeit für sich allein. Das gilt für Kinder jeden Alters und für jede Person, die Kinder betreut. Autonomie des Kleinkindes
  • Wenn es dem Kind gut geht, geht es den Eltern gut. Wenn es den Eltern gut geht, geht es dem Kind gut. Das ist ein Wechselspiel. Also sorge ich gut für das Kind und gut für uns. Mit Aufopferung ist niemandem gedient. 
  • Bei Kindern unter acht Jahren verwende ich keine Ironie. Sie verstehen es nicht und es verletzt sie.
  • Ich akzeptiere es, dass ich als Mama oder Papa eine familiäre Führungskraft bin. Bei aller Achtung vor der Autonomie der Kinder halte ich die Fäden immer in der Hand. 
  • Für die Stimmung in der Familie sind die Erwachsenen zu 100 Prozent verantwortlich.
  • Ich gebe selten Versprechen, aber wenn, halte ich sie ein.
  • Wenn ein Kind in einer wichtigen Sache um Erlaubnis fragt, gönne ich mir einen Zeitpuffer. "Ich muss darüber nachdenken, es mit Papa in Ruhe besprechen, eine Nacht darüber schlafen ..." Das erspart viel Ärger und lästige Diskussionen. Zwischen Reiz und Reaktion
  • Über einen Jungen im Grundschulalter (und auch noch bei Älteren) erfahre ich viel, wenn ich mich für seine Hobbys interessiere oder mit ihm zusammen bastele oder baue. Keine "Schau-mir-in-die-Augen"- Nummer oder "Wie-geht-es-dir"-Fragen! Das ist eher was für Mädels. 
  • Ich weiß, dass Jungs im Grundschulalter gerne raufen und höre auf, von Gewaltverzicht zu träumen. Ich verschaffe den Jungs viel Bewegung und sorge für Kontakt zu erwachsenen Männern, die ihnen Regeln beibringen. Jungen und GewaltMachos im weiblichen Biotop
  • Bei Jungs in der Pubertät kann ich (oder Papa) gute Gespräche führen, wenn wir zusammen joggen oder angeln gehen oder lange im Auto neben einander sitzen. 
  • Mit Teenagern zusammen am Tisch erzähle ich lieber von meinen Erlebnissen als sie verhörmäßig auszufragen. (Auf diese Weise kommen sie irgendwann auch ins Erzählen und man erfährt, was sie wirklich bewegt.)
  • Für mich ist meine Tochter das schönste Mädchen auf der Welt. (Und das gebe ich ihr zu verstehen, nicht den anderen Müttern.) Für dich sind deine Töchter die schönsten auf der Welt ....



  • Ich lasse völlig den Vorsatz fallen, als Mutter oder Vater gerecht sein zu wollen. Sonst ziehe ich Kinder groß, die ständig ein "Das ist aber ungerecht" auf den Lippen tragen, egal in welchem Überfluss sie leben. Die Gerechtigkeitsdebatte ist das Einfallstor für viel Geschwisterstreit. Ungerechte Eltern
  • Ich habe Freude an Bildung und teile diese Freude mit meinen Kindern. Wer ein Buch möchte, darf sich immer eins kaufen, ausleihen oder runterladen. Auch Kunst und Sport wird nach Kräften unterstützt.
  • Im Vorschulalter meiner Kinder achte ich auf die liebevolle Atmosphäre in einer Kita und lasse mich nicht von Früh-Englisch oder Ähnlichem blenden. In dem Alter funktioniert Lernen nur, wenn sich die Kinder liebevoll aufgehoben fühlen. Lernen bei emotionaler Sicherheit
  • Musik machen, Musik hören, Tanzen, Toben, Kissenschlachten - all das bringt Leichtigkeit ins (Familien-) Leben. 
  • Kinder brauchen die fröhliche Präsenz ihrer Eltern. Sie müssen nicht rund um die Uhr bespaßt werden. 
  • Wenn ich etwas mit dem Kind spiele oder unternehme, tue ich etwas, was mir auch selber Spaß macht. Für das Gehirn ist das eine unschlagbare Kombination: Bindung und Begeisterung. Da bilden sich schneller Synapsen, als man messen kann. Die Gähn-Attacke
  • Je besser die Beziehung zum Kind, desto leichter kann ich Einfluss auf das Kind nehmen. Gut zuhören
  • Eine gute Beziehung zu haben, heißt nicht, zu allem "Ja und Amen" zu sagen. Als Erwachsener muss ich zu meinen eigenen Grenzen stehen.
  • Kinder ab etwa 12 Jahren kann ich nicht mehr erziehen, aber ich kann sie unterstützen, mich für sie interessieren und Regeln des Zusammenlebens vereinbaren. 
  • Aber schon bei kleinen Kindern respektiere ich die unmittelbar körperlichen Bedürfnisse: schlafen oder wach sein wollen, Hunger haben oder satt sein, geküsst werden wollen oder nicht. 
  • Wenn ich die Grenzen meines Kindes überschreite (viel Zwang, Demütigungen, Herumkommandieren, Nicht-Respektieren ihrer Bedürfnisse...), kann ich sicher sein, dass dieses Kind spätestens in der Pubertät meine Grenzen überschreiten wird. Das Beziehungskonto
  • Ich sage mir immer wieder, dass es wahrscheinlich noch nie so schwierig war wie heute, Kindern eine Orientierung zu geben bei all den Lebensmodellen und Erziehungsstilen, die es gibt. Ich klopfe mir selbst freundschaftlich auf die Schulter und gönne mir was Feines. 
  • Für die eigene Persönlichkeitsentwicklung sind Kinder ideal, weil sie allein durch ihr Sein uns Erwachsene immer wieder in Frage stellen: Wer bist du eigentlich, Mama oder Papa? Für welche Werte stehst du?
  • Und schließlich kommt das Unvermeidliche: Immer schön fröhlich bleiben.

Eure Uta 


Dienstag, 2. September 2014

Glückliche Familie Nr. 239: Der kleine Neophobiker


Es ist passiert. Nach Jahren. Ganz unverhofft. Prinzessin (13) hat eine Scheibe Vollkornbrot gegessen. Einfach so. Ohne Druck, ohne Vortrag über Ballaststoffe. Nach mehr als einem Jahrzehnt mit Toast und knautschigem Kartoffelbrot. Wurden sonst aus Weißbrot noch die Sesamkörner heraus gepult, schluckte sie diesmal ganze Sonnenblumenkerne. Sie sagte nichts. Ich sagte nichts, konzentrierte mich nur darauf, dass mir die Augen nicht aus dem Gesicht fielen.




In solchen Momenten bin ich sehr froh. Froh, dass es geklappt hat mit dem Locker-Bleiben, froh, dass nicht Tod und Verderben eingetreten sind, weil ich die meiste Zeit keinen Druck beim Essen aufgebaut habe.

Mir sind das ja die allerliebsten Erziehungsmethoden, die sich zusammensetzen aus Gelassenheit und Respekt gepaart mit liebevoller Nähe und Interesse.

Die Sache mit dem Vollkornbrot ist deshalb so spektakulär, weil diese vor Körnern strotzende Scheibe das Ende von Prinzessins Neophobie markiert.

Neophobie ist die Angst vor etwas Neuem.

Ich gebe zu, dass wir damit spät dran sind. Mit dem Neophobie-Ende. Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster erklärt, dass bei allen Kindern rund um den Globus die Angst vor unbekannten Nahrungsmitteln  etwa mit 18 Monaten einsetzt und zwischen acht und zwölf Jahren wieder nachlässt.

Lasst euch nicht aus dem Konzept bringen von der Mutter, die beim Latte erwähnt, dass ihre Tilda-Sophie schon Oliven lutscht. Kleine Babys schlucken fast alles, was ihnen die Mutter reicht, Brust, Flaschennahrung, was auch immer. Denn sie wissen evolutionsbedingt, dass sie als Nesthocker nur überleben, wenn sie verzehren, was die Eltern bringen.

Wenn Kleinkinder allerdings laufen lernen und immer selbständiger in Wald und Flur Küche und Kita herumrennen, schützt sie die angeborene Abneigung gegen Grünes, Bitteres und Saures davor, etwas zu essen, was ihnen nicht bekommt.

"Ein vorbehaltlos von Gemüse, Früchten und Beeren begeistertes Kleinkind wäre zu 99 Prozent unserer Geschichte bald ein totes Kind gewesen!", schreibt Renz-Polster. 

Es kann sein, dass eure Kinder beim Essen überhaupt keine Probleme machen. Dann könnt ihr euch zurücklehnen und auf den nächsten Post warten. Aber die, die sich damit herumschlagen, dass ihr Kind Brokkoli, Rosenkohl und Erbsen für Teufelszeug halten, denen sei gesagt, dass ihr Kind völlig gesund und sehr evolutionsbewusst ist. Im späten Kleinkind- und Kindergartenalter erreicht die Neophobie gerne ihren Höhepunkt. Besonders bei ängstlichen und schüchternen Kindern.

Was ich damit sagen will: entspannt euch, es geht vorbei.

Trotz Neophobie gibt es Möglichkeiten, Kinder an gesundes Essen heranzuführen. Diese habe ich aus dem Buch "Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt" von Herbert Renz-Polster. Dieser ist nicht nur Kinderarzt, sondern auch Dozent am Mannheimer Institut für Public Health, wo er seit Jahren forscht, wie die Entwicklung von Kindern mit Hilfe der Evolutionstheorie besser verstanden werden kann. Ich bin erst im ersten Kapitel über Ernährung, konnte es aber nicht abwarten, gleich davon zu schreiben.

Hier also, was ich an Tipps daraus mitnehme:

  • Wichtig sind Vorbilder und Gewöhnung. "Kinder essen ... bestimmte Nahrungsmittel nicht deshalb, weil sie ihnen schmecken, sondern sie schmecken ihnen, weil sie immer wieder davon essen." (a.a.O., Seite 23)
  • Experimente zeigen, dass Kleinkinder Nahrungsmittel schließlich annehmen, wenn sie ihnen an aufeinanderfolgenden Tagen noch etwa zehn weitere Male angeboten werden. (Also, wenn euch das sehr wichtig ist mit dem Spinat ...)
  • Nicht anfangen, für Tilda-Sophie ein Extra-Essen zu kochen. Mal eine Lieblingsspeise, klar, und bei uns gab es neben Vollkornbrot meistens auch eines ohne Körner. Aber gewöhnt euch nicht an, immer zusätzlich ein Spezial-Essen für den kleinen Neophobiker zu kochen. So zieht ihr euch  - und das sage ich jetzt - keine selbstbewussten Kinder, sondern Aufmerksamkeits-Junkies heran, die glauben, das Leben hinge für sie voller Extra-Würste. 
und jetzt kommen meine Lieblingspunkte
  • Kein Zwang, kein Druck, bleibt locker und vor allem freundlich. "Studien bestätigen das: Ein- bis Vierjährige probieren ein neues Nahrungsmittel doppelt so häufig, wenn ein freundlicher Erwachsener davon zuerst nimmt!" (a.a.O., Seite 23)
  • Sorgt für Geschwister, ladet die etwas älteren Cousins oder Cousinen eurer Kinder ein, verbringt Zeit mit anderen Familien, deren Kinder gute Esser sind. Denn - so unser Evolutionsforscher: "Jeder weiß, dass kleine Kinder den etwas älteren Kindern ins Meer folgen würden - sie werden auch das essen, was diese essen." (a.a.O., Seite 28) 

Hier habe ich schon mal über meine Anstrengungen geschrieben, meinen Kindern gesundes Essen nahe zu bringen.

Immer fröhlich ein freundlicher Erwachsener sein, der vor der Nase der Kinder ein gutes Essen genießt.

Eure Uta